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"Es wird massive Verstaatlichung und Vereinheitlichung geben"

Im Streit um die Kampagne der Krankenkassen gegen die Gesundheitsreform hat die Vorstandsvorsitzende des Verbandes der Ersatzkassen, Doris Pfeiffer, auf das Recht von öffentlichen Körperschaften hingewiesen, politisch Stellung zu nehmen. Es werde mit der Reform zu massiven "Veränderungen für die Versicherten selbst" kommen. Da sei es eine "Verpflichtung" der Kassen, ihre Kunden darauf aufmerksam zu machen, so Pfeifer.

Moderation: Bettina Klein | 21.07.2006
    Bettina Klein: Der Streit zwischen den Krankenkassen und dem Bundesgesundheitsministerium um die Gesundheitsreform verschärft sich augenblicklich. Nach der Ankündigung der Kassen, die Versicherten über die Folgen der Reform in einer Informationskampagne aufzuklären, droht das Ministerium nun - nach einem Vorabbericht der "Berliner Zeitung" - in einem Schreiben von Gesundheitsstaatssekretär Schröder mit "aufsichtsrechtlichen Schritten" gegen Vertreter der Kassen. Am Telefon begrüße ich jetzt Doris Pfeifer, Vorstandsvorsitzende des Verbandes der Ersatzkassen. Guten Morgen, Frau Pfeifer.

    Doris Pfeiffer: Guten Morgen.

    Klein: Das Ministerium, wir haben es gerade gehört, verschärft noch einmal die Tonart, droht Ihnen mit juristischen Schritten. Was sagen Sie dazu?

    Pfeiffer: Also es gibt ganz klare Rechtsprechung und auch die Gesetze sagen das, dass auch Körperschaften des öffentlichen Rechts politisch Stellung nehmen können, insbesondere wenn es um ihre eigenen Belange oder die ihrer Versicherten geht. Und hier geht es vor allen Dingen um die der Versicherten. Wenn man sich anschaut, was in den Eckpunkten steht, wird das unser Gesundheitswesen massiv verändern. Es wird massive Verstaatlichung und Vereinheitlichung geben. Es wird Veränderungen für die Versicherten selbst geben. Und da ist es unser Recht, auch darauf aufmerksam zu machen - und ich denke auch unsere Verpflichtung.

    Klein: Also die Ministerin hat ja vor einigen Tagen schon gesagt, Sie als öffentlich-rechtliche Einrichtung, als die die gesetzlichen Kassen gelten, dürfen das nicht. Ist das ein Streit unter Juristen?

    Pfeiffer: Also wir haben, es gibt Auseinandersetzungen in der Vergangenheit wegen anderer Körperschaften, die sich auch politisch geäußert haben, und da ist ganz klar, dass es ein solches Recht gibt, sich politisch zu äußern. Hier werden wohl unbequeme Meinungen nicht gewollt, aber das ist also eine ganz klare Sache, dass hier auch Körperschaften sich dazu äußern dürfen.

    Klein: Es klang im Bericht eben schon an, manch einer sagt das im Moment: Die Kampagne, die die Kassen starten, das sei wieder ein Beweis, in Deutschland könne man eben nicht reformieren, denn schon der kleinste Versuch lasse die Interessenverbände auf den Plan treten und dagegen Sturm laufen. Auch die Kassen sind Interessenverbände: Wo sind denn die Kürzungen und Einsparungen, die Ihnen jetzt wehtun?

    Pfeiffer: Also entscheidend ist ja, dass man mit einer Reform Probleme löst. Das tut diese Reform nicht, weil das, was die Regierung selbst angekündigt hat, nämlich die Finanzen langfristig zu stabilisieren in der Krankenversicherung, das geschieht nicht. Es werden nicht die Beitragssätze stabilisiert, die sollen gar erhöht werden. Und es wird zwar gesagt, es soll mehr Wettbewerb geben - dagegen haben wir auch nichts, im Gegenteil, wir haben uns immer für mehr Wettbewerb ausgesprochen -, aber tatsächlich findet eine massive Verstaatlichung statt. Es gibt eine neue Behörde, es gibt eine Regulierungsbehörde, die festlegt, welche Leistungen zukünftig gezahlt werden. Es soll zusätzliche Dachverbände geben. Es soll einen Fonds geben, der einen gigantischen bürokratischen Aufwand bedeutet. Das heißt, hier entstehen zusätzliche Kosten, die niemandem etwas bringen und die keine Stabilität für die Krankenversicherungen bringen.

