Freitag, 29. März 2024

Archiv

EU-Hilfsgelder
Wie Spanien seine Wirtschaft umbauen will

Die Corona-Pandemie legt Spaniens Schwächen schonungslos offen: hohe Staatsschulden, mangelnde Innovation, fehlendes Reform-Kapital. Mit den EU-Hilfen versucht Spanien jetzt den wirtschaftlichen Umbau - das Land soll grüner, digitaler und zukunftssicherer werden.

Von Hans-Günter Kellner | 12.01.2021
Spanische Windkraftanlagen
Als Corona ausbrach, hatte sich Spanien noch nicht von der Finanzkrise 2008 erholt - erneuerbare Energiequellen sind jedoch eine Wachstumsbranche (Westend61)
Madrid, Arbeiter-Stadtteil Villaverde. Viele Menschen leben hier von Jobs, für die sie keine besondere Qualifikation benötigen. Sie putzen in Wohnhäusern oder arbeiten auf dem Bau - wenn sie überhaupt einen Job finden. Und seit im März die Coronakrise ausgebrochen ist, gebe es noch weniger zu tun, sagt Verónica Fuentes:
"Ich habe schon als Obstverkäuferin gearbeitet, Hauseingänge geputzt, alte Menschen betreut. Ich würde auch bügeln, wenn mich jemand anruft." Aber es rufe niemand an.

Aktivistin: Corona "wird Spuren in den Familien hinterlassen"

So steht Verónica nun jede Woche vor dem "Pato Amarillo" an, übersetzt vor der "Gelben Ente", um kostenlose Lebensmittel für ihre neunköpfige Familie zu erhalten. Die Gelbe Ente ist eine Bürgerinitiative, die sich in Villaverde ursprünglich um Drogensüchtige kümmerte. Seit nunmehr über zehn Jahren versorgt sie vor allem die Armen im Viertel. Gründerin Pilar Aural hätte sich nie vorstellen können, dass es Villaverde einmal noch schlimmer treffen würde als in der Finanzkrise von 2008.
"Mit der Immobilienbranche ist damals alles zusammengebrochen. Das war eine heftige Krise. Aber es wurde langsam wieder besser. Und jetzt kam dieses Mistvieh, dieses Virus. Alle mussten schließen, die Kneipen, die Geschäfte, alles ist untergegangen. Das wird Spuren hinterlassen. Nicht nur wegen der Toten. Es wird Spuren in den Familien hinterlassen."
Zwei Männer desinfizieren in Terrassa, Barcelona.
Spanien und die Coronakrise
Mehr als 160.000 diagnostizierte Fälle von COVID-19 und über 16.000 Tote gibt es in Spanien. Das öffentliche Leben steht still, die Wirtschaft ist erneut stark unter Druck. Das Land im Süden Europas hofft in der Coronakrise auf die Unterstützung der EU-Länder.
Auch viele aus der Schlange vor der Essensausgabe berichten, dass in ihrem Haushalt niemand mehr ein Einkommen habe. So füllen die Menschen bei der Gelben Ente ihre mitgebrachten Taschen mit Dosengemüse, Reis, Nudeln und mit viel Milch für die Kinder. Alles sind Spenden. Gerade hat ein Bäcker Körbe voller Backwaren vorbeigebracht. Pilar ist stolz darauf, dass die Solidarität funktioniert.
"Wer auch nur ein bisschen was hat, hilft denen, die nichts haben. Das hier kommt von einer anderen Bäckerei, die uns Madeleines bringen, das hier sind Schweizer Brötchen, weißt Du, was das ist? Die sind lecker, mit Butter und Marmelade. Willst Du eins?"

