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EU-Forschungsprogramme
Dem Wissenschaftsstandort Europa fehlt Geld

Europa droht bei den Zukunftstechnologien international abgehängt zu werden. Das EU-Parlament verhandelt mit den Mitgliedsstaaten deshalb über mehr Geld für Forschung und Bildungsprogramme. Doch die Länder stehen auf der Bremse, schon jetzt fehlen Milliarden für bestehende Programme.

Von Paul Vorreiter | 03.11.2020
Am Wilhelm-Ostwald-Institut für Physikalische und Theoretische Chemie der Universität Leipzig kontrolliert die Chemikerin Ziyan Warneke von der Nachwuchsforschungsgruppe des Chemikers Dr. Jonas Warneke deponierte Materialschichten auf Oberflächen. Die Gruppe sucht nach Wegen, maßgeschneiderte Molekülstrukturen aufzubauen, wie es die klassische Chemie nicht vermag. Das könnte unter anderem zur Entwicklung von Krebsmedikamenten oder zur Herstellung neuer Funktionsmaterialien für Sensoren, moderne Batterien und Katalysatoren dienen
Molekularforscherin an der Universität Leipzig - die EU-Länder stehen bei den Förderprogrammen für Forschung und Bildung in Europa auf der Bremse (Waltraud Grubitzsch / dpa-Zentralbild)
"Wir kommen zwar technisch ganz gut voran an vielen Stellen, aber die große Frage ist natürlich das Budget - und da ist jetzt erstmal keine große Entwicklung in Sicht."
So fasst der Grünen-Europaabgeordnete Niklas Nienaß die Verhandlungen zwischen EU-Parlament und Ländern zu Forschung und Bildung zusammen. Keine große Entwicklung, und das trotz der vielen Appelle aus der Wissenschaft, mehr Geld in die Hand zu nehmen.
"Die Wissenschaft in Europa stünde vor einem Jahrzehnt fehlgeleiteter europäischer Sparsamkeit", hatte erst vor kurzem der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz Peter André Alt gewarnt.
17 Milliarden Euro fehlen schon jetzt
Er und seine Kollegen in den Niederlanden und Österreich mahnten: Bliebe es beim Verhandlungsstand, würden den EU-Programmen für Studierendenaustausche und Forschung knapp 17 Milliarden Euro fehlen. Ohnehin liege Europa weit hinter Summen, die China und die USA oder Japan in Forschung und Bildung stecken. Und das würde bedeuten:
"Wir würden in eine bittere Diskussion gehen, was wir kürzen müssen. Also wenn wir unsere Ambitionen behalten wollen im Bereich CO2-Reduktion. Da geht es darum, dass wir Technologien innerhalb von zehn Jahren in den Markt bringen wollen, die heute größtenteils nicht existent sind. Dann wird man in der Güterabwägung sagen, dass man in anderen Bereichen, wie in der Digitalisierung, wo wir auch große Schritte planen, Quantum-Technologie, künstliche Intelligenz, dass wir nicht in dem Maße die Mittel zur Verfügung haben werden."
Feilschen zwischen EU-Parlament und Ländern
So die Warnung des zuständigen Berichterstatters für das Forschungsrahmenprogramm "Horizon Europe" im Europaparlament, der CDU-Politiker Christian Ehler. Wenn es nach dem Europaparlament gehen würde, müsste Horizon mit 120 Milliarden Euro ausgestattet werden. Das wollen die Mitgliedsstaaten aber nicht ausgeben.
Die Länder hatten im Sommer einen anderen Vorschlag gemacht: Das Programm soll gut 75 Milliarden Euro aus dem siebenjährigen EU-Budget bekommen und fünf Milliarden aus dem Corona-Wiederaufbaufonds. 200 Millionen Euro sollen in das Marie-Sklodowska-Curie-Programm fließen: ein Teilprogramm, mit dem rund 1700 Nachwuchsforschern Auslandsaufenthalte ermöglicht werden.
Für das EU-Parlament wäre es ein Erfolg, in den Verhandlungen zu den Zahlen zurückzukehren, die die EU-Kommission einmal ins Auge gefasst hatte und die zwischen Parlament und Ländern liegen. Auch könnte noch an einer anderen Stellschraube gedreht werden: Indem ein Teil der Gelder aus den großen Strukturfonds der EU einfach an Forschungsausgaben geknüpft würden, sagt CDU-Europapolitiker Ehler:
"Jetzt geht es in den Verhandlungen um einen vielleicht kleineren Anteil, nämlich fünf Prozent. Wir reden aber bei den Strukturfonds über wesentlich größere Summen als beim Forschungsrahmenprogramm, dass man einen kleineren Anteil entweder verbindlich aber zumindest freiwillig dann aber mit einer funktionierenden Struktur versehen, benutzt, um eben das Forschungs- und Innovationsthema mitzufinanzieren."
EU-Politiker Nienaß: "Es geht plump um Zahlen, nicht um Werte"
Beim Austauschprogramm Erasmus+ dreht sich der Streit mit den Ländern nicht nur, aber auch um das Geld. 21 Milliarden Euro, die die Staaten ausgeben wollen, reichten nicht aus, um mehr junge Menschen in das Programm aufzunehmen, findet das Parlament, das fast doppelt so viel Geld in die Hand nehmen will. Damit soll auch die Finanzierung weiterer Initiativen gesichert werden, zum Beispiel die des "DiscoverEU"-Programms, mit dem junge Menschen die EU erkunden sollen. In den Verhandlungen geht es aber auch darum, wie Erasmus+ inklusiver gestaltet werden kann, zum Beispiel auch Jugendliche aus ärmeren Familien stärker einbezogen werden können, sagt Niklas Nienaß:
"Gerade jetzt in diesen Zeiten, da zu geizen beim Thema Forschung und Erasmus, wo es auch darum geht Menschen zusammenzubringen, da zeigt sich der Rat mal wieder nicht von der besten Seite. Es geht plump um Zahlen, aber nicht um Ideale und um Werte."
Nächste Verhandlungsrunde Mitte November
Mitte dieses Monats dürfte eine zweite Verhandlungsrunde zwischen EU-Ländern und Parlament starten, die bis Ende des Jahres abgeschlossen sein müßte, da ja schon Anfang 2021 die neuen Programme anlaufen sollen. Was die Verhandlungen so kompliziert und langwierig macht: Parlament und Länder verhandeln nicht nur über die Ausgaben für Forschung und Bildung, sondern über den EU-Haushalt und das Corona-Hilfspaket als Ganzes. Es geht um 1,8 Billionen Euro - und letztlich auch darum, wie die EU-Gelder wirksam an die Einhaltung rechtsstaatlicher Standards in den einzelnen Mitgliedsländern gebunden wierden Das kann dauern.