Donnerstag, 18. April 2024

Archiv

EU-Gipfel und Coronahilfen
DGB-Chef: "Wir brauchen Zukunftsinvestitionen"

Die EU-Staaten verhandeln über das geplante Finanzpaket in der Coronakrise. Die Mittel müssten für Investitionen in die Zukunft genutzt werden, sagte DGB-Chef Reiner Hoffmann im Dlf - zum Beispiel in intelligente und nachhaltige Mobilität. Das könnte kein Mitglied im Alleingang bewältigen.

Reiner Hoffmann im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 18.07.2020
Reiner Hoffmann sitzt auf dem Podium und spricht.
Für den Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Reiner Hoffmann, wäre es ein gutes Signal, wenn sich die EU-Länder auf einen Fonds zur Ankurbelung der Wirtschaft verständigen. (imago/Jürgen Heinrich)
In Brüssel sprechen die EU-Staats- und Regierungschefs an diesem Wochenende über die Verwendung und Verteilung von rund 1,8 Billionen Euro. Es geht um ein großes Corona-Hilfsprogramm im Umfang von 750 Milliarden Euro und zugleich um den EU-Haushalt für sieben Jahre. Der erste Verhandlungstag der EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel hat keine Einigung gebracht. Die Fronten sind nach wie vor verhärtet.
bundeskanzlerin Merkel, der französische Präsident Macron und EU-Ratspräsident Michel stehen vor dem EU-Gipfel zusammen und unterhalten sich. 
Ringen um Einigung in Brüssel Die Positionen lagen am ersten Verhandlungstag denkbar weit auseinander. Umstritten ist etwa, ob Corona-Hilfsgelder als Kredite oder Zuschüsse fließen sollen - und ob Gelder an Reformen und Rechtsstaatlichkeit geknüpft werden.
Viele Beobachter hoffen nun, dass der Samstag einen Durchbruch bringt. Zu ihnen gehört auch der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) Reiner Hoffmann. Er hält es für ein gutes Signal, wenn die EU-Länder sich am zweiten Verhandlungstag einigen würden. Wofür die Gelder in erster Linie verwendet werden sollten, da hat der Gewerkschafter klare Vorstellungen: Es brauche ambitionierte Investitionen in die Zukunft.
Zerfledderte Europa Fahne im Wind
Das Hilfspaket im Überblick
EU-Ratspräsident Charles Michel und die EU-Kommission haben ein Hilfspaket von 750 Milliarden Euro zur Bewältigung der Coronakrise vorgeschlagen. Art und Finanzierung sowie die Höhe der Finanzhilfen sind jedoch hoch umstritten.
"Wir brauchen auch europäische Champions"
Die Entwicklungsfelder liegen für Hoffmann auf der Hand: ökologische Landwirtschaft, eine nachhaltige und intelligente Mobilität, auch im Schienen- und Binnenschiffsverkehr, gemeinsame Bemühungen bei E-Mobilität und Batterietechnologie sowie bei der digitalen Infrastruktur. Beim Ausbau des 5G-Netzes etwa zeige sich die völlige Abhängigkeit Europas von externen Anbietern. "Wir brauchen Geld für eine europäische Industriepolitik", sagt Hoffmann. "Wir brauchen im globalen Wettbewerb auch europäische Champions".
"Es geht eigentlich um einen Aufbruch in eine digitale innovative Zukunft"
Michael Roth (SPD), Staatsminister im Auswärtigen Amt, meint, die EU-Staaten müssten ein klares Signal setzen: dass sie gemeinsam und solidarisch aus der Krise kommen.
Die EU-Mitgliedstaaten streiten schon länger, ob Hilfsgelder in Form von Zuschüssen gewährt werden. "Natürlich müssen das auch Zuschüsse sein", sagt Hoffmann. Das sei mit dem Blick auf bestehende Hilfsfonds und regionale Ungleichgewichte in Europa gar nichts Ungewöhnliches.