Arbeitslosenquote könnte sich auf 18 Prozent erhöhen

Die Arbeitslosenquote wird sich auch in diesem Jahr wohl weiter erhöhen, vermutlich auf 18 Prozent, prognostiziert die Bank von Spanien. Einer Studie des Hilfswerks Intermón Oxfam vom Oktober zufolge hat sich die Zahl der Armutsgefährdeten in Spanien mit der Coronakrise 2020 um 1,1 Millionen Menschen auf fast elf Millionen erhöht. Sie verdienen weniger als 60 Prozent des Durchschnitts. Das wäre knapp ein Viertel der Bevölkerung. Die Organisation betont, vor der Krise seien diese Zahlen leicht rückläufig gewesen. Spaniens Regierung habe versucht gegenzusteuern, erklärt Miguel Otero, Professor für Wirtschaftspolitik an der IE Business School in Madrid.
"Das spanische Sozialsystem ist sehr lückenhaft. Damit finanziert sich die Mittelschicht Sozialleistungen für die Mittelschicht, Gesundheitsleistungen oder Renten zum Beispiel. Die Regierung versucht, das zu korrigieren. Es gibt seit kurzem einen Beauftragten für Kinderarmut. Aber bislang ist die soziale Ungleichheit nie als Problem angesehen worden. Das soziale Netz in Deutschland ist viel engmaschiger. Erst jetzt, im Jahr 2020, haben wir eine Sozialhilfe eingeführt, die man in etwa mit dem deutschen Hartz IV vergleichen kann."
Je nach Anzahl der Kinder bekommt eine Familie ohne sonstige Einkommen damit zwischen 470 und 1.033 Euro im Monat. Die Regierung hat dafür drei Milliarden Euro im Haushalt vorgesehen. Um Entlassungen zu vermeiden, haben im April – also während des harten Lockdowns - 3,6 Millionen Beschäftigte Kurzarbeitergeld bekommen. Inzwischen – während der etwas weicheren Coronaregeln - sind es noch rund 750.000 Empfänger. Diese Leistungen belasten den Haushalt. Die starken Schwankungen in der wirtschaftlichen Entwicklung würden die Spanier aus anderen Krisen kennen, erklärt Volkswirt Otero, der auch dem Expertenstab des angesehenen Thinktank Instituto Elcano angehört.

Spanien leidet unter dem Einbruch des Tourismus

"Wir hatten ja auch zuvor in der Finanzkrise einen viel stärkeren Einbruch als andere europäische Länder erlebt. Dann kam ein starkes Wachstum. Es stützt sich aber stark auf den Tourismus. Der Fremdenverkehr hatte in den letzten Jahren geradezu eine Blütezeit erlebt. Wir waren mit mehr als 80 Millionen Urlaubern nach Frankreich das zweitmeistbesuchte Land der Welt. Davon haben wir in diesem Jahr vielleicht die Hälfte verloren. Oder sogar noch mehr."
Nach Angaben des Branchenverbands Hosteltur steuerte der Tourismus vor der Coronakrise dem Bruttoinlandsprodukt 176 Milliarden Euro bei, 14 Prozent. Eine spanische Redensart lautet darum: "Spanien ist ein Land voller Bedienungen." Das ist sicher übertrieben, aber einer Statistik des Arbeitsministeriums zufolge sind tatsächlich ein Drittel der in Spanien jährlich abgeschlossenen Arbeitsverträge für sehr gering qualifizierte Arbeitskräfte, die nicht einmal einen Schulabschluss haben – nicht nur im Gastgewerbe, sondern auch auf dem Bau oder in der Industrie. Raymond Torres, Ökonom bei Funcas, einer der angesehensten Wirtschaftsstiftungen des Landes, sagt darum:
"Es gibt ein strukturelles Problem, das schwer zu korrigieren ist: Unsere wirtschaftliche Struktur wird von sehr kleinen Unternehmen bestimmt. Uns fehlen die mittleren Unternehmen, die auch exportieren. Das ist ein Problem der Unternehmerkultur. Der Unterschied von einem Betrieb mit zehn Beschäftigten zu einem anderen mit 50 ist nicht nur die Größe. Es ist auch eine andere Art der Unternehmensführung. Ein solcher Unternehmer muss in der Lage sein, Aufgaben zu delegieren, Eigeninitiative seiner Mitarbeiter fördern. Er muss professioneller werden. Schwarzarbeit ist in einem solchen Betrieb zum Beispiel nicht mehr möglich."

