Donnerstag, 28. März 2024

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EU-Flüchtlingspolitik
Baerbock (Grüne): Erstaufnahme-Einrichtungen an EU-Außengrenzen einrichten

Die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock hat sich dafür ausgesprochen, Flüchtlings-Zentren an den EU-Außengrenzen einzurichten. Dort sollten die Menschen gescreent und danach fair auf die Länder verteilt werden, sagte sie im Dlf. Wichtig sei, dass die Menschen nicht eingepfercht, sondern human behandelt würden.

Annalena Baerbock im Gespräch mit Jasper Barenberg | 28.06.2018
    Baerbock spricht an einem Rednerpult mit zwei Mikrofonen und dem Logo der hessischen Grünen. Sie hebt gestikulierend den rechten Arm.
    Annalena Baerbock sagte im Dlf, die Grünen unterstützten seit Jahren den Plan, Erstaufnahme-Einrichtungen an den EU-Außengrenzen einzurichten (Frank Rumpenhorst / dpa )
    Jasper Barenberg: Am Telefon ist Annalena Baerbock, die andere Vorsitzende der Grünen. Schönen guten Morgen.
    Annalena Baerbock: Schönen guten Morgen.
    Barenberg: Ist Angela Merkel jetzt schon eine Kanzlerin von CSU-Gnaden?
    Baerbock: Na ja. Man sieht auf jeden Fall, dass diese Regierung alles andere macht als Regieren, sondern dass das ein absoluter Machtpoker ist. Und man sieht ganz, ganz deutlich, dass die CSU zu einem weiteren Rechtsruck auch dieser Regierung beigetragen hat, nicht nur selber bei der Bundeskanzlerin, bei der CDU, sondern leider ja auch bei der SPD. Das ist höchst dramatisch und deswegen sind wir wirklich nicht nur so alarmiert, sondern treibt uns das als Grüne, als eine Partei, die für Humanität und Ordnung steht, auch so um, wie das in dem Beitrag ja auch deutlich wurde.
    "Da hat die deutsche Bundeskanzlerin versagt"
    Barenberg: Die Bundeskanzlerin will ja auf dem Gipfel Vereinbarungen mit anderen EU-Staaten erreichen, möglichst mit allen, dass registrierte Flüchtlinge dort in Europa das Asylverfahren durchlaufen, wo sie auch angekommen sind. Was davon ist Rechtsruck? Was davon ist das Ende einer humanitären Flüchtlingspolitik?
    Baerbock: Wir wissen seit Jahren, dass wir eine gemeinsame europäische Flüchtlingspolitik brauchen, weil Menschen an den Außengrenzen von Europa ankommen und wir ein Verfahren mit dem Dublin-System in Europa hatten, was total unfair und ungerecht war. Die Länder Italien und Griechenland haben lange darauf hingewiesen.
    Es hat dann in 2015 diese Situation gegeben, wo die deutsche Bundesregierung gesagt hat, wir nehmen die Flüchtlinge, die aus Ungarn kommen, über Österreich in Deutschland mit auf, und danach hätte eigentlich die gemeinsame europäische Flüchtlingspolitik im Ernst angegangen werden müssen und da hat auch die deutsche Bundeskanzlerin versagt, weil sie Italien und Griechenland zugesagt hat, wir verteilen jetzt fair und gerecht, und das hat man aber von deutscher Seite dann plötzlich, abrupt abgebrochen und keine Flüchtlinge mehr aufgenommen. Jetzt fordert die deutsche Bundeskanzlerin, weil sie so unter Druck gesetzt wurde von ihrer eigenen Partei, plötzlich wieder Solidarität ein, und das wird so nicht funktionieren. Das ist eins der riesengroßen Probleme, dass in den letzten drei Jahren Frau Merkel auf dieser europäischen Ebene nicht weitergearbeitet hat.
    Und auf der anderen Seite gibt es ja Menschen, die Vorschläge gemacht haben, wie zum Beispiel auch im Rahmen der EU-Kommission und des Europäischen Parlaments, und die liegen jetzt auf dem Tisch und an denen muss man weiterarbeiten und nicht solche Vorschläge jetzt mit einbringen wie Herr Seehofer, dass wir nur noch national agieren, oder so unglaubliche Dinge wie nach Libyen, wirklich in die Hölle zurückzuführen. Das geht für uns nicht, sondern es braucht diese europäische Antwort, und die besteht aber aus vielen unterschiedlichen Fassetten. Wer suggeriert, es gibt die eine Lösung, mit der man alles regeln kann, der spielt den Menschen einfach was vor. – Wir können ja im Detail auf die unterschiedlichen Punkte später noch mal eingehen.
