Donnerstag, 28. März 2024

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EU-Flüchtlingspolitik und die Slowakei
"Verteilung von Migranten ist definitiv keine Lösung"

Der slowakische Europaabgeordnete Richard Sulík hat die Weigerung seines Landes verteidigt, an der Umverteilung von Flüchtlingen in Europa teilzunehmen. "Das ist unser gutes Recht", sagte er. Eine "Masseninvasion" von Flüchtlingen zuzulassen, sei keine Lösung.

Richard Sulík im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 28.07.2017
    Der Europa-Abgeordnete Richard Sulík im Porträt.
    Die Slowakei werde erst dann mehr Flüchtlinge aufnehmen, wenn die EU die Grenzen dicht mache, erklärte der slowakische Europa-Abgeordnete Richard Sulík im Dlf. (Imago)
    Dirk-Oliver Heckmann: Die Flüchtlingspolitik in Europa schiebt sich in den Vordergrund, je mehr Flüchtlinge versuchen, das Mittelmeer zu überqueren. Italien schlägt bereits seit Wochen Alarm und hat sogar damit gedroht, seine Häfen für Flüchtlingsschiffe zu sperren. Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, die Öffnung der Grenzen im Sommer 2015 durch Bundeskanzlerin Merkel, die viele immer wieder als Rechtsbruch bezeichnet hatten, ist klar rechtens gewesen, und SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz mahnt bei seiner Reise nach Italien dazu, endlich Solidarität in der Flüchtlingsfrage zu üben. Und in Italien läuft die Frist aus, bis zu der Flüchtlingshilfe-Organisationen einen Verhaltenskodex unterzeichnen sollten. Der besagt unter anderem, dass deren Schiffe nicht mehr in libysche Hoheitsgewässer fahren dürfen und dass sie Polizeibeamte an Bord nehmen müssen.
    Über all das können wir jetzt reden mit Richard Sulík, er ist Mitglied des Europäischen Parlaments, Vorsitzender der liberalen Partei Freiheit und Solidarität in der Slowakei und Mitglied der EU-skeptischen Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer, der auch die britischen Tories und die deutsche AfD angehören. Guten Morgen, Herr Sulík!
    Richard Sulík: Schönen guten Morgen!
    Heckmann: Herr Sulík, die Flüchtlingsorganisationen in Italien weigern sich, den Verhaltenskodex zu unterzeichnen. Was halten Sie davon?
    Sulík: Ich denke, das ist ein Fehler, aber die italienische Regierung beziehungsweise die Europäische Union sollte nicht auf den Willen von irgendwelchen Flüchtlingsorganisationen angewiesen sein und handeln, auch ohne diese Organisationen.
    Heckmann: Das heißt, was heißt handeln?
    Sulík: Das heißt, dass, wenn irgendwo im Mittelmeer Flüchtlinge gerettet werden, dass sie dann umgehend an die libysche Küste gebracht werden, da, wo sie hergekommen sind.
    "Die meisten von denen, die aus Nordafrika kommen, haben sowieso kein Anrecht auf Asyl"
    Heckmann: Das entspricht aber nicht den derzeitig geltenden Regelungen.
    Sulík: Na ja, wie man es nimmt. Wissen Sie, es gibt hier diese Genfer Konvention, nach der jeder ein Anrecht auf Asyl hat, also beziehungsweise auf das Stellen eines Asylantrags recht hat. Nur, das ist ein Individualasylrecht und es war nie so gedacht, dass wir dadurch eine wirkliche Massenbewegung von Migranten organisieren. Die meisten von denen, die aus Nordafrika kommen, haben sowieso kein Anrecht auf Asyl. Also, ich denke, man könnte da schon handeln, es bräuchte nur ein bisschen Mut. Europa wird nichts anderes übrig bleiben, vielleicht halt später.
    "Diese Flüchtlingsorganisationen sind Taxiunternehmen"
    Heckmann: Herr Sulík, jetzt sagen ja Kritiker, die Flüchtlingsorganisationen betätigen sich sozusagen als Taxiunternehmen für Schlepper, weil sie nah an die Küste heranfahren würden und den Schleppern das Signal zum Ablegen geben würden. Teilen Sie diese Kritik?
    Sulík: Ja, genau. Das machen die. Ich habe mir eine Karte angeschaut mit einzelnen Punkten im Mittelmeer, das sind die Punkte, wo die sozusagen gerettet wurden. Wobei, gerettet muss man in Anführungszeichen setzen. Das ist zwölf bis vielleicht 30 Meilen von der libyschen Küste entfernt, das ist doch ein Witz, was da geschieht. Und wie Sie gesagt haben, diese Flüchtlingsorganisationen sind Taxiunternehmen, das sind die größten Schlepper von Flüchtlingen, von Migranten.
