Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


Ester Kaplan: With God on Their Side

Als George W. Bush nach der letzten Präsidentschaftswahl endgültig zum Sieger ausgerufen wurde, hatte er, wenn schon nicht die Mehrheit seiner wählenden Landsleute, so doch den Obersten Gerichtshof auf seiner Seite. Das scheint ihm allerdings nicht zu reichen: Die Unterstützung seines christlichen Gottes scheint für den Wahlkampf mindestens ebenso entscheidend zu sein. Bush, früher eher als Hallodri aus reichem Hause bekannt, wird heute nicht müde, sich meist in Begleitung der Familie beim Beten und anderen frommen Tätigkeiten ablichten zu lassen. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass so viele US-Bürger am demokratischen Prozess überhaupt nicht mehr teilnehmen, hat die konservative christliche Rechte an politischem Gewicht beträchtlich gewonnen. Sie zählt zu den zuverlässigen Unterstützern des republikanischen Kandidaten, der ihr im Gegenzug entsprechende politische Zusagen macht. Viele US-Amerikaner sehen in dieser Entwicklung eine Gefahr für eine tolerante und weltoffene demokratische Gesellschaft. Zu ihnen zählt auch die Publizistin Ester Kaplan, die jetzt kurz vor der Wahl eine Analyse der christlichen Fundamentalisten und ihrer Rolle für die Bush-Politik veröffentlich hat.

Von Tom Schimmeck | 25.10.2004
    Die Flut Bush-kritischer Bücher hat in amerikanischen Buchhandlungen jetzt, kurz vor der Wahl, ihren Höchststand erreicht. Eine gewaltige Schar von en beleuchtet Wesen und Treiben des nun zur Wiederwahl antretenden Präsidenten. Viele dieser Produkte sind in dem Bestreben entstanden, der Welt und vor allem dem US-amerikanischen Wähler noch einmal schnell zu erklären, zu welch einer Katastrophe sich die Ära Bush ausgewachsen hat. Ein paar Stars der Rechten – zumeist bekannte Stimmen der militant republikanischen "Talk Radio"-Stationen und des Murdoch-Senders "Fox News" – halten mit Verve dagegen, zielen routiniert auf alles, was ihnen "liberal" und also verdächtig erscheint. Dieser Wahl-Kampf ist zu einer mit aller Härte geführten Schlacht geworden, in der kaum noch Raum zum Atmen bleibt. Die Nation ist tatsächlich tief gespalten. Die Bastionen sind Welten entfernt, Toleranz, Humor und auch jede Menge Geist auf der Strecke geblieben.

    In diesem rabiaten Umfeld fällt das einzelne Werk kaum mehr auf. Vor allem nicht, wenn es sich um die minutiöse Analyse eines Teilaspektes des amerikanischen Geschehens handelt, der nicht unmittelbar mit Terror und Irak-Krieg zu tun hat. Wiewohl sich auch Esther Kaplans Buch With God on Their Side – Mit Gott an ihrer Seite – dem Fundamentalismus zuwendet. Hier aber ist vom christlichen Fundamentalismus die Rede, einer Kraft, die in den USA seit vielen Jahren nach mehr politischem Einfluss strebt und sich jetzt, unter George Walker Bush, dem wiedergeborenen Christen, der, nach eigenem Bekunden, in göttlichem Auftrag Präsident wurde, am Ziel ihrer Träume wähnt.

    Schon in der Unterzeile des Buchtitels verrät uns die Journalistin Kaplan, dass sie dieser Kraft äußerst skeptisch gegenübersteht. "How Christian Fundamentalists Trampled Science, Policy and Democracy in George W. Bush's White House" – Wie christliche Fundamentalisten in Bushs Weißem Haus Wissenschaft, Politik und Demokratie mit Füßen traten.