Wachstumsbranche: Erneuerbare Energiequellen

Doch der Volkswirt sieht auch Grund zum Optimismus: Dank der wettbewerbsfähigen Telekommunikationsbranche hat Spanien eines der dichtesten Glasfasernetze Europas. Eine erfolgreiche und exportorientierte Eisenbahnindustrie, die zum Beispiel eine Strecke für Hochgeschwindigkeitszüge durch Saudi-Arabien gebaut hat. Die Branche der erneuerbaren Energiequellen rechnet in den nächsten Jahren mit einem starken Wachstum. Gegenwärtig bezieht das Land rund 40 Prozent seiner Elektrizität aus erneuerbaren Energiequellen, der Kohleausstieg ist vollzogen. Dass es nicht viel mehr Erfolgsbeispiele gibt, liegt für Raymond Torres auch an fehlendem Kapital.
"Das ist keine Frage mangelnder Initiative. Spanien ist ein Land mit sehr innovativen Leuten. Man findet sie von Katalonien bis nach Andalusien, sie haben Ideen, gründen Unternehmen. Das Problem ist die Finanzierung. Die Sparkassen sind mit der letzten Krise verschwunden, die Banken verlangen immer nur Immobilien als Sicherheit. Eine Unternehmensmarke oder eine Produktidee als Sicherheit ist für eine spanische Bank undenkbar. Wir haben auch keine öffentliche Bank wie die Kreditanstalt für Wiederaufbau in Deutschland. Uns fehlt diese öffentliche Unterstützung für das unternehmerische Wachstum."
King Juan Carlos of Spain, The former Queen Sofia, attends Princess PIlar Borbon funeral chapel installed in the Gomez-Acebo royals adel house in Madrid. No Spain PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxONLY Copyright: xPPEx
Juan Carlos I. von Spanien - Der Held der Demokratie demontiert sich selbst
Juan Carlos I. von Spanien wird 83. Der Altkönig gilt als Wegbereiter der spanischen Demokratie – doch Skandale überschatten sein politisches Vermächtnis.

Spanien soll vom EU-Wiederaufbaufonds profitieren

Doch woher sollen die Mittel kommen, wenn das Land in noch stärkeren Finanznöten ist als vor der Coronakrise? Die Staatsverschuldung Spaniens dürfte in diesem Jahr weiter ansteigen und zum Jahresende bei 120 Prozent liegen, schätzt die Stiftung Funcas. Alleine kommen Länder wie Spanien wohl nicht aus der Krise. Die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union haben sich darum auf einen Corona-Wiederaufbaufonds in Höhe von insgesamt 750 Milliarden Euro geeinigt. Spanien stehen daraus 140 Milliarden Euro zu, gut die Hälfte davon als Zuschüsse, die andere als rückzahlbares Darlehen. Der Wiederaufbaufonds sei das größte Konjunkturpaket aller Zeiten, heißt es dazu in Brüssel. Europa werde damit grüner, digitaler und krisenfester. Ein förderwürdiges Projekt könnte zum Beispiel das von Agraringenieur Diego Amores aus Murcia an der spanischen Mittelmeerküste sein:
"Ich suchte nach Unternehmen, die sich für eine Technologie interessieren könnten, die organische Abfälle in hochwertigen Rohstoff verwandelt. Das ist eine einfache Technik. Man bringt Larven von Insekten mit organischen Abfällen zusammen, die Larven fressen sie. Wir haben dafür die Schwarze Soldatenmücke auserwählt, die praktisch alles frisst, vom Hausmüll über Reste aus Kläranlagen bis hin zu Abfällen aus der Schweinezucht. Nach einiger Zeit töten wir die Larven mit heißem Wasserdampf ab und erhalten aus ihnen Chitin, Protein und Fett."

Es fehlen Kapitalgeber für Innovation

Rohstoffe, die immer wichtiger werden, für Tierfutter, für Düngemittel, für Bioplastik, ja sogar für menschliche Organe aus 3-D-Druckern, sagt der Unternehmer. Doch wenn er mit einer solchen Kreislaufwirtschaft ökonomisch erfolgreich sein möchte, müsste er aus dem Experimentierstadium herauskommen, die Ebene der Pilotprojekte verlassen. Dafür benötigt er Kapital, das er selbst nicht hat. Seit drei Jahren sucht er danach.
"Ja, man findet schon Kapital. Aber das ist immer viel weniger als in Frankreich oder in Deutschland, von den Vereinigten Staaten ganz zu schweigen. Und man muss an wahnsinnig vielen Türen anklopfen und lange Überzeugungsarbeit leisten. In Frankreich gibt es ein ähnliches Unternehmen, dem wurden 200 Millionen Euro Kapital zur Verfügung gestellt. Hier bekommst Du über einen Risikofonds vielleicht zwölf, höchstens 15 Millionen. Und die Summen der öffentlichen Förderung haben in Frankreich immer eine Null mehr als in Spanien."
Von ähnlichen Problemen berichtet Carmen Lechuga. Die Andalusierin ist eine der erfolgreichsten Wissenschaftlerinnen im Bereich der Nanotechnologie in Spanien. Sie entwickelt Diagnoseverfahren für die Medizin, die mit kleinsten lichtempfindlichen Zellen arbeiten. Ihre Arbeit ist mehrfach preisgekrönt:
"Wir können über einen Tropfen Blut, Urin oder Speichel herausfinden, ob ein Patient mit einer Bakterie oder einem Virus infiziert ist, zum Beispiel mit SARS-CoV-2 – und wie hoch die Virenlast ist. Es eignet sich aber auch zur Diagnose von Krebsprozessen. Wir benötigen dafür keine Krankenhäuser, keine aufwändigen Labore mehr, auch Arztpraxen oder Apotheken könnten damit arbeiten. Das ist die Zukunft der Diagnostik."

