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Estland gespalten über russische Ostsee-Pipeline

Die russische Erdgaspipeline des Unternehmens Nord Stream verläuft durch Russland, Finnland, Schweden und Dänemark. Zwei weitere Röhren sind geplant, die möglicherweise auch durch estnische Gewässer gehen könnten. 2007 hatte sich Estland noch dagegen gewehrt.

Von Birgit Johannsmeier | 17.12.2012
    "Wir sollten Russland in unsere Gewässer lassen und Geld dafür nehmen. Wenn wir es nicht tun, wird Finnland zustimmen und daran verdienen."

    "Ich bin dagegen. Unsere Sicherheit ist in Gefahr. Ich bin 50 und kann mich noch gut an die kommunistische Vorherrschaft erinnern. Wir haben keinen Grund, Russland zu trauen."

    "Diesmal sollten wir zugreifen. Was kann uns Russland schon anhaben? Wir sind seit 21 Jahren ein unabhängiger Staat. Leider wissen wir kaum etwas, denn die Debatten werden nicht offen geführt. Aber ich wäre dafür."

    Tatsächlich ist weder im Rundfunk noch in den Zeitungen von den neuen
    Gasleitungen die Rede, die Moskau durch estnische Gewässer führen will. Beim Bau der ersten Pipeline vor vier Jahren war das anders, erinnert sich Andres Mäe vom estnischen Institut für Außenpolitik. Damals hatte die Regierung über das Für und Wider einer Zusammenarbeit mit Russland laut nachgedacht. Nach ersten Protesten lehnte die Mitte-Rechts-Koalition aber dann doch entschieden ab.

    "Unsere estnischen Politiker haben Angst, dass die Leute wieder Sturm laufen wie vor vier Jahren. Damals wollte niemand etwas mit Moskau zu tun haben."

    Im April 2007 sorgte ein sowjetisches Kriegerdenkmal für Aufregung in Estland. Die Verlegung des sogenannten Bronzesoldaten stieß bei den russischen Einwohnern auf Protest und auf das Missfallen der politischen Führung in Moskau. Zehntausende Russen zogen damals durch die Tallinner Altstadt.ü

    Ein Jahr später wurde mit dem Bau der Ostseepipeline begonnen.
    Leider ohne Estland, bedauert Vadim Belobrovtsev von den oppositionellen Sozialdemokraten. Die konservative Regierung müsse endlich aufhören, Ängste vor Russland zu schüren.

    "Estland ist 21 Jahre unabhängig und sollte langsam die wirtschaftlichen Chancen erkennen, die der russische Nachbarmarkt in sich birgt. Wie Finnland. Auch die Finnen haben eine schwere Geschichte mit Russland, handeln aber nicht so gefühlsbetont wie wir, sondern rational. Mehr als 70 Millionen Euro hat Finnland an der Ostseepipeline verdient. Das Geld hätte auch nach Estland fließen können. Deshalb sollten wir das neue Angebot von Nord Stream nicht ablehnen."

    Drei Autostunden von der estnischen Hauptstadt Tallinn entfernt liegt der Hafen von Sillamäe, kurz vor der russischen Grenze. Zu sozialistischen Zeiten hatte sich die Kleinstadt als Silicon Valley des Ostens einen Namen gemacht. Heute soll hier ein modernes Logistic Zentrum entstehen: zwischen Europa, Russland und Mittelasien. Gründer ist Tiit Vähi. Er hat Estland als Verkehrsminister in die Unabhängigkeit geführt.

    "Das Unternehmen Nord Stream will wie wir mit Russland, Deutschland, den Niederlanden, Belgien und Großbritannien zusammenarbeiten. Das vereint uns. Wenn Estland jetzt wieder die Zusammenarbeit ablehnt, werden wir uns isolieren. Unsere Politiker sollten endlich nach vorne schauen. Wann haben wir das letzte Mal ein russisches U-Boot vor unserer Haustür gesehen? Wir müssen das Kriegsbeil begraben."

    Dieser Appell richtet sich an den estnische Verteidigungsminister. Urmas Reinsalu macht sich Sorgen um die sicherheitspolitische Lage Estlands: Was wäre, wenn plötzlich russisches Militär in estnischen Gewässern auftauchte, um die neue Gaspipeline zu kontrollieren, fragte er öffentlich.

    Estland müsse lernen, selbstbewusst aufzutreten, verlangt dagegen Riina Kaljurand vom Internationalen Zentrum für Verteidigungsstudien. Sie hat der Regierung empfohlen, sich auf die Meeresforschungen zu den beiden neuen russischen Gasleitungen einzulassen.

    "Estland muss es gelingen, von den Russen ernst genommen zu werden. Wir sind in der NATO und in der Europäischen Union, das stärkt unser Rückgrat. Außerdem würde Russland niemals seine eigene Pipeline angreifen. Sie muss Gas liefern und garantiert vielmehr unsere Sicherheit."

    Trotzdem glaubt auch Riina Kaljurand nicht so recht, dass Estland in der kommenden Woche Russland nachgeben wird. In der konservativen Regierung
    in Tallinn sitzen eben überwiegend Hardliner, sagt die Verteidigungsexpertin. Sie hätten vor vier Jahren Nein gesagt und wollten es bestimmt wiederholen.