Bedingungen für "ein soziales Europa"
Bei der Vergabe der Gelder spricht sich Hoffmann für Bedingungen aus. Dem DGB-Chef Hoffmann schwebt ein soziales Europa vor, mit Arbeitnehmerrechten, Tarifbindung, Mitspracherechten und einem Arbeits- und Gesundheitsschutz für Arbeitnehmer in allen EU-Ländern. In diesem Sinne müsse das Geld an Bedingungen geknüpft sein, "um ein soziales Europa zu stärken, das gleichzeitig wirtschaftlich innovativ und erfolgreich ist."
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)

Das Interview im Wortlaut:
Jürgen Zurheide: Herr Hoffmann, wenn ich heute morgen sage, angesichts von Corona und den ganzen Problemen, die da sind, hätte man sich doch wünschen können, dass man da schneller vorwärts kommt. Wie naiv bin ich?
Reiner Hoffmann: Nein, der Grund ist völlig berechtigt, und es wäre ein gutes Signal für die Bürgerinnen und Bürger Europas, wenn die Staats- und Regierungschefs sich an diesem Wochenende einigen.
"Ambitioniert in die Zukunft investieren"
Zurheide: Ganz zum Schluss werde ich Sie fragen, ob das gelingen kann. Kommen wir auf die Inhalte: Der Streit um Zuschüsse und Kredite, ist das eigentlich der richtige Streit oder gibt es nicht andere Fragen, die vielleicht wichtiger wären?
Hoffmann: Es gibt im Kern vier kritische Punkte. Dazu gehört natürlich in allererster Linie: Wofür wollen wir eigentlich das ganze Geld verwenden. Und darum geht es doch, dass wir den Menschen auch sagen, das macht Sinn, dass Europa hier wirklich ambitioniert in die Zukunft investiert, das muss eben in den Vordergrund gestellt werden. Natürlich ist dann die zweite Frage, die dann folgt, woher dann das Geld kommt, sollen es Beiträge aus den Mitgliedsstaaten sein oder soll die EU-Kommission berechtigt werden, europäische Anleihen aufzunehmen? Da scheint man sich relativ nahegekommen zu sein. Kritisch ist, genau wie Sie sagen, sollen es Zuschüsse oder Kredite sein, natürlich müssen das auch Zuschüsse sein, wenn man berücksichtigt, dass wir erhebliche Strukturunterschiede und regionale Ungleichgewichte in Europa haben.
Zurheide: Ich gehe mal dazwischen: Auch bisher wird ja Geld in bestimmte Länder und Teile der Länder gegeben, das ist ja nichts Unübliches.
Hoffmann: Nein, das ist überhaupt nichts Unübliches, wir haben seit vielen Jahren die Strukturfonds, mit denen strukturschwache Regionen unterstützt werden, wir haben die Sozialfonds, wo auch im sozialen Bereich Unterstützungen geleistet werden, wir haben den Globalisierungsfonds. Das ist alles nichts Ungewöhnliches, dass hier auch direkte Zuschüsse an die Mitgliedsstaaten gezahlt werden.
Einstimmigkeit als "absolute Selbstblockade"
Zurheide: Wenn jetzt dann der österreichische Bundeskanzler Kurz sagt, so etwas darf nicht versickern. Das unterschreibt auch ein Gewerkschaftschef.
Hoffmann: Ja, das ist selbstverständlich, dass das Geld auch dort ankommen muss, wo es hinsoll – und nicht bei irgendwelchen Spekulanten oder in irgendwelchen korrupten Strukturen hängenbleibt, das geht überhaupt nicht.
Zurheide: Wer muss das dann kontrollieren?
Hoffmann: Da sind schon die Mitgliedsstaaten verantwortlich, die sich dann auch gegenüber der EU-Kommission rechtfertigen müssen, wie diese Gelder denn zielgerichtet und erfolgreich verwendet wurden.
