
In der aktuellen Weltlage scheint es dringend geboten, mit guten Nachrichten nicht leichtfertig umzugehen oder diese gar vorschnell zu entwerten. Doch die Euphorie, die mit dem Beginn der Beitrittsverhandlungen von Albanien und Nordmazedonien mit der Europäischen Union am 19. Juli einhergeht, nährt allzu hohe Erwartungen und programmiert Enttäuschungen. Die wiederum würden nur zu weiterem Missmut führen und das kann ja auch niemand wollen.
17 Jahre hat Mazedonien als Beitrittskandidat auf den heutigen Tag warten müssen, acht Jahre Albanien. Immer wieder hieß es „stop and go“. Und daran tragen mehrere EU-Länder ein gerüttelt‘ Maß an Verantwortung. Griechenland setzte durch, dass Mazedonien den Landesnamen in Nordmazedonien ändern musste, Emmanuel Macron verhinderte Fortschritte, als ihm das Thema innenpolitisch zu heikel wurde. Eine weitere Ost- Südostverschiebung der EU wird in Paris ohnehin kritisch gesehen.
Aktuelle Entwicklung ohne russischen Überfall unwahrscheinlich
Und aktuell baut Bulgarien durch Forderungen hinsichtlich der mazedonischen Sprache und Geschichtsschreibung identitätspolitische Hürden auf, die in ihren Folgewirkungen überzogen und anachronistisch wirken. Und machen wir uns nichts vor: Ohne den russischen Überfall auf die Ukraine wäre die aktuelle Entwicklung höchst unwahrscheinlich gewesen. Die russische Aggression stärkt in Brüssel und den meisten Hauptstädten der EU, die Erkenntnis, was auf dem Spiel steht, wenn Moskau und/oder Peking in den West-Balkan Staaten weiter Fuß fassen.
Gleichzeitig wäre es naiv anzunehmen, dass die West-Balkan-Staaten auf Dauer bewegungslos im Warteraum der Europäischen Union sitzen werden. Noch dazu, da mit der Ukraine und Moldawien jetzt zwei weitere Kandidaten präsent sind, die sich bisher im Blitztempo an die Union annähern und auf zügige Beitrittsverhandlungen hoffen. Kurzum, eine glaubwürdige Dynamik wäre nicht nur richtig, sie wäre überfällig.
Keine Zweidrittel-Mehrheit für den Kompromiss mit Bulgarien in Sicht
Doch die Gefahr, dass es sich hier um eine Scheindynamik handelt, ist groß, denn tatsächlich ist die nächste Verzögerung bereits abzusehen. Die einfache Mehrheit im Parlament von Skopje für den Kompromiss mit Bulgarien am Wochenende reichte zwar, um die heutigen Gespräche in Brüssel zu ermöglichen. Doch weiter geht es nur, wenn auch die nordmazedonische Verfassung geändert wird und da ist die notwendige Zweidrittel-Mehrheit nicht in Sicht. Stop and go, das war die bisherige Brüssel-Erfahrung für die West-Balkan Staaten. Am 19 Juli lief es genau anders herum, aber deshalb nicht viel hoffnungsvoller, frei nach dem Motto: Go and Stop!