    Das ist nicht abwegig. Tausende US-Akademiker protestieren gegen den nonchalanten bis brachialen Umgang der Regierung Bush mit der Wissenschaft und warnen vor den Folgen für Bildung, Gesundheit, Umwelt und selbst die militärische Sicherheit. Im Frühjahr rügten auch 20 Nobelpreisträger, dass diese Regierung immer dann, wenn wissenschaftliche Erkenntnis ihrem politischen Streben im Wege steht, sich für ihre Ideologie und gegen die Fakten entscheide. Man findet heute gerade unter amerikanischen Wissenschaftlern besonders viele empörte Bush-Gegner. Nicht selten sind es eigentlich konservative, aber nüchterne Köpfe, die nicht fassen können, in welchem Ausmaß Ministerien und der staatliche Wissenschaftsbetrieb von einer Schar unseriöser Eiferer gekapert werden konnten. Und dass ausgewiesene Fachleute in wichtigen Beiräten und Kommissionen zunehmend gegen ahnungslose, aber bibelfeste Bush-Krieger ausgetauscht werden.

    Im Vorwort erzählt die Jüdin Esther Kaplan von ihrer Jugend in King's Valley, einer Kleinstadt in den Wäldern Oregons, in der alle – außer ihrer Familie - Christen waren. Eine Schulfreundin glaubte, Juden seien fremdartige, gehörnte Kreaturen. Mancher Spielnachmittag verwandelte sich in eine Bibelstunde. Dennoch war es ein harmonisches Zusammenleben. Sie erlebte keine Feindseligkeit. Da war nur dieses völlige Unverständnis, dass es Menschen geben kann, die einen anderen Glauben haben.

    Viel später erst habe sie, schreibt Kaplan, "die härtere Seite des christlichen Fundamentalismus kennengelernt". Es geschah bei einer Trauerfeier in San Francisco, für einen Journalisten, der über AIDS geschrieben hatte und an der Krankheit gestorben war. Da erschien ein Baptisten-Prediger aus Kansas mit ein paar Anhängern an der Tür. Sie fuchtelten mit Schildern, auf denen Sprüche standen, die alle Homosexuellen zur Hölle wünschten. Ein Slogan lautete: "Gott hasst warme Brüder."

    Die in rührt nicht an die Rolle des christlichen Glaubens im amerikanischen Alltagsleben – was in diesem Land der unzähligen Kirchen und Sekten auch eine Betrachtung wert wäre. Sie widmet sich ausschließlich der von einer äußerst strikten Bibelauslegung und einer beträchtlichen Portion Fanatismus getriebenen politischen Bewegung der christlichen Rechten in den USA und deren Einfluss auf das Handeln der Regierung. Das tut sie mit Akribie, reiht derart viele Beispiele aneinander, dass einem zuweilen ganz schwindelig wird ob der Fülle. An Fleiß und intensivem Quellenstudium hat es hier nicht gemangelt – wie auch ein üppiger Fußnotenapparat belegt.

    Doch man spürt bei der Lektüre die derzeit schon ans Hysterische grenzende Atmosphäre der politischen Auseinandersetzung in den USA. Allzu atemlos häuft die in in manchen Passagen Beleg auf Beleg, so als fürchte sie, jeden Augenblick von einem Bush-Advokaten einer zu dünnen Beweislage überführt zu werden oder tatsächlich jener ewigen Verdammnis anheim zu fallen, mit der die Superchristen ihre Gegner bedrohen. Ein bisschen mehr Gelassenheit ist in Amerika derzeit vielleicht zuviel verlangt.

    In der Summe aber ist das Buch ein echter Gewinn. Hilft Kaplan doch, eine Fülle loser Enden zu verknüpfen, die vielen interessierten, aber verwirrten Beobachtern der USA vor der Nase baumeln. Sie führt den Leser durch den Dschungel der Lobbygruppen, all dieser Associations und Foundations, die jetzt einen direkten Draht ins Oval Office haben und so klangvolle Namen tragen wie Focus on the Family, Family Research Council oder Concerned Women for America.

    Es ist eine wilde Safari. Denn der christlichen Rechten geht es längst nicht mehr allein um das Thema Abtreibung – ein Streit, der in den USA in den 70er Jahren so richtig begann und, auf religiöser Seite, bisweilen mit Bombenanschlägen auf Kliniken und Attentaten auf verdächtige Ärzte weitergeführt wird. Christliche Fundamentalisten reden heute lautstark in Bildung und Wissenschaft mit, auch in der Sozial- und der Außenpolitik der Weltmacht USA. Kaplan hat hier nicht nur das verfügbare Papier zusammengetragen, sondern auch viele Gespräche geführt. So gelingt es ihr zuweilen, sich in die Köpfe der Akteure wirklich hinein zu fragen und zu denken. Das hilft uns, die Triebkräfte dieses umfassenden Kreuzzuges ein wenig besser zu verstehen.

