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Essener Museum Folkwang
Mehr Besucher durch freien Eintritt

Tempel der Hochkultur, städtische Begegnungsstätte, menschenleeres Antiquariat: Das Essener Museum Folkwang hat im Laufe seiner Geschichte schon viele Wandlungen durchgemacht. Seit 2015 erlebt es nun dank eines mutigen Modellprojekts wieder mehr Zuspruch.

Von Antje Allroggen | 05.05.2016
    Besucher stehen in einer Sonderausstellung im Museum Folkwang in Essen; Aufnahme vom Januar 2015
    Besucher stehen in einer Sonderausstellung im Museum Folkwang in Essen; Aufnahme vom Januar 2015 (picture alliance / dpa / Caroline Seidel)
    "Dieses Museum war leer, als ich hierher kam. Das war für mich ungewohnt. Dieses schöne Museum hier war leer! Kam niemand. Die Aufsichten allein. Es war niemand im Haus. Van Gogh, Gauguin, Monet, diese wunderbare Sammlung, es kam niemand."
    Für Tobia Bezzola war sein Wechsel vom Kunsthaus Zürich ans Folkwang Museum in Essen vor vier Jahren ein regelrechter Kulturschock. Während seine unkonventionellen Ausstellungen in Zürich erfolgreiche Selbstläufer waren, traf er in Essen auf ein Museum, in das einfach niemand mehr hineinging.
    "Man hatte sich in Essen dran gewöhnt, in Folkwang sind alle drei Jahre Van Gogh, große Ausstellungen, und sonst hat man das Museum betrachtet wie eine Bibliothek oder ein Archiv oder so. Da geht man alle paar Jahre hin, wenn die Verwandten kommen zu Pfingsten."
    Der tägliche Gang in ein unbesuchtes Museum wirkte auf Bezzola nicht nur deprimierend. Das bisherige Ausstellungskonzept der großen Blockbuster-Schauen - über Jahre hinweg durch Essener Großunternehmen wie Thyssen Krupp und RWE finanziert - , konnte nach der großen Wirtschaftskrise nicht weiter fortgesetzt werden: Den nordrhein-westfälischen Energieriesen fehlten plötzlich die Mittel, um sich weiterhin im großen Umfang für die Kultur zu engagieren.
    Um das Überleben des Museums in einer Zeit zu garantieren, in der es keine solventen Industriebarone mehr gibt, mussten neue Konzepte her, um neue Besuchergruppen für das Museum zu generieren.
    "Das Museum ist auch ein bisschen exzentrisch hier in der Stadt. Sowohl topografisch, als auch sozial natürlich. Das liegt zum einen nicht in der Stadtmitte in einer Fußgängerzone wie Düsseldorf, Köln, München oder Hamburg in der Innenstadt. Hier muss man wirklich herkommen.
    Hier stolpert niemand rein. Und das ist, wo die Arbeit natürlich ansetzen muss. Dass man Angebote schafft, dass man sie publik machen und dass man die Leute einlädt wirklich herzukommen, damit dieses Museum auch zu einem sozialen Ort wird."
    Mutiges Modellprojekt
    Um mehr Bevölkerungsschichten ins Museum zu locken, zielten erste Versuche in Essen darauf ab, den Eintritt ins Folkwang an einigen Tagen der Woche kostenfrei zu gestalten, bis man 2015 das Eintrittsgeld komplett abschaffte. Möglich wurde dies durch die finanzielle Unterstützung der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach Stiftung, die über einen Zeitraum von fünf Jahren eine Million Euro zur Verfügung stellt, um die fehlenden Einnahmen zu kompensieren. Ein mutiges Modellprojekt, das in Deutschland in diesem Umfang einzigartig ist, erläutert Thomas Kempf, Vorstandsvorsitzender der Essener Stiftung.
    "In Deutschland ist es ja so, dass es immer wieder einzelne Initiativen gegeben hat: In Stuttgart 2008/2009 gab es sechs Monate freien Eintritt, in der Kunstsammlung NRW gibt es immer noch einen ersten Mittwoch im Monat, der frei ist. Und für uns war auch wichtig, in Essen gab es ja unmittelbar vorausgehend eine Initiative von Bürgern und mittelständischen Unternehmen, je einen Samstag im Monat freizumachen. Und das war deshalb wichtig, weil wir daraus ersehen haben, es gibt hier eine Bereitschaft und es gibt ein Potenzial, das dazu führen kann, dass eine größere Initiative wie wir sie im Blick hatten, zum Erfolg werden kann."
    Beachtlicher Publikumszuwachs
    Tatsächlich verbucht das Folkwang Museum schon ein Jahr nach Einführung des kostenfreien Eintritts einen beachtenswerten Publikumszuwachs. In den ersten drei Monaten kamen 31.000 Besucher in die ständige Sammlung –dreimal so viele wie vorher. Eine Potenzierung, die sich auch zwölf Monate später im Durchschnitt gehalten hat.
    Wissenschaftliche Arbeiten zum Thema bestätigen den Erfolg des kostenfreien Eintrittsmodells. Eine empirische französische Studie untersuchte den eintrittsfreien Tag für Studierende im Pariser Louvre und stellte fest, dass die Mehrzahl der Besucher "Wiederholungstäter" waren. Also Besucher, die schon vor der Aktion regelmäßig ins Museum gegangen sind. Ein Gratis-Eintritt allein scheint die soziokulturelle Prägung der Museumsbesucher nicht zu verändern. Auch wenn ein Besuch nichts kostet, zieht es die bildungsfernen Schichten immer noch nicht ins Museum.