    Heckmann: Dafür gibt es aber keine hinreichenden Beweise, für diese Behauptung.
    Sulík: Ja, Moment, das ist nicht wahr. Man weiß doch ganz genau, wo man sie gerettet hat, die Migranten. Das ist zwölf, 15, 20 Meilen von der libyschen Küste, dafür gibt es Beweise. Das ist ??? ...
    Heckmann: Das heißt aber doch nicht, dass diese Flüchtlingsboote nicht in Seenot gewesen sind. Das sind ja Schlauchboote, wir wissen ja, wie der Zustand dieser Boote ist.
    Sulík: Schauen Sie, aber wenn ein Boot in Seenot ist und ein anderes hilft ihm, gibt es keine Regel, kein Gesetz auf der Welt, das gebietet, dass sie die quer übers ganze Mittelmeer nach Italien bringen müssen, diese geretteten Menschen. Sie können die in Tunesien, dem nächsten ... Sie sind verpflichtet, die Retter, den nächsten sicheren Hafen anzufahren, das ist Tunesien. Das ist doch gleich in der Nähe, warum gehen die da nicht hin, diese Rettungsboote, diese Flüchtlingshelfer?
    "Wir können ja nicht für die ganze Welt verantwortlich sein"
    Heckmann: Weil dort kein ordnungsgemäßes Verfahren stattfinden kann, was einen Asylantrag beispielsweise angeht, vielleicht?
    Sulík: Hören Sie mal, wir können ja nicht für die ganze Welt verantwortlich sein. Also gut, dann kann dort kein Verfahren stattfinden, ist mir schnurzegal. Man muss Europa retten. Das kommt doch nicht infrage, dass da Hunderttausende von Menschen jährlich nach Europa kommen, zwei Drittel von denen ohne Papiere, dazu gibt es kein Recht auf dieser Welt. Aber es gibt eine Verpflichtung von den europäischen Regierungen, die eigenen Völker zu schützen.
    Heckmann: Es gibt auch eine Verpflichtung zur Solidarität in Europa, so sehen es jedenfalls die meisten. SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz – ich habe es gerade eben schon gesagt – hat auf seiner Italien-Reise gestern mehr europäische Solidarität in der Flüchtlingsfrage angemahnt und hat auch ganz deutliche Kritik an Ländern wie Polen, Tschechien und der Slowakei geübt, die nämlich es ablehnen, sich an der Verteilung für Flüchtlingen zu beteiligen. Hören wir mal rein!
    Martin Schulz: Wenn es um nachhaltige Finanzierung im Landwirtschaftsbereich, im regionalen Entwicklungsbereich geht, dann heißt es: Ja, bitte! Aber wenn es um die Verteilung von Flüchtlingen geht, dann heißt es: Nein, danke! Das ist kein Zustand, wie wir ihn langfristig akzeptieren können.
    Heckmann: So weit Martin Schulz gestern. Die EU hatte sich ja auf die Verteilung von 160.000 Menschen geeinigt, bisher sind verteilt worden gerade einmal 25.000. Und Ihr Land, Herr Sulík, die Slowakei, sollte gerade einmal 906 Personen aufnehmen. Konkret, in der Tat, in der Realität haben Sie aufgenommen 16. Ist die Slowakei ein EU-Schmarotzer?
    Sulík: Das verbitte ich mir, ja? Was heißt hier Schmarotzer? Es gibt hier geltende EU-Verträge, die Slowakei hält sich an alle ihre Verpflichtungen und wir, dieser Migrantenverteilung, wir stimmen da einfach nicht zu. Das ist unser gutes Recht. Das war ja nie eine Bedingung für den Eintritt, hier eine Masseninvasion für Flüchtlingen hier zu unterstützen dadurch, dass man sie verteilt und abnimmt. Das ist das Erste. Das Zweite: Sie haben ja selbst gesagt, 25.000 von 160.000. Also, 135.000 Flüchtlinge sind nicht verteilt worden. Das ist doch nicht nur die Slowakei und Polen und Ungarn, Frankreich hat auch die Quote nicht erfüllt und viele andere Länder.
    Heckmann: Aber Sie nehmen besonders wenig Flüchtlinge auf.
    Sulík: Gehen Sie daran, dass die Schmarotzer sind!
    Heckmann: Aber Sie nehmen besonders wenig Flüchtlinge auf, fast gar keine, 16.
    Sulík: Ja, aber dann müsste es doch sein, dass von 160.000 ... Bitte?
    Heckmann: 16 genau.
    Sulík: 16, das ist eine Zahl, auf die ich stolz bin! Die Menschen denken, in Europa fliegen die gebratenen Tauben in den Mund und kommen hierhin, um den Sozialstaat auszunutzen. Das kann so nicht weitergehen. Das geht einfach nicht!
