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EU-Gipfel
Warum Österreich aus der Reihe tanzt

Kein Land fordert so vehement, die EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei einzufrieren, wie Österreich. Als Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) in diesen Zusammenhang kürzlich sein Veto einlegte, war das auch innenpolitisch motiviert. Vor den Parlamentswahlen konkurriert er mit Kanzler Kern von der SPÖ.

Von Ralf Borchard | 15.12.2016
    Der österreichische Außenminister Sebastian Kurz.
    Der österreichische Außenminister Sebastian Kurz. (dpa-Bildfunk / MTI / Szilard Koszticsak)
    Die Vorbereitung des EU-Gipfels durch die Außenminister ist ziemlich schief gegangen. Zum Thema Türkei hat Österreich am Dienstag ein Veto eingelegt. Außenminister Sebastian Kurz blieb zwar allein mit seiner Forderung, die Beitrittsgespräche mit der Türkei einzufrieren, aber er blieb stur:
    "Das ist die Position, die sich so nicht durchsetzen hat lassen. Aber ich bitte auch um Verständnis, dass ich meine Haltung bewahren möchte."
    Auch die Staats- und Regierungschef werden um eine Debatte zum Thema Türkei wohl nicht herumkommen. Der österreichische Bundeskanzler Christian Kern hat die Forderung, die Beitrittsgespräche auszusetzen, vor Gipfelbeginn bekräftigt:
    "Das hat mit der Demokratieentwicklung, mit der Menschenrechtsentwicklung zu tun, wo wir in den vergangenen Monaten die Beschleunigung einer unerfreulichen Entwicklung gesehen haben. Vor diesem Hintergrund meinen wir, dass es im Sinne der europäischen Grundwerte derzeit jedenfalls keine Grundlage gibt für einen Beitritt der Türkei zur EU."
    Am Flüchtlingsabkommen mit der Türkei will auch Kern festhalten
    Wenigstens einen kleinen Schritt machte Kern auf Deutschland und die anderen EU-Partner zu. Am Flüchtlingsabkommen mit der Türkei will auch Kern festhalten:
    "Es muss uns auch immer bewusst sein, dass jenseits dieser Frage des EU-Beitritts die Türkei für uns natürlich ein essentiell wichtiger Partner ist, in migrationspolitischen Fragestellungen, in sicherheitspolitischen Fragestellungen, auch in wirtschaftspolitischen Fragestellungen."
    Apropos Wirtschaftspolitik: Hier öffnet sich ein weiteres Konfliktfeld, bei den EU-Sanktionen gegen Russland. Erst gestern hat der teilstaatliche österreichische Öl- und Gaskonzern OMV ein umfassendes Kooperationsabkommen mit dem russischen Energieriesen Gazprom geschlossen, unterstützt von Bundeskanzler Kern. Österreich stand den EU-Sanktionen gegen Russland immer skeptisch gegenüber und würde sie im Gegensatz zu Deutschland und Frankreich am liebsten bald zurückfahren oder ganz beenden. Beim OSZE-Gipfel in Hamburg hatte Außenminister Kurz betont:
    "Auch wenn es schwierig ist, bin ich der Meinung, dass man immer wieder versuchen muss, auf Russland zuzugehen. Denn Friede wird es auf unserem Kontinent immer nur mit und niemals gegen Russland geben können."
    So sehr Kanzler Kern und Außenminister Kurz an einem Strang zu ziehen scheinen, in Wahrheit sind sie innenpolitische Konkurrenten. Und schaukeln sich in der Schärfe ihrer Äußerungen, etwa zum Thema Türkei, zuweilen gegenseitig hoch.
    Türkei-Veto von Kurz hatte viel mit österreichischer Innenpolitik zu tun
    Denn nach geschlagener Bundespräsidentenwahl steht in Österreich der noch wichtigere Parlamentswahlkampf bevor. In Wien wird erwartet, dass dann Sebastian Kurz, Jungstar der Volkspartei ÖVP, gegen Christian Kern, den sozialdemokratischen Kanzler antritt. Beide sind von den hohen Umfragewerten für die rechtspopulistische FPÖ unter Parteichef Heinz-Christian Strache getrieben. So hatte auch das Türkei-Veto von Kurz viel mit österreichischer Innenpolitik zu tun.
    Zwar bleibt unklar, ob in Österreich schon 2017 oder doch erst 2018 gewählt wird, doch der Kampf um die beste Ausgangsposition hat längst begonnen. Das zeigt sich auch an der Kritik an Deutschland bei zwei weiteren Themen: Grenzkontrollen und Maut. Kanzler Kern betonte zuletzt, dass Deutschland ausgerechnet zum Start der Wintertourismus-Saison die Grenzkontrollen wieder hochfahre, könne er gar nicht verstehen. Und über die deutschen Mautpläne sei er nach wie vor sehr unglücklich. Je näher der Wahlkampf ums Wiener Kanzleramt rückt, desto mehr ist aus Österreich mit weiteren Querschüssen zu rechnen.