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Essenzfabrik "Martin Mundo"
In der Hexenküche der Aromen

"Unseren Beruf kann man nicht lernen" - das sagen die Angestellten von "Martin Mundo". Das Unternehmen aus Mainz hat sich auf die Herstellung von pflanzlichen Aromen und Farbstoffen für Getränke und Medikamente spezialisiert. Weltweit gibt es nur eine Handvoll solcher Aroma- und Essenzen-Fabriken. Deswegen ist auch streng geheim, was genau in den Kesseln des Unternehmens köchelt.

Von Alexander Musik | 20.05.2016
    Ein Glas mit Cola steht neben einem Glas mit Orangenlimonade.
    Martin Mundo produziert unter anderem Zuckercouleur - also Farbstoff für Getränke wie beispielsweise Cola. (dpa/picture alliance/Lukas Schulze)
    Vor 100 Jahren gründete Martin Johann Mundo seinen Weinhandel mit angeschlossener Likörfabrik. Heute ist das Herzstück der Firma "Martin Mundo" eine Fabrikhalle, in der ein Arbeiter im Blaukittel mit einem überdimensionalen Kochlöffel dampfende kupferne Kessel umrührt. Geschäftsführerin Sandra Kniele führt durch ihre Fabrik und beschreibt mit hörbar regionalem Akzent: "Das ist die Destillationshalle, und das ist die Produktionshalle. Zuckercouleur und Karamellsirup werden hier hergestellt. Man hört schon, hier wird geschafft. Ich sage immer, das ist unsere Hexenküche."
    Die Hexenküche ist in die Jahre gekommen: Wände und Decke sind von einer bräunlichen Patina überzogen. Braune Pfützen haben sich auch auf dem Boden gebildet, auf einer Palette sind Säcke mit Zucker gestapelt. Karamell-Sirup und Zuckercouleur - damit macht "Martin Mundo" den meisten Umsatz, mit Stoffen zum Färben von Getränken und Medikamenten also.
    Günter Werner ist seit 16 Jahren dabei, er ist einer von fünf Mundo-Mitarbeitern. Hinzu kommen zwei Leute im Empfang und Sandra Kniele und ihr Mann Oliver als Geschäftsführer. Den Beruf, den Werner und seine Kollegen ausüben, kann man eigentlich nicht lernen - man wird angelernt, erzählt Werner: "Wir sind angestellt als Couleurbrenner. Wir karamellisieren Zucker zu Lebensmittelfarbstoff. Wobei es dann auch verschiedene Sorten gibt. Wir sorgen jeden Tag dafür, dass die Kessel gereinigt sind, dass die Halle wieder startklar ist direkt für den nächsten Tag, dass man da keine Probleme hat. Vor allen Dingen ist es ja auch Lebensmittelbereich, da sollte man ein klein bisschen noch auf Sauberkeit achten."
    Es wird nur mit pflanzlichen Produkten gearbeitet
    Zum Fassungsvermögen der Kupferkessel möchte die Chefin nichts sagen, auch nichts über den Umsatz der Firma: Es gibt nur eine Handvoll Aroma- und Essenzen-Fabriken weltweit, die der Getränkeindustrie zuliefern. Da wäre ein Hinweis auf die Kapazität der Kessel verräterisch. Die junge hochgewachsene Frau ist zwar hier in Kostheim aufgewachsen, stammt aber nicht aus der Branche. Sie ist Bankerin, ihr Mann Wirtschaftsprüfer, beide haben 2010 das kleine Unternehmen übernommen, weil sie die Enkel der Gründer persönlich kannten. Es war ein lange überlegter Schritt mit dem Ziel, als Familie wieder mehr Zeit gemeinsam zu verbringen, erinnert sich Kniele und setzt den Rundgang fort: "Hier sind die Destillationen, die Destillationsanlagen, die laufen gerade nicht. Klassisch kommt es aus dem Kräuterbereich. Sämtliche Kräuter, Wurzeln, aber auch Früchte werden verarbeitet."
    Es werde mit rein pflanzlichen Produkten gearbeitet, betont die Firmenchefin - und "komplett Handarbeit", sagt die Chefin, "jedes Kraut, das später in dem Glühweinaroma ist, ist bei uns durch die Hände gegangen, dementsprechend haben Sie auch die Qualität!"
    Neben übermannshohen Stahltanks fallen altmodische Destillen auf, die zu den gewünschten Essenzen führen, mit denen "Martin Mundo" die Kunden beliefert - und zwar "nach alter Sitte durch Destillation, Extraktion und/oder Perkolation der Ausgangsstoffe", wie die Homepage des Unternehmens vermerkt. Da gibt es den Glühwein-Anbieter, der mit gewissen Preisvorstellungen jedes Jahr den exakt gleichen Geschmack haben will, und es gibt den Likörfabrikanten, dem sein Produkt noch nicht rund genug zu sein scheint. Der sucht sich dann Hilfe bei Martin Mundo, berichtet Kniele und nennt ein Beispiel: "Sie haben Pflaumenlikör, der hat immer ein bisschen Nussigkeit durch die Kerne zum Beispiel. Wenn aber der Geschmack nicht ganz rauskommt, weil einfach es eine andere Ernte dieses Jahr war, dann sagt der Kunde zu Ihnen: Schau mal, was hast du gemacht, da stimmt was nicht! Aber Sie möchten ihr Produkt, so wie es ist, dem Kunden wieder zukommen lassen."
    Die Getränke-Industrie wünsche sich identischen Geschmack
    Zu diesem Zweck gibt es sogenannte Typagen und Bonificateure. Verkürzt gesagt: Aroma-Veredler und -abrunder. Zum Beispiel der "Limousinholz-Auszug", der bei Rotwein eine Lagerung im Holzfass simuliert. Oder die "Alterungstypage Letzter Schmiss" in dunkel und hell oder eben der "Pflaumenauszug", der dem Likör sein gewünscht markantes und identisches Aroma verleiht. Einige Bonificateure lagern in großen Tanks im Hochregal der Halle, wie die Aufschrift vermerkt. Aber was steckt drin? Das seien zwei verschiedene Bonificateure, lässt sich Chefin Kniele noch entlocken, das sei jetzt der "Mundo". "Aber ich sag Ihnen nicht, was da drin steckt", wehrt Kniele ab, "das ist Betriebsgeheimnis, eine persönliche Note."
    Die Getränke-Industrie wünsche sich identischen Geschmack und dass jede Flasche gleich aussieht, sagt Kniele. Während bei den Apotheken, denen Mundo Extrakte für ihre Natur-Medizin liefert, durchaus Trübungen und Uneinheitlichkeit erwünscht seien. Ab und zu komme auch ein Hersteller mit dem Wunsch, ein neues Getränk auf den Markt zu bringen. Da schöpft "Martin Mundo" dann aus Erfahrung und mixt die richtigen Aromen im Sinne des Kunden und der erhofften Marktgängigkeit: von Ananas bis Zimt, von Myrrhe bis Mandel, von Pomeranzen bis Schlehe. Beispiel "Hugo". Auch dieser Erfolgs-Aperitif wird irgendwann zum Auslaufmodell. Etwas Neues muss her, denkt sich der Hersteller. Auch hier könnte die altertümliche Hexenküche von "Martin Mundo" gefragt sein. Denn bei aller Treue der Bestandskunden, das lässt Sandra Kniele durchblicken, sei es schwer, neue Kunden für ihr kleines verstecktes Marktsegment zu akquirieren.