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EU-Gipfel im Schatten des Pharao

Auf dem EU-Gipfel in Brüssel dürfte es heute weniger um Euro und Energiefragen gehen. Das bestimmende Thema: Wie soll Europa auf die Situation in Ägypten reagieren? EU-Außenministerin Catherine Ashton will die Staats- und Regierungschefs heute über ihre Pläne informieren.

Von Doris Simon | 04.02.2011
    Wie umgehen mit der dramatischen Situation in Ägypten? Das ist die Frage, die heute die 27 Staats- und Regierungschefs in Brüssel beschäftigt, nach dem sich die Lage vor Ort jeden Tag verändert hat. Gestern hatten die Führer der fünf wichtigsten Länder der Europäischen Union in einer gemeinsamen Erklärung die Gewalt in Ägypten verurteilt und gewarnt, sie werde die politische Krise nur verschlimmern. Es müsse den Ägyptern frei stehen, ihr Recht auf Versammlungsfreiheit auszuüben. Bundeskanzlerin Angela Merkel:

    "Die Angriffe auf Demonstranten müssen unverzüglich gestoppt werden, dafür ist die ägyptische Regierung verantwortlich, und die Verantwortlichen für die Übergriffe müssen sehr schnell und entschieden zur Rechenschaft gezogen werden."

    In ihrer gemeinsamen Erklärung fordern Angela Merkel, Frankreichs Nikolas Sarkozy und die Regierungschefs von Großbritannien, Spanien und Italien den zügigen und geordneten Übergang zu einer Regierung auf breiter Basis in Ägypten. Immer wieder, und zuletzt immer dringender haben europäische Politiker, angefangen bei EU-Außenministerin Ashton, von der ägyptischen Regierung verlangt, endlich in Verhandlungen mit der Opposition zu treten mit dem Ziel freier und fairer Wahlen. Der britische Premierminister David Cameron:

    "Der Übergang muss rasch und glaubwürdig sein, und er muss jetzt beginnen. Wir stehen an der Seite derer in Ägypten und in der ganzen Welt, die Freiheit, Demokratie und Menschenrechte wollen."

    Doch das heißt nicht, dass alle EU-Regierungen nun auch selber den Dialog mit jenen Menschen anstreben, die in Ägypten Demokratie, Meinungsfreiheit und Bürgerrechte einfordern: Diese sind zwar zentrale Werte der EU und sie werden gerne als Exportartikel dargestellt. Doch es waren bis zuletzt andere Themen, die die europäische Politik in der Region bestimmten: der Nahostfriedensprozess, die Abwehr des Islamismus, Wirtschaftsbeziehungen. Noch gestern hielten es einige EU-Regierungen, darunter Italien, für zu früh, um direkte Kontakte zu Vertretern der demokratischen Opposition aufzunehmen. Das ließen sie auch EU-Außenministerin Catherine Ashton, die einen solchen Schritt in Betracht gezogen hatte, wissen. Trotz aller Ereignisse der letzten Tage sehen manche Europäer im ägyptischen Präsidenten Mubarak immer noch einen Garanten für Stabilität, gewissermaßen das kleinere Übel.

    Sie trauen der breit gefächerten und schlecht organisierten demokratischen Opposition keinen geordneten Übergang zu und fürchten eine mögliche Machtübernahme durch die Islamisten in Ägypten. Dagegen hatte Bundesaußenminister Westerwelle die EU schon zu Beginn der Woche auf der Seite der Demonstranten gesehen. Westerwelle telefonierte diese Woche mit dem international bekanntesten Vertreter der ägyptischen Opposition, Friedensnobelpreisträger Mohammed El Baradei.

    "Dass die Uhr einfach zurückgedreht werden könnte von denen, die herrschen, das halte ich für ausgeschlossen. Dieser freiheitliche Geist, der ist aus der Flasche, und das ist gut so."

    In diesem Jahr erhält Ägypten über die europäische Nachbarschaftspolitik rund 150 Millionen Euro. Elf Prozent der EU-Hilfe sind reserviert für Projekte im Bereich Demokratie, Menschenrechte, Justiz und für gute Regierungsführung, so wie seit Jahren. Doch die gesteckten Ziele sind nie erreicht worden.

    Nach den Ereignissen in Ägypten und Tunesien überlegt man nun im neu geschaffen Europäischen Auswärtigen Dienst eine komplette Überarbeitung der europäischen Nachbarschaftspolitik: Anders als bisher soll jedes Land, also auch Ägypten, einzeln beurteilt werden, eine Abkehr von der Maxime "ein Ansatz für alle". Dann, so hofft man im Europäischen Auswärtigen Dienst, werde die europäische Millionenhilfe endlich auch die erwünschten Ergebnisse bringen: auch im Bereich Demokratie, Menschenrechte, Rechtsstaat. EU-Außenministerin Catherine Ashton will die Staats- und Regierungschefs heute über ihre Pläne informieren.