Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

EU-Kommissionspräsident Juncker
"An den Steuerzahlern versündigt"

Die AfD hat einem Misstrauensantrag gegen EU-Kommissionspräsident Juncker zugestimmt, den Rechtspopulisten im Europäischen Parlament eingereicht haben. AfD-Sprecher Bernd Lucke sagte dazu vorab im Deutschlandfunk, das gemeinsame Abstimmen bedeute keine Solidarisierung.

Bernd Lucke im Gespräch mit Christiane Kaess | 27.11.2014
    AfD-Bundesparteichef Bernd Lucke spricht am 22.03.2014 auf dem Europaparteitag der Alternative für Deutschland (AfD) in Erfurt (Thüringen). Die AfD will auf dem zweitägigen Parteitag unter anderem ihr Programm für die Europawahl am 25. Mai beschließen.
    Bernd Lucke (picture alliance / dpa / Hendrik Schmidt)
    Die Alternative für Deutschland (AfD) spreche Juncker das Misstrauen aus, weil sie nie Vertrauen in ihn gehabt habe. Bereits bei der Wahl des Kommissionspräsidenten hatte die AfD gegen Juncker gestimmt. "Es wäre inkonsequent, so zu tun, als hätten wir jetzt Vertrauen in ihn, nachdem er sich wie ein Raubritter verhalten hat", sagte Bernd Lucke. In der Zeit, in der Jean-Claude Juncker in Luxemburg an der Regierung beteiligt war, hatte das Land internationalen Unternehmen Steuererleichterungen in Milliardenhöhen gewährt.
    Das Abstimmungsverhalten im Europäischen Parlament mit einer Annäherung an Rechtspopulisten gleichzusetzen, lehnt Lucke ab. Die AfD sage Ja zu den Inhalten, nicht aber zu den Initiatoren des Votums.
    Zu seiner Rolle in der Partei sagte Lucke, er habe entgegen entsprechenden Medienberichten nie mit Rücktritt gedroht. Er habe lediglich in Erwägung gezogen, nicht als Parteivorsitzender zu kandidieren. Das hänge aber von bestimmten Konstellationen ab, mit denen die AfD nicht zum Erfolg kommen könne.

    Das Interview in voller Länge:
    Christiane Kaess: Viel zu befürchten hat EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker heute nicht, wenn die Abgeordneten des Europäischen Parlaments über einen Misstrauensantrag gegen ihn abstimmen. Die Mehrheit wird hinter ihm stehen. Und dennoch ist es unschön, wenn sich Juncker, der gerade frisch in dieses einflussreiche Amt gekommen ist, einem solchen Votum stellen muss. Es richtet sich förmlich nicht gegen ihn persönlich, sondern gegen die gesamte Kommission. Initiiert haben die Abstimmung die Euro-Skeptiker und Rechtspopulisten im Parlament, darunter der Brite Nigel Farage von der UK Independence Party, mit dabei auch die französischen Rechten vom Front National. Für sie ist Juncker nach der Affäre um die Steuervermeidungsstrategien in Luxemburg unhaltbar geworden.
    Gegen Juncker werden auch die Abgeordneten der Alternative für Deutschland stimmen und deren Vorsitzender Bernd Lucke ist einer von ihnen. Guten Morgen!
    Bernd Lucke: Guten Morgen, Frau Kaess.
    Kaess: Guten Morgen, Herr Lucke. - Herr Lucke, machen Sie jetzt gemeinsame Sache mit den Rechtspopulisten?
    Lucke: Nein! Wir sprechen Herrn Juncker das Misstrauen aus, da wir ja von Anfang an nie Vertrauen in ihn gehabt haben. Wir haben gegen ihn gestimmt, als er als Kommissionspräsident zur Wahl stand, und wir haben auch gegen die Kommission mit ihm an der Spitze gestimmt, als die dann noch einmal in der Gesamtheit zur Wahl stand. Es wäre ja inkonsequent, jetzt plötzlich so zu tun, als hätten wir Vertrauen zu Juncker, nachdem bekannt geworden ist, dass sich Juncker geradezu wie ein Raubritter verhalten hat und andere Staaten um ihre Steuereinnahmen geprellt hat.
