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Ethiksiegel für Unternehmen

In Zeiten, in denen der Großhandel mit ungedeckten Schecks ganze Volkswirtschaften in die Krise stürzt, klingt ein Moralsiegel für Wirtschaftsunternehmen zunächst mal wie eine gute Idee. Das dachte sich wohl auch TÜV Nord und bietet nun gemeinsam mit dem Ethikverband der Deutschen Wirtschaft eine Zertifizierung der "wirtschaftsethischen Unternehmensführung" an. Kann die technische Überwachung ethischer Fragen den Weg aus der Krise weisen oder auch nur feststellen, dass die Bremsen nachgestellt werden müssen?

Von Hans-Joachim Lenger | 06.05.2009
    Im Ethikverband der Deutschen Wirtschaft regen sich Sorgen. Alle Welt beklagt seit einiger Zeit die ethischen Defizite der bestehenden Wirtschaftsordnung, und mittlerweile nimmt diese Klage sogar gefährliche Formen an. Eine allzu starke Benutzung des Wortes "Ethik", so heißt es jetzt in einer Presseerklärung des Ethikverbandes, könne in der Marktwirtschaft nämlich Schaden anrichten. Weshalb er den unverantwortlichen Moralisten auch das Recht streitig macht, von Ethik auch nur zu reden, und beherzt dazu rät, an ihrer Stelle gestandene Fachleute zu Rate zu ziehen.

    Und so kam es, dass man sein Unternehmen jetzt nicht nur technisch, sondern auch ethisch zertifizieren lassen kann - und zwar von jener Institution, die für Zertifikate nun mal zuständig ist: nämlich vom Technischen Überwachungsverein, kurz TÜV genannt. Bislang zertifizierte der ja nur Schadstoffemissionen von Kraftfahrzeugen, den Zustand der Bremsen oder Reifen; und auch technische Einrichtungen und Anlagen kamen ohne Zertifikate des TÜV nicht aus. Nunmehr aber sieht sich dessen Tätigkeitsfeld überraschend verschoben, vom Physischen gleichsam ins Metaphysische erweitert. "TÜV NORD CERT", so heißt es stolz in einem Werbeprospekt, "ist das erste Unternehmen in Deutschland, das eine Zertifizierung wirtschaftsethischer Unternehmensführung in Kooperation mit dem Ethikverband der deutschen Wirtschaft e.V. anbietet." Die ethische Überprüfung und Zertifizierung funktioniert - strikt technisch, also objektiv - nach DIN ISO 9001 oder DIN ISO 14000, in denen Standards für ein qualitativ hochwertiges Management zusammengefasst sind. Und wer sich demnächst als Unternehmer einem "Auditing", einer Auswertung und einigen Feedbackgesprächen unterzieht, kann bald schon als stolzer Besitzer einer vom TÜV NORD ausgestellten Urkunde von dannen ziehen, die die eigene ethische Unanfechtbarkeit bezeugt.

    Mehrere hundert Jahre Philosophiegeschichte, ganze Bibliotheken, die Fragen der Ethik gewidmet wurden, sehen sich derart auf einen Schlag in Makulatur verwandelt. Denn wozu brauchen wir noch Kant, wo wir den TÜV haben? Und wer wollte dem Räsonnement ganzer Generationen von Geisteswissenschaftlern noch folgen, wo die Antworten in Form von DIN ISO 9001 und 14000 doch längst vorliegen? "Gut gehende Geschäfte, zufriedene Kunden und hoffnungsfroh stimmende Ertrags- und Wachtumsaussichten - davon träumt wohl jeder Unternehmer", schreibt der TÜV NORD. Und weil man seinen Träumen bekanntlich treu bleiben soll, wird die Ethik jetzt ebenso gecheckt wie ein Auspuff, eine Kupplung oder eine Achsaufhängung.

    Es müsste doch mit dem Teufel zugehen, könnte der Ethikverband das lästige Gerede von der "Ethik" nicht aus dem Verkehr ziehen wie ein Fahrzeug, das die Sicherheit im Straßenverkehr bedroht.