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"Es würde eine Unterschrift des Chefs der BaFIN" reichen

Hendrik Enderlein fordert zur Stabilisierung der Finanzmärkte ein Verbot von hoch spekulativen Geschäften. Dazu genüge in Deutschland eine Unterschrift der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht BaFIN.

11.05.2010
    Jochen Spengler: Eigentlich sollte es nur um Griechenland gehen beim Sondergipfel der EU-Regierungschefs und beim Treffen der Finanzminister am Wochenende in Brüssel, um das Hilfspaket von 110 Milliarden Euro für Athen. Und dann ging es um viel mehr, um den Euro. Alarmmeldungen machten die Runde: Ein Angriff auf die Gemeinschaftswährung stehe bevor. Schwedens Minister sprach von einem Wolfsrudel, das die schwächsten Länder zerreißen wolle, und heraus kam schließlich ein Rettungsschirm für hoch verschuldete Euro-Länder von 750 Milliarden Euro.
    Am Telefon ist nun Professor Hendrik Enderlein, Politik- und Wirtschaftswissenschaftler an der Hertie School of Governance, mit dem wir einige Fragen durchdeklinieren wollen, die uns derzeit beunruhigen. Guten Morgen, Herr Enderlein.

    Hendrik Enderlein: Guten Morgen, Herr Spengler.

    Spengler: Hören wir uns zunächst an, was Ex-Bundesfinanzminister Hans Eichel gestern Morgen im Deutschlandfunk behauptet hat, es habe in der derzeitigen Situation – so sagte er – nur zwei Möglichkeiten gegeben.

    O-Ton Hans Eichel: Entweder wir marschieren zurück und sagen, die Einigung Europas war ein Irrtum oder wir sagen, wir lassen uns das von den internationalen Finanzmärkten und insbesondere von der Wall Street in Washington nicht kaputtmachen.

    Spengler: Hat er damit recht? War das die Alternative?

    Enderlein: Absolut! Es ist vollkommen richtig, dass im Augenblick entweder die Flucht nach vorne ansteht, oder ein Rückzug in Zeiten, in denen Europa noch nicht das war, was es heute ist. Insofern war die Geschichte, die wir am Wochenende gesehen haben, auch wirklich alternativlos. Es ging nicht anders, als dieses massive Rettungspaket, dieses unglaubliche Zahlenwerk aufzubauen, wie ein Bollwerk, das den Euro schützt und an dem die Spekulanten dann einfach abprallen.

    Spengler: Nun gibt es viele Ihrer Kollegen, die sagen, die Währungsunion ist ohnehin am Ende, ob wir wollen oder nicht, irgendwann bekommen wir sowieso die D-Mark zurück.

    Enderlein: Ach, das ist doch Blödsinn und das ist auch nicht sehr konstruktiv. Ich glaube nicht daran, dass die D-Mark zurückkommt, ich glaube auch nicht, dass einzelne Länder aus dem Euro ausscheiden werden. Wir sind im Augenblick in einer Situation, in der der Euro von Spekulanten angegriffen wird und in der aufgrund der Wirtschaftskrise natürlich hier einiges im Argen hängt. Aber jetzt gibt es nicht die Möglichkeit zu sagen, ach komm, ich habe euch doch schon vor 20 Jahren erzählt, dass wir den Euro nicht haben sollten. Das ist ewig gestrig und das hat auch keinen Sinn. Es geht jetzt darum, eine konstruktive Politiklösung zu finden, um diese Währungsunion zu bewahren.

    Spengler: Herr Professor Enderlein, lassen Sie mich ganz kurz einfügen. Hören wir uns noch mal Hans Eichel an, nicht von gestern, sondern zur Jahreswende 2001/2002. Da hat er Folgendes gesagt:

    O-Ton Hans Eichel: Der Euro wird in der Zukunft mehr leisten, als die D-Mark hätte leisten können. Das heißt, gegen den Euro, weil er viel mehr wirtschaftliche Kraft hat, kann nicht spekuliert werden.

    Spengler: Das war offenbar falsch. Wieso?

    Enderlein: Nein! Es ist richtig, dass der Euro sehr, sehr viel wirtschaftliche Kraft gebracht hat.

    Spengler: Nein, aber gegen den Euro kann nicht spekuliert werden, hat er gesagt.