Zu wenig Anerkennung für die Wissenschaft

"Vor kurzem hörte ich von einem Unternehmen, das in den USA in eine ganz ähnliche Richtung arbeitet wie ich. Während der Pandemie hat die US-Regierung dafür eine Subvention in Höhe von 450 Millionen US-Dollar gewährt, um die Markteinführung der Diagnostik anzuschieben. Da wird man schon neidisch."
Die Wissenschaft habe in der spanischen Politik nie einen hohen Stellenwert genossen, klagt Carmen Lechuga. Der Sparzwang der letzten Jahre hat deutliche Spuren hinterlassen. Viele junge Wissenschaftler sind ins Ausland gegangen, weil sie für ihre Projekte keine öffentliche Finanzierung mehr gefunden haben.
"Mit der Pandemie sind plötzlich die Politiker auf uns Wissenschaftler zugekommen und wollten wissen, was da passiert. Das ist neu. Ich bin darum zurückhaltend optimistisch, dass wir mit den Europäischen Fonds und den vorgesehenen Mitteln für Forschung und Entwicklung in Spanien endlich unser Wachstumsmodell ändern können. Aber klar, die Einnahmen aus dem Tourismus sind enorm. Ob sich die Politiker davon blenden lassen oder wirklich die Fundamente für ein neues, ein innovatives Land legen werden? Wir werden sehen."
Im Haushalt 2021 hat die Regierung folglich 3,2 Milliarden Euro für das Forschungsministerium bereitgestellt. 1,2 Milliarden Euro mehr als bislang. Ein Drittel davon soll aus europäischen Fördermitteln kommen.

Spanien galt nach 1978 als Erfolgsgeschichte

Wie wichtig die EU-Subventionen sind, zeigt sich auch daran, dass Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez schon im Oktober in einer einstündigen Pressekonferenz darüber referierte, was Spanien mit den Fördermitteln aus Brüssel vorhat. Zur Einleitung seines Vortrags wurde die Europahymne gespielt und der Regierungschef erinnerte an die Vergangenheit.
"1978, als wir uns unsere Verfassung gaben, prägten Instabilität und Unsicherheit Spanien. Die wirtschaftlichen Aussichten waren alles andere als rosig. Spanien entdeckte, wie der Rest der westlichen Welt, die Kombination zweier Effekte, die bis dahin nicht gleichzeitig aufgetreten waren: Inflation und Arbeitslosigkeit."
Um 20 Prozent wütete die Inflation damals. Dennoch gilt Spanien als Erfolgsgeschichte. Nach einem tiefgreifenden Strukturwandel hat sich das Pro-Kopf-Einkommen seit 1978 fast verdoppelt. Grundlegend dafür war der Beitritt zur damaligen Europäischen Gemeinschaft 1985. Auch jetzt setzt das Land wieder auf Europa. Für die nächsten drei Jahre – also den Rest der Legislaturperiode – hat Spaniens Regierung klare Vorstellungen, in welche Bereiche sie die EU-Subventionen investieren will. Sánchez sprach detailreich von der Umgestaltung des Gesundheitssystems und mehr Investitionen in Forschung und Entwicklung, mehr finanzielle Unterstützung für kleine Unternehmen, die wachsen wollen. Seine Schlagworte: grüner, digitaler, zukunftssicherer.
Vor dem Jahrestag des Todes des spanischen Diktators Franco haben Demonstranten in Madrid an die Opfer seiner Herrschaft erinnert 
45 Jahre nach Francos Tod
Am 20. November 1975 starb Spaniens ehemaliger Diktator Franco. Doch auch Jahrzehnte nach dem Ende seiner Herrschaft sind viele Fragen offen, Opfer-Angehörige warten auf Wiedergutmachung. Ein neues Gesetz soll nun die Aufarbeitung voranbringen.
"Ich möchte das in Prozentzahlen klar machen, sie sind wichtig für Spanien und für Europa: Die 'grünen Investitionen', die für einen ökologischen Umbau gedacht sind, machen mehr als 37 Prozent des gesamten Plans aus. Und dem digitalen Umbau wollen wir 33 Prozent widmen. 37 Prozent für den ökologischen Umbau, 33 Prozent für den digitalen Umbau."