Daniel CASPARY am Rednerpult, Einzelbild,angeschnittenes Einzelmotiv,Halbfigur,halbe Figur. 32.Parteitag der CDU Deutschlands am 23.11.2019,Congress Centrum Leipzig, | Verwendung weltweit
"Wir wollen nicht, dass das Geld irgendwo versickert"
Es müsse Vorgaben geben, wofür die Staaten das EU-Geld einsetzen dürfen, sagt Daniel Caspary, Europaparlamentarier der CDU. Europa müsse fit für den globalen Wettbewerb werden.
Zurheide: Der entscheidende Punkt oder die Frage, die da diskutiert wird: Wird das Geld nur ausgezahlt, wenn alle vorher zugestimmt haben, oder welchen Mechanismus kann man da einbauen, dass es so funktioniert, dass es nicht die totale Bevormundung ist, aber dass trotzdem diejenigen, die Geld geben, auch sicher sind, es kommt da an. Muss da möglicherweise mehr passieren als in der Vergangenheit?
Hoffmann: Ja, da muss man sich schon überlegen, wie kann man Korruptionsfälle wirksamer bekämpfen, wie kann man Kontrollmechanismen möglicherweise effektivieren. Aber die Vorstellung von Herrn Rutte aus den Niederlanden, dass das alles einstimmig im Rat beschlossen werden müsse, halte ich für völlig falsch, das wäre eine absolute Selbstblockade. Hier muss der EU-Kommission die Kompetenz eingeräumt werden, die sie im Übrigen auch hat. Und wir haben ja mit OLAF eine Institution, wo auch Beihilfeverstöße oder die Verwendung von Strukturhilfemitteln kontrolliert wird.
Zurheide: Das müssen wir erklären, das ist nicht Olaf Scholz.
Hoffmann: Es ist nicht Olaf Scholz, das wäre jetzt ein Missverständnis!
"Intelligente Investitionen in die Zukunft"
Zurheide: Okay, Sie haben vorhin einen anderen Satz gesagt, den ich gerne noch weiter mit Ihnen diskutieren würde, Sie haben gesagt, es muss in Zukunft investiert werden. Es gibt ja manche, die sagen, wir streiten jetzt oder auf diesem Gipfel wird vor allen Dingen gestritten über wo kommt das Geld her und viel weniger über die Frage, wohin soll denn investiert werden und wer braucht Geld. Was sagt der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes?
Hoffmann: Ja, da brauchen wir Zukunftsinvestitionen. Da sind die Felder ja völlig offensichtlich. Nehmen wir das ganze Thema nachhaltige und intelligente Mobilität. Das kann doch kein Mitgliedsstaat alleine mehr hinbekommen, wenn es um den Schienenverkehr geht, die europäische Binnenschifffahrt, um E-Mobilität, wenn wir mehr in Batterietechnologien oder Telekommunikation investieren müssen, Investitionen in die digitale Infrastruktur, die Frage beim Ausbau des 5G-Netzes, sind wir schon wieder völlig abhängig von externen Anbietern – wir haben die Debatte mit Huawei mit den Chinesen. Wir haben keinen einzigen europäischen Player, die müssen aufgebaut werden, wir brauchen Geld für eine europäische Industriepolitik, wir müssen investieren auch in eine ökologische Landwirtschaft. Die Themen ließen sich alle fortsetzen, wenn es uns gelingen soll, den Klimawandel gemeinsam durch intelligente Investitionen in die Zukunft zu bewältigen.
Zurheide: Es hat in dieser Woche so eine Initiative gegeben, dass wir so eine Art Airbus auf der digitalen Ebene in Europa brauchen, auch gerade, um gegen die großen Blöcke Amerika und China stärker zu werden. Unterstützen Sie so etwas?
