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EU-Ausländer in Deutschland
Kindergeld-Regelung wohl nur auf europäischer Ebene

Die Frage, ob Deutschland das Kindergeld für EU-Ausländer kürzen und den Lebensverhältnissen in den Heimatländern anpassen sollte, spaltet die Koalition in Berlin. Dabei befürworten die Regierungsparteien grundsätzlich eine Änderung, der Weg dahin ist aber umstritten - und er führt wohl nur über Brüssel.

Von Barbara Schmitt-Matern | 15.03.2017
    Ein Schild "Hier sind wir zuhause" in verschiedenen Sprachen hängt am 12.08.2015 in Duisburg (Nordrhein-Westfalen) auf der Straße. Händlern brechen die Geschäfte weg, Familienclans reklamieren die Gegend für sich.
    Städte wie Duisburg sind seit Jahren von den Folgen der Armutszuwanderung aus Osteuropa betroffen. (picture alliance/dpa/Maja Hiti)
    Städte wie zum Beispiel Duisburg sind seit Jahren von den Folgen der Armutszuwanderung aus Osteuropa betroffen: Mithilfe von Verwandten oder aber von Schlepperbanden kamen Tausende von EU-Bürgern vor allem aus Rumänien und Bulgarien ins Ruhrgebiet. Wegen des Streits um verwahrloste Schrottimmobilien, in denen die Armutsflüchtlinge unterkamen, war der soziale Frieden in einigen Stadtvierteln 2013 bedroht.
    Als nächstes erhielt die Debatte innerhalb der Europäischen Union neuen Auftrieb, als Großbritannien vor zwei Jahren forderte, das Kindergeld für Arbeitsmigranten aus Osteuropa zu kürzen. Um die Briten vom Brexit abzuhalten, erklärte sich die deutsche Bundeskanzlerin vor einem Jahr solidarisch. Auch sie könne sich eine Kindergeld-Kürzung vorstellen. "So wie die Dinge laufen, werden wir das jetzt in der Koalition überlegen, aber ich kann mir sehr gut vorstellen, dass wir das auch umsetzen für Deutschland", sagte Angela Merkel im Februar 2016. Die zuständige EU-Sozialkommissarin Marianne Thyssen erteilte dem Vorstoß der Briten und Deutschen allerdings frühzeitig eine Absage: "I’m not proposing to sacrifice principle for peanuts."
    Arbeitsministerin Nahles dagegen
    Sie werde das Fairness-Prinzip, das gleiche Lebensverhältnisse in der Europäischen Union für alle Bürger vorsieht, nicht für ein paar Peanuts opfern. Thyssen meinte damit die Einsparungen, die Deutschland oder auch Österreich im Falle einer Kindergeld-Kürzung erzielen würden. Derzeit sind es rund 185.000 Kinder, die etwa in Polen oder Rumänien leben, und für die ihre in Deutschland arbeitenden Eltern Kindergeld erhalten: aktuell 192 Euro im Monat pro Kind. Ein Gesetzentwurf aus dem Bundesfinanzministerium sieht nun vor, dass betroffenen Familien etwa aus Polen, Kroatien oder Bulgarien das Kindergeld um 50 Prozent gekürzt und damit an die Lebensverhältnisse im Heimatland angepasst wird. Genau diese Pläne wollte das Bundeskabinett an diesem Mittwochmorgen eigentlich verabschieden. Doch unter anderem Arbeitsministerin Andrea Nahles, SPD, stemmt sich dagegen. Sie lehnt nationale Alleingänge ab. Eine Kindergeld-Kürzung sei nur auf EU-Ebene möglich, heißt es aus Nahles Ministerium. Noch-SPD-Chef Sigmar Gabriel hatte allerdings erst im Dezember ganz andere Erwartungen bei den Befürwortern geweckt:
    "Es geht darum, dass es Menschen gibt, die Schrottimmobilien aufkaufen. Diese Schrottimmobilien zu unmöglichen Wohnbedingungen an EU-Bürgerinnen und Bürger im Wesentlichen aus Rumänien und Bulgarien vermieten. Und die Menschen haben zum Teil Kinder, die sie aber nicht mitbringen. Und derzeit beziehen sie dafür Kindergeld auf deutschem Niveau. Und darüber finanzieren sich diese (…) Menschenhändler, die EU-Bürger aus diesen Ländern im Wesentlichen hierherbringen, damit sie das Kindergeld abkassieren können."
    Das Prozedere bleibt umstritten
    Inzwischen weitet sich die Diskussion zu einer veritablen Auseinandersetzung zwischen Union und SPD aus – in Regierungskreisen ist von Wahlkampf-Manövern die Rede. Beide Koalitionspartner befürworten im Grunde eine Kürzung des Kindergeldes, doch das Prozedere ist umstritten. Sollte die Bundesregierung einen Alleingang wagen, könnte die EU-Kommission dagegen klagen. Realistisch ist dieses Szenario im Moment nicht. Im Gesetzentwurf von Bundesfinanzminister Schäuble wird darauf hingewiesen, dass eine deutsche Kindergeld-Kürzung nicht vereinbar ist mit EU-Recht.