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EU-Afrika-Gipfel
"Unsere Handelspolitik ist wirklich unfair"

Die Grünen-Politikerin Franziska Brantner befürchtet, beim EU-Afrika-Gipfel werde es erneut eher um Fluchtbekämpfung statt um Fluchtursachenbekämpfung gehen. Europa produziere aber selbst Flüchtlinge, etwa durch seine Handels- und Agrarpolitik und die Unterstützung von Diktatoren, sagte Brantner im Dlf.

Franziska Brantner im Gespräch mit Mario Dobovisek | 29.11.2017
    Die Grünen-Politikerin Franziska Brantner ist Bundestagsmitglied und Sprecherin ihrer Fraktion für Kinder und Familienpolitik
    Die Grünen-Politikerin Franziska Brantner (picture alliance/ dpa/ Soeren Stache)
    Mario Dobovisek: Afrika und Europa haben ein gemeinsames Problem. Die Jugend Afrikas stimmt mit den Füßen ab und wandert Richtung Europa. Deshalb soll sich der EU-Afrika-Gipfel ab heute vor allem mit Investitionen in die Jugend befassen und außerdem die Zukunft der Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Afrika beraten. Wichtige Themen dürften der Handel sein, die Sicherheit und die Migrationspolitik. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel wird teilnehmen.
    Am Telefon begrüße ich Franziska Brantner, für die Grünen im Bundestag, zuvor im Europäischen Parlament. Seitdem befasst sie sich auch mit der Situation in Afrika, leitete im Bundestag den Unterausschuss für Krisenprävention. Guten Morgen, Frau Brantner.
    Franziska Brantner: Guten Morgen, Herr Dobovisek.
    Dobovisek: Beim letzten Gipfel ging es vor allem um die Wirtschaft. Rücken jetzt wieder die Menschen in den Vordergrund?
    Brantner: Das ist ja kaum trennbar, Wirtschaft und Menschen. Der Gipfel hat eigentlich zum Ziel, sich um die afrikanische Jugend zu kümmern, und die ist mittlerweile durchaus ganz gut ausgebildet und braucht aber Jobs. Natürlich hat das dann etwas mit der Wirtschaft zu tun. Meine Befürchtung ist, ehrlich gesagt, dass dieser Gipfel sich hauptsächlich wieder um Fluchtursachen-Bekämpfung wenig kümmern wird und stattdessen in Hauptsache Fluchtbekämpfung machen wird. Das sind die Töne, die man auch in den letzten Tagen immer wieder gehört hat. Die Afrikaner haben sich dagegen verwahrt, haben stattdessen darauf gezeigt, was an Versklavung gerade in Libyen stattfindet. Um Menschen wird es gehen. Die Frage ist nur, wie.
    "Wir sind selber mitverantwortlich"
    Dobovisek: Fluchtursachen bekämpfen. Wie aus Ihrer Sicht?
    Brantner: Europa produziert durch seine Handelspolitik, Agrarpolitik, unsere Rüstungsexporte oder die Unterstützung von korrupten Diktatoren selber Flüchtlinge. Wir sind selber mitverantwortlich dafür, wenn Lebensgrundlagen in Afrika zerstört werden für Kleinbauern. Es gibt ja zig Beispiele, vom Hühnerfleisch angefangen, wo wir Hunderte von Millionen Kilogramm exportieren zu Dumpingpreisen und die Märkte vor Ort kaputtmachen, Tomatenmark, Milchpulver. Unsere Handelspolitik ist wirklich unfair. Das könnten wir jetzt endlich mal ändern und damit auch wirklich effektiv Fluchtursachen bekämpfen und jungen Menschen in Afrika eine Perspektive in Afrika ermöglichen.
    Dobovisek: Das klingt nach einem langwierigen Prozess. Jetzt hören wir zum Beispiel von der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini, Europa wolle nicht mehr bloß Geber sein, Afrika nicht mehr bloß Empfänger, sondern es geht um Partnerschaft zwischen Afrika und Europa auf Augenhöhe. Kann das gelingen?