    Enderlein: Man kann gegen jede Währung spekulieren und die Frage ist dann nur, wie widerstandsfähig die Währung ist. Was wir gestern und vorgestern gesehen haben, zeigt uns doch genau: Diese Währung ist widerstandsfähig. Nun darf man ja auch nicht so tun, als hätte man schon vor 20 Jahren gewusst oder vor zehn Jahren, in welche Richtung sich die internationalen Finanzmärkte entwickeln würden. Sehen Sie, als dieses Zitat von Hans Eichel Anfang des Jahrzehnts kam, da waren viele dieser hochgehebelten Spekulationsgeschäfte, mit denen man ein Land oder eine Währung mit sehr wenig Geld auch ins Wanken bringen konnte, viele dieser Geschäfte existierten noch nicht. Heute sind wir in einem Kontext, in dem Investoren oder Spekulanten eben durch sehr wenige Verschiebungen von Mitteln ein Land wie Griechenland, ein Land wie Portugal, ein Land wie Spanien relativ schnell zum Fallen bringen können, und da sind klare Antworten gefragt, und ich glaube, das ist das, was die Europäische Union am Wochenende sehr beeindruckend dann doch geschafft hat.

    Spengler: Ist denn Spekulation nur der auch hilfreiche Zweifel von Anlegern, dass einzelne Euro-Länder nicht zahlungsfähig sind, weil sie eben ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben, oder ist Spekulation, wie Sie das andeuten, das unverantwortliche übertriebene Gebaren von gierigen Geldsäcken auf Kosten der Allgemeinheit?

    Enderlein: Ich sage es mal so: In jedem Markt gibt es immer Spekulation. Das heißt, es ist auch schwer, die gute von der negativen Spekulation zu trennen. Das heißt, wir brauchen im Markt Anleger, die Risiken eingehen und die vor anderen Anlegern merken, in welche Richtung sich der Wind dreht. Aber es kann nicht sein, dass man dann anfängt, mit großen Summen, die dann eben noch gehebelt werden, darauf zu setzen, dass der Euro-Raum zerbricht, und dann eine Wette abzuschließen, die beim Zusammenbruch dieses Euro-Raums unglaublich viel Geld bringt. Das ist destruktiv, es ist auch nicht im Interesse des Allgemeinwohls, und wir brauchen solche Marktaktionen auch nicht, damit der Markt funktioniert. Insofern denke ich schon, dass es eine Aufgabe der Politik ist, das Primat über diese Märkte zurückzugewinnen und dafür zu sorgen, dass Transaktionen, die sinnvoll sind, durchgeführt werden, aber dass nicht spekuliert wird oder hin- und hergeschoben wird und dass dann Arbeitsplätze verloren gehen, dass dann Menschen tatsächlich in Armut landen. Dahinter hängt ja nicht nur ein Land oder eine abstrakte Volkswirtschaft, sondern dahinter hängen Millionen von Menschen.

    Spengler: Warum haben die Politiker denn diese Art böser Spekulation nicht schon längst verboten?

    Enderlein: Ich glaube, das ist die Frage der Stunde. Dieses Rettungspaket ist ein, ich sage mal, sehr riskanter Akt der Regierungen, mit dem man jetzt erst mal die Spekulation eingedämmt hat, oder mit dem man gezeigt hat, dass Europa mit einer Stimme spricht. Aber die wirklich entscheidende Frage ist: Wann gelingt es uns, die Lehren aus diesen eineinhalb Jahren seit der Lehman-Bank-Pleite zu ziehen und dafür zu sorgen, dass Finanzmärkte stabiler sind und dass diese hoch spekulativen Geschäfte nicht mehr abgeschlossen werden können? Das ist auch eine echte Frage, die ich an alle habe, die heute in den Regierungen sitzen, egal ob in Deutschland oder sonst wo. Warum sind Geschäfte mit Kreditausfallversicherungen, diesen Credit Default Swaps, noch nicht verboten worden? Es würde eine Unterschrift des Chefs der BAFIN, der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, reichen, um diese Produkte zu verbieten, und ich denke, das sollte man dann auch einfach tun.

