Dienstag, 19. März 2024

Archiv

ESM-Serie
Portugal: Vom Schuldner zum Eurozonen-Spitzenreiter?

Im Mai 2011 schlüpfte Portugal unter den Euro-Rettungsschirm. 78 Milliarden Euro bekam der Staat, um seine Finanzen und die Wirtschaft innerhalb von drei Jahren wieder fit zu machen. Das Experiment gelang. Portugal verließ den ESM vor vier Jahren. Doch es lauern noch Gefahren.

Von Tilo Wagner | 16.08.2018
    Blick auf den Strand Praia de Carvoeiro an der Algave in Portugal. Im Hintergrund sind zahlreiche nah am Strand liegenden Hotels zu sehen.
    Tourismus an der Algarve kurbelt die Wirtschaft an (imago / CHROMORANGE)
    Durch die engen Gassen der mittelalterlichen Stadt Óbidos schlendern jeden Tag Tausende von Touristen: Aus Brasilien, den USA und aus Europa. Das Reiseziel Portugal boomt. Im vergangenen Jahr verzeichnete das Land 66 Millionen Übernachtungen - ein absoluter Rekordwert. Die gestiegene Nachfrage verlangt nach mehr Angebot: Deshalb wird Portugals größte Hotelkette Pestana ihre Bettenkapazität auch in Óbidos deutlich ausbauen. Hoteldirektor Nuno Godinho:
    "Wir liegen nur knapp eine Stunde von Lissabon entfernt und spüren den Boom sehr deutlich. Deshalb investieren wir in den Standort in Óbidos. Wir hatten hier nur ein Charme-Hotel in der Burg mit 12 Betten und jetzt eröffnen wir bis Ende des Jahres zwei neue Hotels und kommen dann auf insgesamt 45 Betten."
    Portugals Weg ist auch ein Erfolg des ESM
    Der Tourismus hat entscheidend dazu beigetragen, dass die Arbeitslosigkeit in Portugal so spürbar zurückgegangen ist, wie in kaum einem anderen Land im Euroraum. Auf dem Höhepunkt der Staatsschuldenkrise im Jahr 2013 hatten fast 18 Prozent der Erwerbstätigen keinen Job; fünf Jahre später sind es gerade einmal sieben Prozent. Seit über zwei Jahren liegt die Wachstumsrate der portugiesischen Wirtschaft bei über zwei Prozent.
    Und diese positive Entwicklung hat sich auch auf die öffentlichen Finanzen ausgewirkt: Das Defizit konnte von 7,2 Prozent im Jahr 2014 auf 3 Prozent im vergangenen Jahr gesenkt werden. Und auch die Staatsschuldenquote ist leicht auf 125,7 Prozent des BIP zurückgegangen. Portugals Weg sei auch eine Erfolgsgeschichte für den Europäischen Stabilitätsmechanismus gewesen. Das sagt Teodora Cardoso, die Präsidentin des Obersten Rats der öffentlichen Finanzen - ein unabhängiges Kontrollorgan, das von der portugiesischen Regierung in den Krisenjahren gegründet wurde:
    "Der Wirtschaftsaufschwung in Portugal ist teilweise auf das Spar- und Reformprogramm der Troika aus EU, IWF und Europäischer Zentralbank zurückzuführen. Das Programm hat die portugiesische Wirtschaft wettbewerbsfähiger gemacht. Und deshalb können wir jetzt den weltweiten Wirtschaftsboom besser für uns nützen."
    Im Jahr 2017 hat Portugal seine Quote von Dienstleistungs- und Warenexporten deutlicher ausbauen können als Deutschland. Die Exportquote legte um 2,8 Prozent zu und setzte damit den seit 2008 anhaltenden positiven Trend weiter fort. Das Land hat sich in den vergangenen Jahren zu einem beliebten Standort für Start-ups und Kompetenzzentren multinationaler Konzerne entwickelt. Auch deutsche Unternehmen wie Bosch, Mercedes-Benz oder Siemens haben in den Aufbau von Dienstleistungszentren investiert, um nach neuen Lösungen im Digitalbereich zu forschen oder Kunden weltweit von Portugal aus zu betreuen. Für die Wirtschaftsexpertin Cardoso reicht das aber nicht aus, um einen allgemeinen Trend abzuwenden.
    Mehr Export und Wettbewerbsfähigkeit sind nötig
    "Mittelfristig hat Portugal vor allem zwei Probleme zu lösen: Zum einen müssen die Staatsschulden weiter abgebaut werden. Zum anderen müssen wir unsere Arbeitsproduktivität steigern. In diesem Bereich waren wir schon früher nicht gut bedient, und jetzt wächst die Produktivität einfach viel zu langsam. Der Tourismusboom hilft dabei nicht. Er sorgt zwar für viele Arbeitsplätze, aber wir brauchen andere Sektoren, in denen wir viel produktiver sein müssen."
    Doch dieses Bewusstsein scheint in der portugiesischen Öffentlichkeit zurzeit keine große Rolle zu spielen. Mit dem Wirtschaftsaufschwung sind auch die Forderungen der Gewerkschaften und Interessensverbände gestiegen nach mehr Geld und weniger Arbeitszeit im öffentlichen Sektor, in dem über 14 Prozent der Beschäftigten arbeiten. Portugal laufe Gefahr in ein altes Strickmuster zurückzufallen, sagt die Ökonomin Cardoso.
    "In Portugal ist weiterhin die Idee sehr präsent, dass der öffentliche Sektor der Motor der Wirtschaft sein soll. Und das ist falsch. Wir müssen uns auf die Exportwirtschaft konzentrieren und unsere Wirtschaft allgemein wettbewerbsfähiger machen. Und deshalb müssen wir die tiefgreifenden Strukturreformen anpacken, die leider auch zur Zeit der Troika nicht umgesetzt worden sind."