    Klein: Aber Sie sind schon auch selbst betroffen? Auch bei Ihnen werden ja einige Arbeitsplätze in den oberen Managementetagen wegfallen. So gesehen sind Sie natürlich auch Interessenvertreter in eigener Sache bei dieser Informationskampagne?

    Pfeiffer: Das ist die Frage, ob hier Arbeitsplätze wegfallen, in welchen Etagen auch immer. Bislang ist nicht davon die Rede, dass hier Organisationen aufgelöst werden, sondern zusätzliche werden geschaffen. Gucken Sie sich die Eckpunkte an: Es wird ein zusätzlicher Fonds geschaffen, das heißt also, eine gigantische Behörde; es wird eine Regulierungsbehörde geschaffen; und es werden Dachverbände auf Bundes- wie auf Landesebene geschaffen. Das heißt also, zusätzlich zu den Organisationen sollen hier neue Organisationen geschaffen werden. Und da stellt sich die Frage: Welchen Nutzen hat das? Was bringt das dem Versicherten? Das hat mir bisher keiner erklären können.

    Klein: Ein anderer Kritikpunkt ist: Ihre Kampagne bezahlen Sie auch aus den Beiträgen der Versicherten. Und das kommt in der Öffentlichkeit im Moment nicht besonders gut an, gerade angesichts der Diskussion über knappe Mittel der Kassen.

    Pfeiffer: Also hier muss man ganz klar sagen, dieses Wort "Kampagne" klingt jetzt danach, als würden wir ein Riesenbudget ausgeben. Das tun wir nicht. Wir machen das, was wir auch im Rahmen unserer normalen Presse- und Öffentlichkeitsarbeit machen, nämlich wir informieren Journalisten und Versicherte beispielsweise über Mitgliederzeitschriften und wir führen Gespräche mit Politikern. Das machen wir auf Bundes-, Landes- und örtlicher Ebene, so wie das auch normalerweise der Fall ist. Der Unterschied, was jetzt "Kampagne" ausmacht an der Stelle, ist, dass wir es koordiniert machen und wir hier gemeinsam über die negativen Folgen auch für die Versicherten aufklären wollen.

    Klein: Die Gesundheitsreform, die geplanten Eckpunkte waren gerade mal 14 Tage beschlossen, da hat der AOK-Bundesverband gesagt: "Mit diesem beschlossenen halben Prozentpunkt Beitragserhöhung werden wir nicht auskommen." Das gilt wohl auch für die Ersatzkassen. Wie kommt das eigentlich zustande? Waren die Berechnungen, die Sie angestellt haben, der Bundesregierung nicht bekannt?

    Pfeiffer: Also die Bundesregierung selbst hat noch zu Beginn des Jahres gesagt, dass 2007 ein Finanzbedarf von etwa sieben Milliarden Euro besteht. Dieser entsteht aber vor allen Dingen deshalb, weil diese Koalition beschlossen hat, den Steuerzuschuss zu reduzieren und auch die Mehrwertsteuer zu erhöhen. Das heißt also, die Bundesregierung selber verursacht dieses Finanzloch, was jetzt also mit Beitragssatzerhöhung wieder gestopft wird. Und sieben Milliarden bedeutet, dass man 0,7 Beitragssatzpunkte benötigt. Jetzt stellt sich die Frage, ob die Maßnahmen, die in den Eckpunkten zur Einsparung führen - die sind ja auch im Arzneimittelbereich beispielsweise vorgesehen -, tatsächlich zwei Milliarden bringen. Aber auf der anderen Seite auch notwendig ist, die Schulden bei den Kassen abzubauen, was ja auch dann im nächsten Jahr erfolgen soll. Und das insgesamt wird unserer Einschätzung nach nicht ausreichen, mit 0,5 Beitragssatzpunkten zu stopfen.

    Klein: Also nicht 0,5, sondern 0,7. Und damit werden Sie dann auskommen?

    Pfeiffer: Also ich kenne die Verschuldungszahlen aller Kassen nicht, die kennt das Ministerium. Das Ministerium kennt auch die Finanzbedarfe. Das heißt also, ich gehe davon aus, es wird mindestens 0,7 sein. Entscheidend wäre, dass die Bundesregierung hier ihre Kürzungen der Zuschüsse rückgängig macht, damit nicht die Beitragszahler dafür zuständig sind, Haushaltslöcher zu stopfen.