    "Humanität und Ordnung nicht gegeneinander ausspielen"
    Barenberg: Wollte ich gerade, Frau Baerbock. Vielleicht ist es dann ja auch ein guter Weg, Schritt für Schritt gewissermaßen vorzugehen. – Wenn ich mal auf das Konzept der Grünen zur Migrationspolitik schaue. Da steht ja schon in der Überschrift das Schlagwort "Migration steuern". Ist das nicht der gleiche Ansatz, den jetzt auch die Kanzlerin, den jetzt auch die Koalition verfolgt?
    Baerbock: Nein. Wir sagen ganz klar, wir brauchen Humanität und Ordnung. Das sind zwei Seiten derselben Medaille. Das kann man nicht gegeneinander ausspielen. Und es ist immer so, dass in Situationen, wo Menschen vor Krieg, Terror und Gewalt fliehen, dass das natürlich eine Situation ist, die auch eine gewisse Art von Chaos mit sich bringt. Und zu schauen, wie man das einigermaßen so steuern kann, dass man diejenigen, die besonders schutzbedürftig sind, zuerst in Sicherheit bringt, wie man es so schafft, dass man Menschen registriert und dann auch schnell human versorgen kann, das ist die große Herausforderung.
    Da sagen wir ganz klar: Das Recht auf Asyl, das ist nicht relativierbar, das ist nicht verhandelbar. Das ist die Lehre aus der deutschen Geschichte. Deswegen muss man Menschen aus dem Mittelmeer retten. Das ist unsere humanitäre Pflicht. Aber dafür braucht es eine europäische Seenotrettung, das ist der erste Punkt, die man aufbauen muss.
    Dann braucht man an den gemeinsamen Außengrenzen – das ist der zweite Punkt – eine europäische Grenzschutzbehörde, die an den Außengrenzen gemeinsam registriert. Registriert bedeutet, dass es natürlich ein erstes Screening von den Menschen gibt. Es bedeutet aber auch, dass die human untergebracht werden, und das ist das Gegenteil von dem, was heute passiert in den Lagern von Lesbos, wo Menschen im tiefsten Winter in Sommerzelten erfrieren. Auch da hat Angela Merkel in all den Jahren nichts getan.
    Dann braucht es drittens auf dieser Grundlage eine schnelle und faire Verteilung in die unterschiedlichsten Länder Europas, damit Griechenland und Italien nicht alleine gelassen werden, damit sie nicht das tun, was sie jetzt tun, einfach Menschen unregistriert weiter in andere Länder reisen zu lassen. Dafür braucht es den Verteilungsschlüssel.
    Viertens – und das ist das Allerwichtigste – braucht es legale Fluchtwege nach Europa. Es kann ja nicht sein, dass jeder erst übers Mittelmeer kommen muss mit einer absoluten Gefahr, dort zu ertrinken, sondern wir müssen aus den Flüchtlingslagern des UNHCR im breiten Maße Menschen resettlen, das heißt in Kontingenten, die besonders Schutzbedürftigen nicht in wackeligen Booten übers Mittelmeer fahren lassen, sondern sicher mit Flugzeugen nach Europa bringen, wo dann die Asylverfahren auch durchgeführt werden.
    "Wir brauchen eine humane Erstversorgung"
    Barenberg: Als zweiten Punkt hatten Sie ja genannt, dass es im Rahmen einer europäischen Asylbehörde ein erstes Screening, eine Registrierung an den Außengrenzen geben soll. Für mich hört sich das jetzt so an, als unterstützten auch die Grünen, dass es entlang der Außengrenzen der Europäischen Union Zentren geben soll, oder wie immer man das dann nennt, wo alle Flüchtlinge erst mal registriert werden und wo dann gleich am Beginn geprüft wird, ob es ein Schutzbedürfnis gibt oder nicht.