    Brantner: Das muss gelingen. Wir müssen wegkommen von der ehemaligen, immer noch kolonial auch geprägten Haltung gegenüber Afrika. Sie hatten gerade gesagt, es dauert lange, bis man Handelsbeziehungen ändert. Das geht manchmal sehr schnell, wenn man das will. Wir könnten mehr Olivenöl aus Tunesien importieren. Wir könnten anderen Ländern ermöglichen, auch wieder Zölle zu erheben gegen billigen Import von Hühnerfleisch, oder bei uns den Export besser regeln, unsere Agrarpolitik ändern. Das heißt, das sind Dinge, die nicht im Unmöglichen sind, sondern ganz konkret Leben verändern könnten in Afrika.
    Wie wichtig ist Europa eine stabile Entwicklung in Tunesien?
    Dobovisek: Aber bleiben wir bei dem Beispiel, das Sie genannt haben mit dem Olivenöl. Da würden sofort die Spanier, die Griechen, die Italiener auf die Barrikaden gehen, denn sie haben ihre eigenen Produktionen an Olivenöl und sehen sich dann in Gefahr. Wie wollen Sie das lösen?
    Brantner: Da haben Sie komplett recht. Das hat Auswirkungen bei uns auf den europäischen Agrarmarkt. Dann bräuchten wir eine Solidarität im Rahmen der europäischen Agrarpolitik. Das ist die absolut berechtigte Forderung der südeuropäischen Länder. Wir als Europäer gesamt müssten uns überlegen, ob eine demokratische und stabile Entwicklung Tunesiens für uns so wichtig ist, dass wir bereit sind, das dann auch zu finanzieren. Ich glaube, es ist in unser aller Interesse, dass Tunesien, wo die demokratischen Versuche bis jetzt noch am ehesten funktionieren, nicht abrutscht wieder in Chaos und Instabilität. Die Frage ist nur, ob wir es schaffen, das rechtzeitig jetzt anzugehen, ob es uns das wert ist, oder ob wir uns in ein paar Jahren dann beschweren, dass zu viele Menschen aus Tunesien den Weg zu uns suchen.
    Dobovisek: Europas Schicksal und Zukunft entscheide sich auf dem afrikanischen Kontinent, sagt Entwicklungsminister Gerd Müller von der CSU. Hat er recht?
    Brantner: Unsere Schicksale hängen eindeutig stark zusammen. Das haben sie schon immer. Heute kann es keiner mehr leugnen, dass die Entwicklungen auf dem afrikanischen Kontinent direkte Konsequenzen für uns haben. Jetzt sollten wir auch entsprechend handeln. Und es reicht eben nicht: Natürlich sind Gelder immer wichtig und notwendig, aber es muss weitergehen. Wir müssen unsere eigene Politik bei uns auch ändern mit den Konsequenzen für den afrikanischen Kontinent. Es geht in beide Richtungen. Auch unser Handeln hat direkte Auswirkungen in Afrika. Da müssen wir jetzt ran, das könnten wir ändern. Das würde auch eine Partnerschaft auf Augenhöhe wirklich bedeuten.
    "Unsere Lebensweise hat Konsequenzen in Afrika"
    Dobovisek: Warum, glauben Sie, war es in den letzten Jahren, in den letzten Jahrzehnten anders?
    Brantner: Weil es immer ganz praktisch ist, wenn unsere Produzenten ihre Produkte dann noch loswerden, daran verdienen können. Ein anderes Beispiel ist, dass unsere Fischerei-Industrie bei uns die Meere leergefischt hatte und es dann ganz praktisch war, auch vor Westafrika die Küsten leerzufischen. Das hat natürlich auch mit den Konsumenten von uns zu tun, dass wir es gut finden, wenn wir günstigen Fisch in dem Beispiel haben und weiter konsumieren können. Das hat viel mit unserer eigenen Lebensweise zu tun, die auch Konsequenzen in Afrika hat, die sich dann wieder eines Tages bei uns finden.
    Dobovisek: Schauen wir uns noch mal das Partnerschaftliche an, das auch Sie ja offensichtlich anstreben. Afrika, ein sehr junger Kontinent, regiert allerdings von Alten. In den 55 Mitgliedsstaaten der Afrikanischen Union sind 20 Präsidenten älter als 70 Jahre. Der 21. und älteste war bis vergangene Woche Robert Mugabe aus Simbabwe mit stolzen 93 Jahren. Wir sprechen eher über Autokraten als über Demokraten. Wie verlässlich können die als Partner sein?