    Spengler: Da heißt es ja dann immer, na ja, wir können da nicht vorpreschen, dann verlieren wir unsere Konkurrenzfähigkeit, da muss auch England mitmachen, da müssen die USA mitmachen. Sind Sie der Meinung, man sollte auch vorpreschen in Deutschland?

    Enderlein: Auf jeden Fall. Es hat ja keinen Sinn, dass sich alle Länder-, alle Bundesregierungen hinter dieser Idee verstecken, wir müssen das global machen. Dann passiert nichts. Es muss ein Land Druck auf die anderen ausüben und sagen, so, wir haben das jetzt einfach getan. Die Amerikaner sind auf dem Weg mit einer großen Initiative zur Struktur der Banken, eine Veränderung an der Wall Street durchzuführen. Ich habe solche Initiativen in Europa noch viel weniger gesehen. Deshalb ja, es kann auch national funktionieren.

    Spengler: Nun kritisieren viele, dass mit dem Rettungsnetz vom Wochenende die Stabilitätsregeln gebrochen werden. Stimmt das?

    Enderlein: Es werden, ich sage mal, neue Regeln im EU-Rahmenwerk eingeführt, und das ist sicherlich nicht sehr gut. Auch ich hätte mir gewünscht, dass diejenigen, die sich schlecht verhalten, wie zum Beispiel Griechenland, die auch falsche Zahlen mitteilen, am Ende die Suppe zumindest zum Großteil selbst auslöffeln müssen. Aber das ist jetzt ja auch so. Griechenland muss ein massives Sparprogramm durchführen und Europa springt dann bei und sagt, wir sorgen dafür, dass ihr jetzt in den nächsten zwei Jahren zumindest nicht Geld an den Kapitalmärkten aufnehmen müsst.
    Das Problem war, dass Griechenland allein im Prinzip schon erledigt ist. Es ist uns klar, wie die Depression in Griechenland ist, und wir haben eine Antwort gefunden. Aber der Funkenflug hatte angefangen, nach Portugal, nach Spanien, vielleicht nach Italien, und dann steht wirklich der Euro selbst komplett auf der Kippe, und da haben die Staats- und Regierungschefs sehr lange diskutiert, aber dann sehr klug gehandelt und gesagt, ich nenne das manchmal wie beim Pokern, das größte "all-in" aller Zeiten. Das heißt, sie haben alles das, was ihnen zur Verfügung stand, auf den Tisch geschoben und gesagt, so, wenn die Spekulanten unser Blatt jetzt sehen wollen, dann sollen sie weiter spekulieren, aber wir haben ein so massives Bollwerk aufgebaut, dass jeder Spekulant dann davor zurückschreckt und sagt Nein, diese Europäer stehen so eng und so dicht beieinander, dass sie am Ende die Währung bewahren und auch um jeden Preis verteidigen.

    Spengler: Und jetzt wird der Euro wieder stabil?

    Enderlein: Der Euro wird im Augenblick stabil, allerdings auch, weil die Europäische Zentralbank seit gestern Morgen massiv im Markt ist und Anleihen kauft und die Märkte stabilisiert. Wir wissen nicht, wo sie das tut und wie sie das tut.

    Spengler: Das wird ja auch kritisiert, dass sie die Anleihen kauft. Das durfte sie bislang nicht.

    Enderlein: Ja, das durfte sie nicht. Auch das ist ein großer Schritt in eine sicher nicht ideale Richtung, aber es ist ein Schritt, der natürlich im Augenblick dazu führt, dass die Märkte das Gefühl haben, das Rettungspaket der Regierungen funktioniert. Die Zentralbank manipuliert im Prinzip einfach im Augenblick die Preise und dann weiß niemand, was glauben denn die Märkte tatsächlich von diesem Rettungspaket. Also: In solchen Situationen ist das, glaube ich, gar kein so schlechter Weg, denn man will ja das Spiel gewinnen und man will nicht unbedingt dafür sorgen, dass man hier alles nach allen Regeln der Kunst tut. Klar muss sein, wenn diese Krise sich wieder beruhigt, dass die Europäische Zentralbank dann sofort aufhört, dieses Verhalten an den Tag zu legen, und dass sie ihre Unabhängigkeit in der alten Form zurückgewinnt.

    Spengler: Professor Hendrik Enderlein, Politik- und Wirtschaftswissenschaftler an der Hertie School of Governance. Danke für die Erläuterungen.

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