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Estland
Die digitale Lokomotive Europas

Estland übernimmt erstmals den EU-Ratsvorsitz und will vor allem die Digitalisierung Europas vorantreiben. Doch es warten auch andere schwierige Themen und Herausforderungen auf den baltischen Staat.

Von Thomas Otto | 01.07.2017
    Luftaufnahme von der estnischen Hauptstadt Tallinn.
    Luftaufnahme von der estnischen Hauptstadt Tallinn. (picture alliance / dpa / Mika Schmidt)
    In Estland ist man stolz auf seine Vorreiterrolle bei der Digitalisierung. Unter anderem bei der digitalen Verwaltung oder der Netzanbindung generell ist Estland den meisten EU-Ländern weit voraus. Mit dieser Expertise will die estnische Ratspräsidentschaft den Plan der Kommission eines digitalen Binnenmarktes entscheidend voranbringen, so Estlands Ministerpräsident Jüri Ratas: "Ein digitaler Binnenmarkt würde 400 Milliarden Euro zur Europäischen Wirtschaft beitragen und tausende neue Arbeitsplätze schaffen."
    Unter anderem ist für Ende September ein Digital-Gipfel geplant, zu dem sich die EU-Staats- und Regierungschefs - allerdings in ganz analoger Form - in der estnischen Hauptstadt Tallinn treffen werden.
    "Das digitale Europa und der freie Datenverkehr wird eines der Hauptthemen der estnischen Präsidentschaft sein. Wir wollen, dass der freie Datenverkehr zur fünften Grundfreiheit der EU werden wird", so Regierungschef Ratas. Die EU-Kommission will dazu nach der Sommerpause einen Vorschlag vorlegen. Ziel ist es, dass möglichst viele rechtliche Hürden abgebaut werden, damit Daten von einem Land ins andere übertragen werden können. Die Kommission erhofft sich, damit die Datenwirtschaft anzukurbeln.
    Estlands Regierungschef Jüri Ratas
    Estlands Regierungschef Jüri Ratas (Leon Tanguy/MAXPPP/dpa)
    Seit Amtsantritt der Juncker-Kommission hat der Vizekommissionspräsident für den Digitalen Binnenmarkt, der Este Andrus Ansip, 35 Gesetzgebungsakte auf den Weg gebracht. Estland habe das Ziel ausgegeben, zusammen mit den beiden folgenden Präsidentschaften diese 35 Dossiers bis zum Ende kommenden Jahres fertigzustellen, betonte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker beim gestrigen Besuch in Tallinn.
    "Als ehemaliger Premier eines anderen kleinen Landes kann ich Ihnen versichern, dass die Präsidentschaften kleiner Länder die Erfolgreichsten sind", scherzte Juncker.
    Auseinandersetzung mit Brexit-Verhandlungen
    Dass das nicht immer zutrifft, zeigt die maltesische Ratspräsidentschaft, die gestern zu Ende ging. Zwar gelang es den Maltesern, einige Themen während ihrer sechs Monate zum Abschluss zu bringen, wie die Reform der Öko-Verordnung. Beim Kampf gegen Steuervermeidung musste sich die Regierung in Valletta aber dem Vorwurf aussetzen, zu den Bremsern zu gehören – auch wegen einer Affäre um Premier Joseph Muscat, dessen Frau eine Offshore-Firma besitzt. Und auch beim Kernthema der maltesischen Präsidentschaft, Flüchtlinge und die Asyl-Reform, gab es nur wenige Fortschritte – beklagt Jean-Claude Juncker.
    "Die Reform des gemeinsamen europäischen Asylsystems dauert zu lange. Ich hoffe, dass wir dort endlich Einigkeit erzielen werden innerhalb der nächsten sechs Monate."
    Tallinn (Estland): Das ehemalige Schloss auf dem Domberg in der estnischen Hauptstadt Tallinn ist heute Sitz des Parlaments (Foto vom 24.05.2004).
    Tallinn (Estland): Das ehemalige Schloss auf dem Domberg in der estnischen Hauptstadt Tallinn ist heute Sitz des Parlaments. (picture alliance / dpa / Zentralbild / Peer Grimm)
    Die Verteilung von Flüchtlingen aus Griechenland und Italien ist auch im vergangenen halben Jahr nicht wirklich angelaufen. Bei der Neuregelung des Asylsystems sind sich die Mitgliedsstaaten in einigen der bisher offenen Punkte zwar einig geworden.
    Aber, so antizipiert die estnische Botschafterin bei der EU, Kaja Tael: "Was mehrere andere Gesetzgebungsakte angeht, werden diese nicht über die Arbeitsebene hinausgehen. Das betrifft die Regeln der Asylverfahren und das schwierigste Thema: die Dublin-Reform. Das Kern-Problem hier ist die Definition des Begriffs Solidarität. Ich kann ihnen nichts versprechen, da gibt es keine schnelle Lösung."
    Neben einem ganzen Bündel an anderen Themen, wie Sicherheit und Klimaschutz wird sich die estnische Präsidentschaft außerdem mit den Brexit-Verhandlungen auseinandersetzen müssen. Bis zum Herbst soll hier bereits eine vorläufige Einigung über die wichtigsten Punkte erzielt werden.