Weichen zu wissensorientierter Volkswirtschaft stellen

Doch selbst wenn damit die Weichen zu einer wissensorientierten Volkswirtschaft gestellt werden: Nicht jeder ist darauf vorbereitet. Wer gar keine berufliche Ausbildung hat und womöglich wegen Corona seinen Job verloren hat, dem fehlt auch die Qualifikation für die neue Arbeitswelt. Regierungschef Sánchez spricht von der Umgestaltung des Bildungssystems, von einer Reform der Berufsausbildung, mehr aktiver Arbeitsmarktpolitik und mehr Geld für die frühkindliche Erziehung für Kinder im Alter zwischen null und drei Jahren.

Wirtschaftsexperte warnt vor zu großen Erwartungen

Auch Wirtschaftsexperte Miguel Otero begrüßt diese sogenannten "Investitionen in das Humankapital", warnt aber auch vor zu großen Erwartungen.
"Spanien hatte in der letzten Finanzkrise die Bedeutung der Erziehung und der Aus- und Weiterbildung in den unteren Schichten nicht verstanden. Sie ist grundlegend. Man muss aber auch sehen: Die Ausweitung des Prekariats – die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen, die rechtliche Unsicherheit, die schlechte Bezahlung, die Kluft zwischen digitalisierter und nicht digitalisierter Bevölkerung, der zunehmende Populismus… das sind internationale Prozesse, die auch Spanien betreffen."

Opposition entzieht sich der Zukunftsdebatte

Für die auch die Opposition keine Lösungsansätze anbietet. Sie fordert Steuersenkungen und Subventionen für Umsatzausfälle für Selbstständige und Unternehmen. Vorhaben, die nur schwer zu finanzieren sein dürften. Aber einer Debatte über eine möglichst sinnvolle Umgestaltung der spanischen Volkswirtschaft entzieht sich die Opposition – so als würde sie fürchten, die Wählerinnen und Wähler könnten die Linkskoalition aus Sozialisten und Regierung für die Brüsseler Hilfszahlungen belohnen. Pablo Casado, Chef der konservativen Volkspartei, nennt Pedro Sánchez den schlechtesten Präsidenten der Geschichte.
"Warum gibt es keine unabhängige Vergabekommission? Damit könnte die Regierung Europa gegenüber zeigen, dass hier keine Klientelpolitik betrieben wird. Sie will auch keine Überwachung der Verwendung der Mittel durch einen Parlamentsausschuss. Wir werden einen eigenen Ausschuss einberufen, mit ehemaligen Ministern, ehemaligen Staatssekretären, Abgeordneten und Senatoren. Die Volkspartei wird es nicht durchgehen lassen, dass europäische Hilfen nicht transparent verwendet werden."
Ökonom Miguel Otero will die politischen Streitereien hingegen nicht überbewerten. Letztlich bleibe den Akteuren gar nichts anderes übrig, als zusammenzuarbeiten, meint er. Die Europäische Union verteile die Hilfsgelder ja nicht im Gießkannenverfahren. Es müssten Projekte vorgelegt werden, die Mittelverwendung werde geprüft:

Wirtschaftsexperte: "Wir sind auf einem guten Weg"

"Dass die Leute unterschiedliche Vorstellungen darüber haben, wie die Gesellschaft sich organisieren soll, ist doch nicht schlecht. Spanien ist ein sehr plurales Land, das ist gut, wir sind kulturell, sprachlich und ideologisch unterschiedlich. Wir müssen lernen, diese Vorstellungen zusammenzubringen. Aber auch bei uns gibt es vielerorts Koalitionsregierungen. Es gibt immer mehr virtuelle Treffen der regionalen Regierungschefs mit der Zentralregierung. Auch Kooperation muss gelernt werden. Wir sind auf einem guten Weg. Trotz des störenden Lärms, den politischen Spannungen und der Polarisierung."