    Kaess: Aber Sie sehen schon, dass Sie Juncker einen eigentlich ganz guten Gefallen tun, denn Sie vereinen die Konservativen der Europäischen Volkspartei, die Sozialisten, die Liberalen und die Grünen jetzt alle gemeinsam hinter Juncker.
    Lucke: Sehen Sie, die Leute sind natürlich eigentlich beschämt, denn die haben Juncker gewählt vor drei Wochen mit der gesamten Kommission.
    Kaess: Die Grünen nicht!
    Lucke: Entschuldigung! Die Grünen nicht, aber die Volkspartei, also die Christdemokraten, und die Sozialdemokraten und die Liberalen, die haben das getan. Und jetzt, nur drei Wochen später, stellen sie fest, dass Juncker sich völlig uneuropäisch verhalten hat, indem er Luxemburg als eine Steueroase aufgebaut hat in seiner Zeit als Premierminister und Finanzminister von Luxemburg, über wirklich fast schon Jahrzehnte hinweg Briefkastenfirmen gefördert hat, sodass die Firmen dort nur ein Prozent Steuern zahlen mussten, während sie gleichzeitig in anderen Ländern eigentlich produziert haben und dort die Infrastruktur genutzt haben und überhaupt nichts dazu beigetragen haben, dass diese Staaten dann auch Steuereinnahmen von ihnen bekommen. Diese Fehlentscheidung von Christdemokraten und Sozialdemokraten und Liberalen, die trauen sie sich jetzt nicht einzugestehen. Das ist natürlich peinlich für die.
    "Keine Solidarisierung mit rechtsradikalen Parteien"
    Kaess: Das kritisieren diese Abgeordneten ja auch, was Sie jetzt gerade eben kritisiert haben, aber gleichzeitig wollen die sich von den Rechten abgrenzen. Warum spielt das für Sie keine Rolle?
    Lucke: Wir haben uns immer von rechtspopulistischen oder rechtsradikalen Stimmungen und Parteien abgegrenzt.
    Kaess: Warum tun Sie es jetzt nicht?
    Lucke: Weil hier ja nicht eine Solidarisierung mit irgendwelchen rechtsradikalen oder rechtspopulistischen Parteien vorgenommen wird.
    Kaess: So wird das aber wahrgenommen von außen.
    Lucke: So wird von CDU und SPD die Stimmung geschürt. Wenn CDU und SPD für diesen Misstrauensantrag stimmen würden, der sehr berechtigt ist, dann würde sich diese ganze Problematik ja überhaupt nicht stellen. Die Frage ist doch: Warum kann der Kommissionspräsident Steuervermeidung im großen Umfang betrieben haben, ohne dass die CDU oder die SPD auch nur an der Aufklärung interessiert sind. Wir haben als ECR-Fraktion, als die drittgrößte Fraktion im Europaparlament, einen eigenen Antrag eingebracht, in dem wir begehrt haben, dass Juncker Aufklärung betreibt, dass er vollständige Transparenz herstellt, dass er eine vollständige Liste der Firmen veröffentlicht, die von Steuervergünstigungen profitiert haben. Und die Christdemokraten und die Sozialdemokraten haben verhindert, dass dieser Antrag überhaupt zur Abstimmung gestellt wird mit ihrer Mehrheit im Parlament. Wenn Aufklärung verhindert wird von den Mehrheitsfraktionen im Europäischen Parlament, dann nutzen wir eben diejenigen Anträge, die nicht blockiert werden können, und das ist in diesem Fall ein Misstrauensantrag und der ist völlig berechtigt, weil Juncker gegen den europäischen Geist gehandelt hat, weil er die politische Verantwortung nicht übernimmt für sein Fehlverhalten und weil wir kein Vertrauen in Juncker haben.
    Kaess: Dass Transparenz hergestellt wird, das verlangen ja die anderen ganz genauso. Es gibt zum Beispiel das Argument von den Grünen, dass Juncker gerade wegen seiner Vergangenheit jetzt erst recht etwas tun muss.