    Baerbock: Wir arbeiten seit langem an diesen europäischen Vorschlägen, wie gesagt, die ja im Europäischen Parlament auch mit den Stimmen der Konservativen und auch mit unseren Stimmen verabschiedet wurden, dass wir an den europäischen Außengrenzen verteilen und vor allen Dingen die Menschen humanitär versorgen. Ja, das unterstützen wir seit Jahren, das haben wir immer wieder gefordert. Dann kommt es aber natürlich schon essentiell darauf an, wie diese Erstaufnahme-Einrichtungen ausgestaltet sind. Die Diskussion haben wir ja auch in Deutschland und wir sagen, es geht überhaupt gar nicht - und das ist unser großer Unterschied zu den jetzigen Hotspots oder auch zu den Vorschlägen von manch anderen -, dass die Menschen eingepfercht wurden, dass Menschen in Lagern sterben, sondern wir brauchen eine humane Erstversorgung, wie wir das in den Ankunftszentren in Deutschland, zum Beispiel in Heidelberg oder in Schleswig-Holstein auch tun.
    Aber die Asylverfahren sollen da nicht durchgeführt werden. Es soll gescreent werden auf Menschen, die Straftäter sind, die schon einmal in der Europäischen Union als Gefährder erkannt wurden. Das heißt, wir brauchen da ein erstes Screening. Aber die Asylverfahren, die müssen dann in den Ländern durchgeführt werden, wo die Menschen danach hinverteilt werden in Europa, denn der Rechtsstaat, das ist eine tragende Säule unserer Europäischen Union, und auch der darf in keinem Maße eingeschränkt werden.
    "Wir brauchen legale Fluchtwege nach Europa"
    Barenberg: Sie haben sich eben vehement gegen eine Idee ausgesprochen, die jetzt auch wieder hervorgeholt wird, nämlich ob man Asylbegehren auch außerhalb Europas prüfen sollte. Sie haben sich klar davon distanziert, so etwas beispielsweise in Libyen zu machen. Aber hat die Idee an sich nicht etwas für sich, das außerhalb der Grenzen der Europäischen Union zu prüfen, wo und unter welchen Umständen auch immer? Denn einen Vorteil hat es ja: Die Menschen begeben sich dann nicht mehr auf den lebensgefährlichen Weg über das Mittelmeer.
    Baerbock: Wir sagen ganz klar, wir brauchen legale Fluchtwege nach Europa, und diese Programme gibt es. Das sind die sogenannten Resettlement-Programme des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen, wo nach gewissen Kriterien in den Flüchtlingsunterkünften genau geschaut wird, welche Menschen können jetzt schnell in Schutz gebracht werden, auch mit Flugzeugen. Es gibt die Möglichkeit, an Botschaften humanitäre Visa zu erteilen, dort wo es noch Botschaften gibt, dass man auch auf legalem Wege einreisen kann. Da haben wir eine Rechtsgrundlage für in Deutschland mit Artikel 23 Aufenthaltsgesetz. Diese legalen Möglichkeiten, die werden nicht genutzt, und all diejenigen, die sagen, wir müssten das doch jetzt mal irgendwie auslagern, die müssen sich fragen lassen, warum nutzen sie diese Resettlement-Programme nicht.
    Wir wollen das. Wir wollen, dass die in einem breiten Maßstab genutzt werden. Aber Sie können doch nicht in einem Flüchtlingslager irgendwo in Afrika, wo derzeit auch noch vollkommen unklar ist, welches Land überhaupt solche riesigen Ankunftszentren macht – alle Länder haben ja schon gesagt, wir werden das definitiv nicht tun, das ist ja exterritoriales Gebiet. Aber wie wollen Sie da auch durchgängige Asylverfahren machen, die wirklich unseren Rechtsstandards entsprechen? – Das heißt, Sie bräuchten Rechtsanwälte, Sie bräuchten Gerichte, Sie bräuchten Widerspruchsfristen. Wenn man das einmal durchdenkt, dann funktioniert das nicht, oder aber man legt die große Axt an an das Asylrecht und sagt, man macht eigentlich gar keine vernünftigen Asylverfahren, und das werden wir Grünen auf keinen Fall unterstützen. Das Recht auf Asyl, die Genfer Flüchtlingskonvention ist eine Lehre, eine Mahnung aus unserer deutschen Geschichte und wir werden dafür immer weiter streiten.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.