    Sexual- und auch Aids-Aufklärung in den USA werden zunehmend auf das Predigen von Abstinenz vor der Ehe reduziert, gekrönt durch Jungfrau-Schwur-Zeremonien für junge Mädchen. Ein Modell übrigens, das Washington, zum Entsetzen vieler Experten, weltweit zu exportieren wünscht. Drogentherapie, Sozialdienste und andere Reste des Wohlfahrtsstaates wiederum würden viele Republikaner am liebsten komplett an die Kirchen zurückreichen.

    Erhellend sind Kaplans Recherchen zum Zusammenwirken von jüdischen Lobbygruppen und christlichen Fundamentalisten in der Nahostpolitik. Warum setzen sich rechte Christen in den USA so vehement für den Staat Israel ein? Weil sie, erklärt Kaplan, den jüdischen Staat Israel als eine notwenige Zwischenstation sehen auf dem Weg zur Erfüllung ihrer Prophezeiung. Gründung und Gedeihen Israels sind in dieser Weltsicht nur das Präludium zur Wiederkehr Jesus auf Erden. Der dann aber nur die Seinen gen Himmel mitnehmen wird. Allen Ungläubigen droht ein schreckliches Schicksal.

    Während die meisten amerikanischen Juden einen unabhängigen palästinensischen Staat unterstützen, so Kaplan, stemmt sich die christliche Rechte gegen jede Verhandlungslösung; beharrt darauf, dass jeder Quadratmeter des biblischen Landes unter jüdischer Kontrolle bleibt. Die Beseitigung Saddam Husseins übrigens, das nur nebenbei, gefällt ihnen vor allem deshalb, weil sie – Zitat – "den Weg frei macht für den Wiederaufbau Babylons".

    Folgenreich ist auch die bittere UN-Feindlichkeit der evangelischen Ultras. Schon lange erscheinen die Vereinten Nationen in ihren Pamphleten als Bollwerk der Abtreibung, des Feminismus, der Homosexualität und des Sozialismus. Unter der Regierung Bush II. aber haben die Fundamentalisten Zugang zur UNO gefunden, sind als NGOs registriert und geben in wichtigen US-Delegationen mittlerweile den Ton an. Kaplan beschreibt, wie die USA im Vorfeld der Weltkinderkonferenz 2002 halb Südamerika zu erpressen suchten, um ihre neue Sprachregelung durchzuboxen – erfolglos - und schließlich in einer wahrlich kuriosen Allianz mit Libyen, dem Sudan, dem Iran und dem Heiligen Stuhl endeten. Ein Leckerbissen für politische Feinschmecker. Übrigens gelang es den US-"Lebensschützern" auf dieser Konferenz auch, ein Verbot der Todesstrafe für Minderjährige zu vereiteln.

    Zuweilen ist die Lektüre dennoch amüsant. Etwa, wenn man liest, dass eine der ersten Amtshandlungen des Justizministers Ashcroft darin bestand, den Busen der steinernen Justitia in der Eingangshalle verhüllen zu lassen. Oder dass im Buchladen am Grand Canyon jetzt, auf Betreiben religiöser Zeloten, auch ein Buch mit dem Titel A Different View erhältlich ist. Darin lernt der Naturfreund, dass der Canyon nicht etwa vor Jahrmillionen entstand, sondern erst vor wenigen tausend Jahren – bei jener Sintflut, die Noah mit seiner Arche überlebte.

    Tom Schimmeck war das über 'With God on Their Side’ von Ester Kaplan. Das Buch ist bei The New Press in den USA erschienen, hat 336 Seiten und kostet 24.95 $. Man kann sich übrigens das Buch problemlos im Internet bestellen und ins alte Europa schicken lassen.