    Lucke: Ja sehen Sie, aber gerade die Grünen beispielsweise haben ja einen Ausschuss beantragt, der diese Luxemburg-Leaks untersucht, der diese Steuerhinterziehung untersucht, und auch das ist wieder abgeblockt worden von Sozialdemokraten und Christdemokraten. Die AfD-Abgeordneten haben gestern das grüne Begehren ausdrücklich und namentlich unterstützt. Wir hoffen noch, dass wir genügend Unterschriften dafür zusammen bekommen, dass zumindest dieser Ausschuss seine Arbeit aufnehmen kann. Aber der entscheidende Punkt ist schon: Jetzt liegt ein Antrag vor. Vertraut man Juncker, oder vertraut man Juncker nicht. Und da sagen Christdemokraten und Sozialdemokraten, sie vertrauen ihm, trotz der Tatsache, dass er andere Staaten um ihre Steuereinnahmen geprellt hat, und wir sagen, wir tun es nicht.
    "Das ist keine unabhängige Untersuchung"
    Kaess: Aber noch einmal, Herr Lucke. Es geht auch den anderen um Transparenz. Das ist ja vielstimmig verlangt worden in den letzten Tagen und Wochen. Und Juncker hat ja auch gesagt, die Kommission arbeitet bereits an Gesetzesvorschlägen gegen diesen Steuermissbrauch, gegen diese Steuervermeidung. Wenn es Ihnen tatsächlich um die Sache ginge, dann ist doch der schnellste Weg, diese Kommission jetzt arbeiten zu lassen, die Verhältnisse zu ändern, und nicht, sie aus dem Amt zu hebeln.
    Lucke: Nein. Verstehen Sie, wenn Vorwürfe laut werden gegen den Kommissionspräsidenten, dann ist es unangemessen, die Vorwürfe aufzuarbeiten durch eine Kommission, die unter der Aufsicht des Kommissionspräsidenten arbeitet. Das ist ja jetzt wirklich die Kommissarin selbst, die diese Untersuchung führt, und die untersteht dem Kommissionspräsidenten. Das ist doch keine unabhängige Untersuchung. Es ist wahr, dass Christdemokraten und Sozialdemokraten nach Transparenz verlangen, aber sie handeln nicht so. Dann, wenn konkrete Vorschläge auf dem Tisch liegen, dann, wenn man einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss fordert, dann blockieren sie das, dann lehnen sie das ab. Und das ist eben nicht das Verlangen nach Transparenz, was dort erkennbar wird, sondern das Verlangen danach, dass man alles zudeckt und die Vorwürfe nicht weiter untersucht.
    Kaess: Herr Lucke, wollen Sie zielorientiert das System ändern?
    Lucke: Ja natürlich wollen wir das. Deshalb wollen wir ja auch diesen Ausschuss haben.
    Kaess: Warum lassen Sie die Kommission dann nicht arbeiten?
    Lucke: Die Kommission darf gerne selber arbeiten, aber das Parlament sind wir und das Parlament kontrolliert die Kommission und deshalb hat das Parlament das Recht, einen eigenen Ausschuss einzusetzen.
    Kaess: Sie wollen ja nicht nur den Ausschuss, sondern Sie wollen die Kommission aus dem Amt hebeln.
    Lucke: Wir wollten zunächst mal die Untersuchung haben. Deshalb haben wir unseren eigenen Antrag eingebracht. Der ist, wie ich sagte, von Christdemokraten und Sozialdemokraten noch nicht einmal zur Abstimmung zugelassen worden, ist noch nicht einmal auf die Tagesordnung gesetzt worden. Und weil das so geschehen ist, bleibt uns überhaupt nichts anderes übrig, als das Mittel zu nutzen, was jetzt noch auf der Tagesordnung steht. Das ist der Misstrauensantrag gegen die Kommission.
    Juncker hat sich "an den Steuerzahlern und Wählern versündigt"
    Kaess: Auch wenn Sie sich damit in die Nähe der Rechtspopulisten rücken, oder eigentlich direkt an deren Seite.
    Lucke: Der Antrag sagt nicht, dass wir uns in die Nähe von Rechtspopulisten rücken, sondern der Antrag sagt, haben wir Vertrauen zur Kommission, oder haben wir es nicht. Und Sie werden heute sehen, dass nicht nur die AfD, sondern viele andere Abgeordnete von anderen, weniger bekannten Parteien als CDU und SPD, aber von anderen europäischen Parteien, die genauso wenig rechtspopulistisch sind wie wir, diesem Antrag auch zustimmen.