    Brantner: Wir haben in vielen afrikanischen Ländern de facto noch Diktatoren oder Autokraten, die seit Jahren und Jahrzehnten herrschen, und die Frage ist jetzt, ob die Europäer in ihrem "Kampf" gegen Flüchtlinge – ich mag das Wort nicht – wieder auf diese alten Autokraten setzen und mit ihnen kooperieren, statt auch jene Kräfte in den Ländern zu unterstützen, die sich endlich auf den Weg machen, die den Mut haben, ihr Land voranbringen zu wollen. Ich hoffe, dass die Europäische Union nicht wieder den Fehler macht, nur noch auf Autokraten zu setzen. Das wäre ein großer Fehler. Wir sehen das ja auch zum Beispiel gerade in Ägypten. Al-Sisi geht dort mit aller Härte gegen jegliche politischen Gegner vor, und das hat nicht zu weniger Terrorismus geführt, sondern mehr gebracht. Ich hoffe, dass wir da nicht die alten Fehler der Vergangenheit wiederholen.
    "Schwieriger Kompromiss in Jamaika-Sondierung"
    Dobovisek: Aber diese Fehler macht ja die grüne Partei genauso, denn das, was wir aus den Jamaika-Sondierungen gehört haben, ist, dass die grüne Parteispitze bereit war, die nordafrikanischen Staaten als sichere Herkunftsländer zu akzeptieren.
    Brantner: Das war einer der schwierigen Kompromisse, die mit auf dem Tisch lagen, die nicht zustande gekommen sind. Aber ein Land als sicheres Herkunftsland zu akzeptieren, bedeutet doch nicht, zum Beispiel mit ihm Sicherheitskooperationen im Polizeibereich zu machen, wie das Deutschland immer noch gerade mit Ägypten tut. Das war immer noch eine der offenen Fragen, wo wir gesagt haben, wenn al-Sisi weiter zum Beispiel alleinerziehende Mütter einfach ins Gefängnis steckt, dann können wir mit diesem Regime nicht die Sicherheitskooperation weiterführen. Das sind die Dinge, die wir meinen, wenn es um konkrete de facto Unterstützung der Sicherheitsagenturen, der Grenzschützer dieser Länder geht, ohne dass wir noch auf Menschenrechte gucken. Das ist de facto kontraproduktiv und wir werden dafür relativ mittelfristig dann auch schon den Preis dafür zahlen.
    Dobovisek: Ein anderes außenpolitisches Thema, das uns heute Morgen beschäftigt: Nordkorea testet wieder eine Langstreckenrakete und sagt dieses Mal, man könne ab sofort das gesamte Gebiet, das gesamte Territorium der USA erreichen. Bereitet Ihnen das Sorge?
    Brantner: Die gesamte Entwicklung mit Nordkorea und den USA bereitet uns große Sorgen. Es ist einer der Konflikte, wo man denkt, man hat kein Vertrauen darin, dass deeskalierende Kräfte wirklich sich durchsetzen können. Und ich finde, man kann jetzt nur hoffen, dass auch die ganzen Europäer sich gegenüber Trump dafür einsetzen werden, die Spirale der Eskalation nicht weiterzutreiben. Ich glaube, man muss sehr ernst nehmen, dass er immer wieder spekuliert auch mit dem nuklearen Erstschlag gegenüber Nordkorea und dass man auch alles dafür tun muss, dass es nicht soweit kommt. Trump ist da auf einem Eskalationskurs, der nur gefährlich sein kann. Da müssen wir als Europäer ganz klar zusammenstehen und sagen, den tragen wir nicht mit.
    Dobovisek: Wie sollte die Weltgemeinschaft jetzt reagieren?
    Brantner: Ich finde, man muss alle zur Ruhe rufen und zu weiteren Verhandlungen und klar machen, dass ein Nuklearkrieg im 21. Jahrhundert eigentlich gar nicht mehr denkbar sein sollte und wir deswegen alle eine Verantwortung haben, hier zu Abrüstung zu kommen. Wir könnten auch in Europa dafür Schritte leisten. Das war übrigens eine der Sachen, die wir auch versucht hatten zu erreichen in Jamaika: keine Modernisierung der Atomwaffen auch bei uns. Ich glaube, wir müssen da natürlich auch aus Europa Zeichen setzen. Generell geht es jetzt erst mal darum, den konkreten Konflikt zwischen Nordkorea und USA/Trump – so würde ich es wirklich sagen – zu deeskalieren.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.