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EU-Gipfel
Polen kritisiert die Wiederwahl von Tusk

Auf dem EU-Gipfel wurde gestern EU-Ratspräsident Donald Tusk mit 27 von 28 Stimmen im Amt bestätigt. Polen stand mit seiner Kritik allein, dass Tusk brutal gegen das Gebot politischer Neutralität verstoßen habe. Es bleibt zu befürchten, dass die proeuropäische Orientierung in Kreisen der polnischen PiS-Wähler einbrechen könnte.

Von Thomas Otto | 10.03.2017
    Ein Blick auf den beginnenden EU-Gipfel: Man sieht den runden Tisch und bunte Farben auf dem Boden und an der Decke.
    Auf dem EU-Gipfel wurde EU-Ratspräsident Donald Tusk im Amt bestätigt. (AFP / Stephane de Sakutin)
    Nein, man konnte Donald Tusk wahrlich nicht ansehen, ob er sich über seine Bestätigung im Amt des Ratspräsidenten gefreut hat. Nachdem 27 der 28 EU-Staaten ihm ihr Vertrauen gegeben hatten, bedankte sich der 59-jährige Pole bei den Staats- und Regierungschefs:
    "Vor allem danke ich für dieses Zeichen der Solidarität. Es mag vielleicht paradox klingen, aber in gewisser Weise ist Ihre Entscheidung heute ein Ausdruck unserer Einheit."
    Scharfe Kritik aus Polen
    Eine Einheit die darin besteht, sich in der Tusk-Frage nicht in zwei Lager aufgespalten zu haben. Polen hatte auch die ihm politisch in vielen Bereichen nahestehenden Partnerländer des Visegrad-Bündnisses – Tschechien, Slowakei und Ungarn – nicht auf seine Seite ziehen können. Der Gegenkandidat der polnischen Regierung wurde gar nicht erst zur Wahl gestellt. Polen stand mit seiner Kritik, Tusk habe brutal gegen das Gebot politischer Neutralität verstoßen und sich in die polnische Innenpolitik eingemischt, isoliert da. Die polnische Regierungschefin Beata Szydlo konstatierte am Abend:
    "Der Europäische Rat hat die große Chance verpasst, einen Präsidenten zu wählen, der tiefgehende Reformen anstoßen könnte und mit dem der Rat endlich eine grundlegende Rolle ausfüllen würde. Nämlich: sich für die Interessen aller Mitgliedsstaaten einzusetzen. Zuletzt hatte er leider nur die Interessen einiger weniger im Blick gehabt."
    Der polnische Außenminister Witold Waszczykowski hatte gar von einem Diktat aus Berlin gesprochen.
    Tusk hatte nach seiner Wahl erklärt, er wolle ausnahmslos mit allen Staaten zusammenarbeiten, denn er wolle sich einem vereinten Europa widmen. Später fügte er mit Blick auf die polnische Regierung hinzu:
    "Passen Sie auf, welche Brücken Sie einreißen. Denn wenn diese erstmal weg sind, kann man sie nicht mehr überqueren."
    Kompromiss mit Polen war im Vorfeld gescheitert
    Im Vorfeld des Gipfels war in verschiedenen Konstellationen versucht worden, einen Kompromiss mit Polen zu finden. Direkt vor der Abstimmung hatte Bundeskanzlerin Merkel sich mit Beata Szydlo getroffen. Am Ende blieb es dabei: Polen wurde überstimmt.
    "Aber da qualifizierte Mehrheiten ausdrücklich im Vertrag vorgesehen sind, muss man sie auch anwenden können, wenn ansonsten eine Blockade entstehen würde. Und das wäre aus meiner Sicht überhaupt nicht gut."
    Die angekündigte Reaktion der polnischen Regierung: Beata Szydlo unterzeichnete nicht die übliche Abschlusserklärung aller 28 Staaten. So blieb es bei einer Erklärung des maltesischen Ratsvorsitzes, den alle 27 Staaten außer Polen mittrugen.
    Der Streit um die Wahl des Ratspräsidenten ließ die anderen Themen des Gipfels in den Hintergrund rücken. Die Staats- und Regierungschefs befassten sich mit der deutlich verbesserten wirtschaftlichen Lage in allen EU-Staaten. Außerdem bekräftigten sie ihr Bekenntnis zum Freihandel und zu den laufenden Gesprächen zum Beispiel mit Japan.
    Westbalkan behält EU-Perspektive
    Zuletzt diskutierten sie die Situation in den Ländern des westlichen Balkans. Die Botschaft: Wir unterstützen euch weiterhin auf einem möglichen Weg in die Nato und in die EU:
    "Die Westbalkan-Staaten behalten ihre klare EU-Perspektive. Es ist kein Schritt weg, sondern hin zu den Westbalkan-Ländern."
    Betonte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Die britische Premierministerin Theresa May sprach von destabilisierenden russischen Desinformationskampagnen in den Balkan-Ländern und forderte die EU auf, mehr dagegen zu tun.
    Heute werden sich die Staats- und Regierungschefs in informeller Runde ohne Großbritannien treffen. Dann wollen sie sich auf Eckpunkte einer Erklärung zur Zukunft der EU einigen, die zum 60. Jahrestag der Römischen Verträge am 25. März veröffentlicht werden soll.