Hoffmann: Natürlich müssen wir uns Gedanken machen, ob wir im globalen Wettbewerb auch europäische Champions brauchen. Die Wettbewerbsregeln, die wir dazu haben derzeit in der EU, sind aus meiner Sicht reformbedürftig, dass wir nicht mehr gucken, führt es zu Wettbewerbsverzerrung im Binnenmarkt, sondern wir müssen die globale Perspektive auflegen, dann hätte man möglicherweise auch damals schon beim Fall Alstom und Siemens anders entschieden, was ich damals schon für einen Fehler gehalten habe.
Gelder an Bedingungen wie Arbeitnehmerrechte knüpfen
Zurheide: Sie haben jetzt noch nicht so sehr die sozialen Standards angesprochen. Wie wichtig ist das, wenn jetzt irgendwas passiert, dass soziale Standards eingehalten werden? Oder ist das hier jetzt nicht das Thema?
Hoffmann: Das ist absolut das Thema. Und da kann ich nur sagen, wer jetzt darüber spricht, dass die Zuschüsse im Rahmen eines solchen Wiederaufbauprogramms mit Bedingungen, also Konditionen verknüpft werden sollen, da wird Sie überraschen, das sich sage, da bin ich überhaupt nicht grundsätzlich gegen. Die Frage ist allerdings, was sind das für Konditionen. Da sind in allererster Linie mal Konditionen gefragt, dass Arbeitnehmerrechte gesichert werden, dass wir Tarifbindung in den Ländern haben, damit Menschen für gute Arbeit gutes Geld bekommen, dass wir einen vernünftigen Arbeits- und Gesundheitsschutz haben, dass wir Partizipationsrechte haben der Arbeitnehmer überall in Europa. Da mangelt es noch in vielen Mitgliedsstaaten, das sind Konditionalitäten, um ein soziales Europa zu starten, was gleichzeitig wirtschaftlich innovativ und erfolgreich ist.
Zurheide: Stichwort Menschenrechte, da gibt es ja die ganz einfache Saga, die Polen auf der einen, die Ungarn auf der anderen Seite, die sagen, bloß nicht über Menschenrechte reden, wenn ihr das tut, dann sagen wir schlicht Nein. Wie kann man mit so einer Erpressung umgehen?
Hoffmann: Ja, hier muss man wirklich ganz konkret gegenhalten, dass das sich überhaupt nicht verträgt mit den europäischen Grundwerten. Und es kann nicht sein, dass man von den Freiheiten des Binnenmarktes profitieren will und Menschenrechte missachtet. Das ist nicht das Verständnis, was wir in Europa haben, deshalb muss man sowohl der PiS-Partei als auch Herr Orbán da ganz klare Grenzen aufzeigen.
Einigung am Wochenede "würde ich sehr begrüßen"
Zurheide: Auf der anderen Seite, es braucht eine einstimmige Entscheidung.
Hoffmann: Das ist das Problem, das Prinzip der Einstimmigkeit ist natürlich vielfach ein Hemmnis, auch hier sehen wir Reformbedarf, den wir so schnell nicht realisiert bekommen, aber der Punkt ist richtig, sodass am Ende des Tages, ich glaube, es auch darauf ankommt, dass Mitgliedsstaaten wie die Bundesrepublik und Frankreich hier klare Kante zeigen und diese Herren in ihre Grenzen und Schranken verweisen.
Zurheide: Zum Schluss dann doch die Prognose: Gibt es heute noch eine Einigung oder vielleicht morgen?
Hoffmann: Ich würde es sehr begrüßen, wenn es gelingt, am Wochenende zu einer Einigung zu kommen. Und es macht ja wenig Sinn, dass man sich in fünf oder in zehn Tagen ein weiteres Mal zusammensetzt. Der Durchbruch sollte gelingen, aber er ist alles andere als sicher. Für Europa wäre es gut, für die Menschen wäre es gut, wenn ein ganz klares Signal an diesem Wochenende von Brüssel ausginge.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.