    "Die EU kann doch nicht alles Mögliche beschließen, einfach so"
    Heckmann: Aber Herr Sulík, es gibt doch einen Beschluss auf der Ebene der Europäischen Union, wonach diese Flüchtlinge eben verteilt ...
    Sulík: Wo die Slowakei gegen geklagt hat, wir haben dagegen geklagt. Aber die EU kann doch nicht alles Mögliche beschließen, einfach so. Sie beschließen etwas ... Das geht doch nicht. Frau Merkel sagt, okay, bitte, ihr seid eingeladen, wir schaffen das. Also, wenn Frau Merkel sagt, wir schaffen das, dann bitte, dann schafft sie das, aber belästigt die Slowakei nicht damit! Und was die Solidarität angeht, ich bin da schon bereit zu Solidarität, wir helfen beim Bewachen der Grenze, da schicken wir Polizisten oder Soldaten oder können auch Geld schicken oder wir verzichten auf die EU-Gelder, damit besser die Grenze geschützt werden kann. Ich bin schon für Solidarität, aber nicht jetzt einfach Flüchtlinge ... Das ist einfach keine Lösung, die Flüchtlinge aufzunehmen, verstehen Sie das?
    "Es sind ja noch nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft"
    Heckmann: Sie haben dagegen geklagt, die Slowakei hat dagegen geklagt, gegen diesen EU-Beschluss, weil Ihr Land bei diesem Beschluss überstimmt worden ist. Sie wissen aber auch, Herr Sulík, dass der Generalanwalt am EuGH sein Votum abgegeben hat gerade in dieser Woche und gesagt hat: Dieser Beschluss ist rechtens gewesen so und in sehr, sehr vielen Fällen folgt das Gericht dem Generalanwalt. Werden Sie ein solches Urteil akzeptieren am Ende?
    Sulík: Ja, der Slowakei wird wohl nichts anderes übrig bleiben. Aber es sind ja noch nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft. Jetzt warten wir erst einmal ab auf das Urteil und die Begründung dazu. Ich bin schon sehr gespannt, wie sie das begründen, die Herren und Damen am Gerichtshof.
    Heckmann: Und in der Folge könnten horrende Strafzahlungen auf Sie zukommen.
    Sulík: Ja, gut, dann kommen Strafzahlungen, gut. Wenn es nur an mir liegen würde – ich bin ja der Oppositionsführer in der Slowakei und nicht der Premierminister –, ich würde lieber die Strafzahlungen zahlen.
    Heckmann: Martin Schulz, um noch mal darauf zurückzukommen ...
    Sulík: Und bitte, ich habe noch eine Sache.
    Heckmann: Ja, bitte?
    Sulík: Die Verteilung von Flüchtlingen, die Verteilung von Migranten ist definitiv keine Lösung, solange die Grenzen nicht dicht sind. Zuerst müssen die Grenzen dicht gemacht werden. Das kann nicht sein, dass da jetzt am Wochenende 12.000 oder 8.000 Menschen sozusagen gerettet werden – wobei, in Wirklichkeit werden die abgeholt von der libyschen Küste –, das kann einfach nicht sein. Da wird Europa dran zugrunde gehen.
    "Also gut, sollen die Gelder gekürzt werden"
    Heckmann: Martin Schulz, um noch mal auf ihn zurückzukommen, hat gesagt, Deutschland gebe viel Geld in den Topf. Ländern, die keine Flüchtlinge übernehmen so wie Ihr Land, sollten die Mittel gekürzt werden. Ist das nicht eine naheliegende Schlussfolgerung aus Ihrer Sicht auch?
    Sulík: Ich kann durchaus verstehen, dass er das so sieht. Gut, wenn er das so sieht, sollen die Gelder gekürzt werden. Die bringen sowieso nur viele ... Nicht nur, aber die bringen auch viele negative Auswirkungen mit, diese Gelder. Zum Beispiel die Korruption ist viel höher und so weiter. Also gut, sollen die Gelder gekürzt werden.
    Heckmann: Dann können Sie auch gleich auf EU-Gelder verzichten, wenn das nachteilig ist aus Ihrer Sicht.
    Sulík: Schauen Sie mal, wollen wir mal die Kirche im Dorf stehen lassen. Wenn wir schauen, wie das weitergeht, die Slowakei wird da bestimmt handeln und versuchen ... Ich werde auf jeden Fall mich so verhalten, damit das Beste für mein Land rauskommt.
    Heckmann: Richard Sulík war das, Mitglied des Europäischen Parlaments. Er ist Vorsitzender der liberalen Partei Freiheit und Solidarität in der Slowakei und Mitglied der EU-skeptischen Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer. Herr Sulík, ich danke Ihnen für das Gespräch!
    Sulík: Ich bedanke mich auch, schönen Tag noch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.