    Kaess: Aber den Antrag eingebracht haben prominente Rechtspopulisten.
    Lucke: Sagen Sie, geht es jetzt darum, wer den Antrag eingebracht hat, oder geht es darum, ...
    Kaess: Es geht um den Anschein, den Sie erwecken, wenn Sie da mitstimmen.
    Lucke: Entschuldigung! Noch mal: Es geht darum, was in dem Antrag beantragt wird, und dazu muss man Ja sagen oder Nein sagen. Wir sagen Ja zu diesem Antrag und Christdemokraten und Sozialdemokraten sagen Nein zu dem Antrag und lassen damit einen Kommissionspräsidenten im Amt, der sich wirklich an den europäischen Steuerzahlern und Wählern versündigt hat, indem er die Steuerhinterziehung von großen Unternehmen begünstigt hat, sodass große Unternehmen ein Prozent Steuern zahlen, während jeder anständige Bürger 10, 12, 15, 20 oder 25 Prozent Steuern zahlen muss.
    Kaess: Herr Lucke, Sie haben mehrmals angedroht, Sie würden als Parteivorsitzender der AfD zurücktreten. Wann tun Sie das?
    Lucke: Nein! Das habe ich nicht angedroht, das ist nicht wahr. Ich habe gesagt, dass ich mich noch nicht entschieden habe, bei den Vorstandswahlen, die im nächsten Jahr anstehen, wieder zu kandidieren. Das ist aber eine ganz andere Frage. Von Rücktritt habe ich nie gesprochen.
    Kaess: Aber wenn wir es richtig verstanden haben, haben Sie mit Rücktritt gedroht, wenn Sie nicht alleiniger Vorsitzender werden könnten.
    Lucke: Nein. Das haben Sie falsch verstanden! - Nein! Das haben Sie wie gesagt falsch verstanden. Ich habe nie mit Rücktritt gedroht.
    Alleiniger Parteivorsitz: "Von Beanspruchen ist keine Rede"
    Kaess: Wollen Sie alleiniger Vorsitzender der AfD werden?
    Lucke: Entschuldigung! Sie rühren jetzt ein sehr kompliziertes Thema an, was von den Medien verengt wird auf die Frage des alleinigen Vorsitzes oder mehrerer Vorsitzender. Tatsächlich handelt es sich um eine ziemlich komplizierte Führungsfrage insgesamt, die noch ganz andere Aspekte umfasst wie zum Beispiel die Frage, ob die AfD künftig einen Generalsekretär haben wird und ob neben dem Bundesvorstand ein Konvent stehen wird und mit welchen Befugnissen er ausgestattet ist. Und ich habe deutlich gemacht, dass es da bestimmte Konstruktionen gibt, bei denen ich denke, dass man die Partei so nicht zum Erfolg führen kann, und dass davon auch abhängt, ob ich wieder als Parteivorsitzender kandidieren werde.
    Kaess: Also Sie beanspruchen nicht den alleinigen Vorsitz?
    Lucke: Von Beanspruchen ist überhaupt keine Rede. Wir sind eine demokratische Partei und die Frage ist, ob ich kandidiere, und die Frage ist, ob ich gewählt werde.
    Kaess: Es hat ja, Herr Lucke, in diesem Zusammenhang sehr viel Kritik an Ihnen gegeben aus der eigenen Partei. Sind Sie denn in Brüssel zu weit weg, um die Partei zusammenzuhalten?
    Lucke: Das würde ich den Mitgliedern überlassen wollen zu beantworten. Es ist in der Tat nicht einfach, neben den Pflichten eines Abgeordneten im Europäischen Parlament eine Partei zu führen, und auch dafür braucht man die Führungsstrukturen, die das ermöglichen. Da habe ich meine Auffassung, die übrigens auch von vielen Parteifreunden geteilt wird. Aber die Kritiker sind natürlich immer die, die sehr laut sind. Wir werden das auf einem Satzungsparteitag der AfD Ende Januar diskutieren und dann entscheiden.
    Kaess: ...sagt Bernd Lucke, Europaabgeordneter und Vorsitzender der Alternative für Deutschland. Danke für das Gespräch heute Morgen.
    Lucke: Sehr gerne, Frau Kaess. Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.