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Essbares wird teurer

Schluss mit billig: Die Bundesbürger müssen für Nahrungsmittel tiefer in die Tasche greifen. Im Dezember lag die Inflationsrate bei Lebensmitteln bei 3,6 Prozent und damit deutlich höher als die Preissteigerung bei anderen Produkten.

Jule Reimer im Gespräch mit Georg Ehring | 24.01.2011
    Georg Ehring: Der Wind hat sich gedreht. Die Nachfrage nach Lebensmitteln kann mit dem Angebot nicht mehr Schritt halten. Nahrungsmittel werden also teuerer. Im Dezember lag die Inflationsrate bei Lebensmitteln in Deutschland bei 3,6 Prozent und damit deutlich höher als die Preissteigerung bei anderen Produkten. Experten rechnen damit, dass die Zeit billiger Lebensmittel vorbei ist. Die Preisentwicklung ist auch ein Thema der Internationalen Grünen Woche in Berlin. Jule Reimer kommt gerade von dort. Frau Reimer, worauf ist die Trendwende denn zurückzuführen?

    Jule Reimer: Einmal, Herr Ehring, sind es die schlechten Ernten, Naturereignisse, Überschwemmungen wie Dürre. Nach den Bränden hat Russland vergangenen Sommer einen Exportstopp für Weizen erlassen, um zuerst die eigene Bevölkerung zu versorgen. Dann investieren mittlerweile auch traditionelle Finanzinvestoren wegen der niedrigen Zinsen auf dem Kapitalmarkt in Waren, in Rohstoffe an den Warenterminbörsen für landwirtschaftliche Rohprodukte. Das ist nicht immer ganz transparent, wer sich da betätigt, und auch dieses treibt die Preise in die Höhe. Dann gibt es tatsächlich auch eine gestiegene Nachfrage. Die Weltbevölkerung wächst, der Mittelstand in Asien wird reicher, es wird mehr Fleisch gegessen, und zur Erzeugung von einem Kilo Fleisch frisst das Masttier je nach Tier sieben bis zehn Kilo Getreide. Mais und Weizen werden zunehmend zur Erzeugung von Agrartreibstoffen eingesetzt und die gestiegenen Rohölpreise, also Inputs für Landwirtschaft, Dünger, Pestizide, das spielt natürlich auch eine Rolle.

    Ehring: Das hört sich danach an, dass die Inflation bei Lebensmitteln wohl dauerhaft sein wird?

    Reimer: Die Preise werden auf jeden Fall dauerhaft in die Höhe gehen. Der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Gerd Sonnleitner, glaubt aber, dass bei uns sich der Preisanstieg im Mittel wie die allgemeine Inflation halten wird. In armen Ländern, wo die Menschen viel mehr Geld, oder einen viel größeren Anteil ihres Einkommens für Nahrungsmittel ausgeben, sieht das schon ganz anders und deutlich dramatischer aus. Im Brötchenpreis bei uns machen die Rohstoffe nur einen sehr geringen Anteil aus, und das war ja genau das Drama. Beim Bauern kam im Grunde genommen nicht viel an. Deshalb sollten wir ihm gönnen, wenn jetzt mehr ankommt. Andererseits zum Beispiel steht der Schweinefleischmarkt nach dem Dioxinskandal total unter Druck, die Preise sind völlig abgestürzt, und das bekommen die Bauern schwer zu spüren.

    Ehring: Was gibt es denn für Auswege? Kann man die Preise dämpfen und wie verhält sich die Europäische Union?

    Reimer: Ein Punkt wäre auf jeden Fall, die Spekulation zu bekämpfen. Bundeslandwirtschaftsministerin Aigner hat ja auch gefordert, man solle offenlegen, wer da handelt, sind das Landwirte an den Warenterminbörsen, Agrarhändler oder Finanzinvestoren. Man muss unter Umständen vielleicht auch darüber nachdenken, den Handel mal auszusetzen, wenn die Weizenpreise zu sehr Achterbahn fahren. Wichtig wäre natürlich auch, den Anbau so zu gestalten, dass die angebauten Nahrungsmittel weniger anfällig für Dürre oder Überschwemmungen sind. Lokale und regionale Märkte stärken, das war ein wichtiges Stichwort am Wochenende. Weniger Fleisch essen könnte auch ein Punkt sein, das Auto lieber stehen lassen. Alles dies würde die Nahrungsmittelpreise entlasten.

    Ehring: Die europäischen Landwirtschaftsminister reden ja heute auch über die Agrarreform, also über die Agrarpolitik in den nächsten Jahren, und da ist ein Kernpunkt, dass die Landwirtschaft umweltverträglicher werden soll. Heißt das weniger Ertrag und damit noch einmal teurere Lebensmittel?

    Reimer: Der Preisanstieg bei Lebensmitteln kommt, davon ist die EU-Agrarkommission überzeugt, auf die eine oder andere Art und Weise sowieso wegen der genannten Faktoren. Zur derzeitigen Subventionierung der Agrarunternehmen ist zu sagen, derzeit kriegt man in Deutschland pro Hektar eine Prämie von zirka 300 Euro. Auch das zieht übrigens Spekulanten an, die Boden kaufen. Eine Kritik ist, das Geld landet hauptsächlich in Großbetrieben. EU-Agrarkommissar Ciolos hat jetzt zwei Ansätze. Das eine ist, eine Obergrenze für Großbetriebe zu schaffen und die Subventionen auch an die Zahl der Arbeitsplätze zu binden, die geschaffen werden, und Punkt zwei ist, Sie sagten es, das Begrünen. Dabei setzt er jetzt nicht auf den puren Bioanbau. Es geht darum, dass eben reines Gesetze einhalten nicht mehr reichen soll, um Subventionen zu kriegen, sondern man soll Zusatzleistungen für die Landschaftspflege zum Schutz von Boden, Wasser und Klima erbringen. Also statt jedes Jahr die Monokultur Mais anzubauen, eine Fruchtfolge einhalten, das schützt vor Schädlingen, das spart auch wiederum Energie, und ein wichtiges Argument für die Landwirtschaft ist, wir müssen unsere natürlichen Grundlagen bewahren, wir dürfen den Boden nicht auslaugen, denn sonst wird der Preisanstieg noch viel schlimmer.

    Ehring: Jule Reimer erklärte die Preissteigerung bei Lebensmitteln. Herzlichen Dank.

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