    Vanessa-Isabelle Reinwand Weiss, Professorin für Kulturpolitik an der Universität Hildesheim und Direktorin der Bundesakademie für Kulturelle Bildung in Wolfenbüttel:
    "Man spricht ja immer von bildungsfernen Schichten, die man eigentlich mit den kulturellen Angeboten erreichen will. Das schafft man aber, das zeigen die bisherigen Forschungen in dem Museumsbereich nicht. Eigentlich ist es eine Subventionierung der Schichten, die sowieso bereits Kultur nutzen. Das ist genauso bei den Theaterbesuchern oder bei Besuchern von Opernhäusern etc.
    Das heißt, die Subventionierung dieser Eintritte bewirkt zwar auf der einen Seite einen erhöhten Publikumszugang, einen Run auf die Museen, genau aber letztlich ist es nicht unbedingt das beste Instrument, um Teilhabe zu erreichen."
    Dem Folkwang war dieser Effekt schon vor der Einführung der Gratis-Aktion bekannt. Bevor das Haus das Modellprojekt mit der Krupp-Stiftung gestartet hatte, hatte das Museum gemeinsam mit der Heinrich Heine-Universität eine Studie verfasst, die die persönliche Verbundenheit der Besucher des Museums analysierte und die in diesem April veröffentlicht wurde.
    Geld allein reicht nicht
    Demnach ist vor allem für Jugendliche nicht der Kostenfaktor, sondern vor allem die emotionale Nähe zu einem Museum ausschlaggebend. Geld allein reicht also nicht, um sich neue Besuchergruppen zu erschließen. Bezzola hat deshalb nicht nur den kostenpflichtigen Eintritt abgeschafft, sondern auch das Untergeschoss seines Hauses für neue unkonventionelle Ausstellungskonzepte geöffnet.
    "Das ist eine Art Museum im Museum. Ein Museum, das wir nicht mehr selber bespielen, sondern wir stellen es zur Verfügung. Jetzt momentan sehen Sie eine Ausstellung, das sind die Studierenden der Folkwang-Uni Fotoklasse, die haben da ihre Ausstellung gemacht, alles hergebracht, alles selber aufgehängt, Kästen Bier zur Eröffnung mitgebracht.
    Auch das ist ein weiterer Schritt, um das Museum ein bisschen partizipativ eben zu öffnen für die Bevölkerung, damit es ein bisschen mehr mit dem sozialen Gewebe hier verwächst."
    Skepsis in der Nachbarschaft
    Museen in der Nachbarschaft betrachten den Essener Modellversuch mit Skepsis. Immerhin war der Folkwang-Bau doch lange Zeit ein regelrechter Hort der Hochkultur, den der damalige Vorstandsvorsitzende der Krupp-Stiftung Berthold Beitz einst seinen Bürgern schenkte. Mehr als 100 Jahre später verwandelt sich das Haus in einen städtischen Raum der Begegnung für alle. Wenig Weihevolles ist vom früheren Museums-Tempel übrig geblieben.
    In Großbritannien hingegen, wo der Eintritt in staatliche Museen schon seit 15 Jahren per Gesetz kostenfrei ist, haben sich viele Museen längst in äußerst beliebte und gut frequentierte Versammlungsorte verwandelt.
    Mit einfachen Mitteln Besucher hinzugewinnen
    Wissenschaftler fordern nun auch von deutschen Museen, sich stärker als bisher mit der kulturellen Bildungs-Forschung zu vernetzen. Vor allem aber kritisieren sie die mangelnde Bereitschaft vieler Häuser, ihre Türen für alle Bürger zu öffnen. Dabei könnten die Museen mit einfachen Mitteln mehr Besucher hinzugewinnen, meint Vanessa-Isabelle Reinwand-Weiss.
    "Das heißt, wenn wir an die Vermittlung denken, die eine so zentrale Rolle einnimmt, ist es immer noch so, dass die meisten Museumsdirektoren lieber einen Kurator mehr einstellen, als eine Stelle für Vermittlung zu schaffen. Das heißt dass tatsächlich auch die Leitung der Museen einen Anteil daran hat, dass Vermittlung nicht so gelebt wird wie sie gelebt werden könnte in den Museen."
    "Ein Museum ist keine Volkshochschule"
    Die Bevölkerungsstruktur hat sich in den vergangenen Jahren zu sehr verändert, als dass sich die Museen weiterhin als Institutionen verstehen sollten, die lediglich das Kulturverständnis des bildungsbürgerlichen Teils der deutschen Bevölkerung – der so verstandenen Mehrheitsgesellschaft – abbilden. Um eine kulturelle Ausgrenzung der übrigen Bevölkerungsschichten zu verhindern, denen ein Recht auf Teilhabe zusteht, sollten deren Bedürfnisse Teil eines neuen musealen Selbstverständnisses werden.
    Gerade in einer Stadt wie Essen, in der ein Viertel der Bevölkerung über einen Migrationshintergrund verfügt. Vier Jahre bleiben Folkwang nun noch, um aus dem Museum einen attraktiven Ort für alle Bürger zu machen. Dass der kostenfreie Zugang dabei nichts zu tun hat mit einer Kultur zum Nulltarif, die nichts kosten darf, ist dem Museumsdirektor wichtig. Gute Kunst, so sagt er, hat immer ihren Preis.
    "Dass Museen einen Bildungsauftrag haben, ja, haben sie. Aber sie dürfen auch nicht darin aufgelöst werden. Ein Museum ist keine Volkshochschule. Es gibt ein Element der Kunst, wo die Kunst eben die Freiheit hat zu tun und zu sagen was sie will und sich nicht nach irgendwelchen Zwecken richtet, das ist ganz wichtig. (...) Das wird immer so bleiben. Das liegt nicht an dem Museum als Institution, das liegt an der Kunst, die eben diese Frechheit hat zu tun und zu sagen, was sie will, und das beinhaltet Zumutungen."