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EU-Kommissionspräsident
"Kein Linker wird Herrn Juncker wählen"

Die Linke im Europäischen Parlament werde nicht Jean-Claude Juncker (EVP) zum EU-Kommissionspräsidenten wählen, sagte Dietmar Bartsch. Vom Gegenkandidaten der Sozialisten, Martin Schulz, werde man jedoch Gesprächsangebote annehmen. Entscheidend sei für die Linkspartei, dass ein Kurswechsel in Europa eingeleitete werde, sagte der Fraktionsvize der Linkspartei im Deutschlandfunk.

Dietmar Bartsch im Gespräch mit Dirk Müller | 26.05.2014
    Der Direktkandidat der Partei Die Linke, Dietmar Bartsch, sitzt in seinem Wahlbüro in Schwerin (Mecklenburg-Vorpommern)
    Dietmar Bartsch sagte im DLF, die Linke in Europa sei gesprächsbereit, um Schulz als EU-Kommissionspräsident zu wählen. (dpa/Jens Büttner)
    "Wir brauchen Umverteilung, wir brauchen ein soziales Europa, wir brauchen eine humane Flüchtlingspolitik. Das ist das Signal, was ausgesendet wurde", sagte Bartsch über das Ergebnis seiner Partei in Deutschland (7,4 Prozent) und das Gesamtergebnis der Linken in Europa (5,8 Prozent).
    Bartsch schloss definitiv aus, dass die Fraktion der Linke im EU-Parlament Jean-Claude Juncker zum EU-Kommissionspräsidenten wählen werde. Wenn Martin Schulz, der Kandidat der Sozialisten, mit den Linken reden wolle, "dann werden wir das tun".
    Bartsch unterstrich jedoch, dass für die Linke inhaltliche Kriterien und ein Kurswechsel in Europa das Wichtigste sei. Eine Politik, "die nicht immer die Banken rettet, sondern ein Europa der Menschen" unterstützt. Andernfalls werde die Linke keinen Kandidaten wählen.

    Das Interview mit Dietmar Bartsch in voller Länge:
    Dirk Müller: Sie strahlen also um die Wette, wir haben das gestern Abend im Fernsehen gesehen, Sigmar Gabriel und sein Wahlsieger Martin Schulz. Die SPD legt deutlich zu. Aber das Ausgangsniveau ist auch nicht allzu hoch. Die Union gewinnt die Wahlen in Deutschland, wenn auch mit deutlichen Verlusten für die CSU. Eine gedemütigte FDP und ein Shooting Star AfD. Die Grünen liegen bei knapp elf Prozent, stabilisiert, Die Linken bei 7,4 Prozent, gut stabilisiert. – Am Telefon ist nun der stellvertretende Vorsitzende der Linkspartei, Dietmar Bartsch. Guten Morgen!
    Dietmar Bartsch: Guten Morgen!
    Müller: Herr Bartsch, Sie haben leicht hinzugewonnen. Sind Sie dennoch einsam im neuen Parlament?
    Bartsch: Nein, wir sind überhaupt nicht einsam, weil die europäische Linke eine der Parteien ist, die rasant zugelegt hat. Durch die griechischen Genossen, die spanischen wird es so sein, dass wir eine deutlich stärkere Fraktion haben, und wir werden schauen, mit wem man in Fragen im Europäischen Parlament auch Bündnisse eingehen kann.
    Müller: 5,8 Prozent haben wir hier in den Nachrichten notiert. Das sind die Zahlen, die Sie auch im Kopf haben, europaweit?
    Ein Zeichen für ein soziales Europa
    Bartsch: Das Ergebnis ist natürlich sehr, sehr differenziert. In Griechenland ist die Syriza stärkste Partei geworden. In Spanien haben wir zugelegt, in Frankreich. Aber es gibt Länder, wo die Linke leider keine Parlamentarier ins Parlament schicken wird, zum Beispiel das große Großbritannien, und deswegen ist insgesamt – das will ich hervorheben -, insgesamt haben wir mehr Mandatsträger, und das ist sehr gut. Das ist ein Zeichen für ein soziales Europa. Das ist doch der Kern, welche politische Botschaft gibt uns denn das Wahlergebnis. Da, glaube ich, ist es ein Zeichen für ein soziales Europa. Wir brauchen Umverteilung, wir brauchen mehr soziale Gerechtigkeit, wir brauchen eine humane Flüchtlingspolitik. Das sind die Signale dieser Europawahl.
    Müller: Das sind alles Signale, die die Großen, die Konservativen wie auch die Sozialdemokraten, offenbar nach Ihrer Lesart ja nicht ausgesendet haben. Sind Sie dennoch bereit, zusammenzuarbeiten mit ihnen?
    Bartsch: Ich glaube, diese Frage stellt sich im Moment überhaupt nicht. Die Christdemokraten oder die Europäische Volkspartei erhebt den Anspruch auf den Präsidenten. Mit Sicherheit wird kein Linker Herrn Juncker wählen, das ist ganz, ganz klar, und für uns stehen auch dort inhaltliche Kriterien im Mittelpunkt, zum Beispiel: Wie ist denn das Verhältnis zum Freihandelsabkommen? Jemand der das Freihandelsabkommen mit den Vereinigten Staaten voll trägt, kommt für uns nicht in Frage. Also man soll nicht über Dinge reden, die überhaupt nicht anstehen. Wir sind da nicht gefragt. Unsere Aufgabe im Europäischen Parlament, in einer hoffentlich großen noch zu bildenden Fraktion ist klar.
    Müller: Aber dennoch müssen Sie sich ja Gedanken machen, wer dann in Frage kommt. Das heißt, es bleibt nur Martin Schulz?
    Bartsch: Nein, das habe ich ja gerade nicht gesagt. Ich habe gesagt, definitiv kann man Herrn Juncker ausschließen. Alle anderen Fragen stellen sich für uns nicht. Wenn Herr Schulz mit der Linken reden wird, vermute ich mal, dass der oder die Fraktionsvorsitzende der Linksfraktion auch mit ihm reden wird. Das ist doch völlig unbenommen. Und ich wiederhole das: Wenn, dann gibt es für uns inhaltliche Kriterien. Eines habe ich genannt: Es braucht einen Kurswechsel in Europa. Wenn es den nicht gibt, dann wird es auch keine Wahl von Linken eines Kommissionspräsidenten geben, der von den Sozialdemokraten gestellt wird.
    Müller: Sie haben ja auch als stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Partei immer wieder betont, wir wollen auf der anderen Seite konstruktiv sein, wir können nicht nur destruktiv sein, das heißt wir müssen mitarbeiten, und Sie sind auch durchaus aufgeschlossen gegenüber einer künftigen Zusammenarbeit mit der SPD, wenn ich Sie da in den vergangenen Monaten und Jahren richtig verstanden habe. Nun haben wir Ralf Stegner vor einer Stunde gefragt, können Sie denn mit der Linkspartei, und da sagte er, na ja, gut, ist jetzt alles nicht die Frage. Jetzt frage ich Sie, dann sagen Sie auch, das ist nicht die Frage. Wo stehen wir denn jetzt?
    Bartsch: Im Europäischen Parlament werden die Koalitionen ja in der Regel nicht so gebildet wie in Deutschland. Und was diese Frage betrifft, da will ich vor allen Dingen darauf verweisen: Wir hatten jetzt viele, viele Kommunalwahlen und wir werden im Herbst Landtagswahlen haben. Da wird sich zeigen, ob eine Zusammenarbeit in den Ländern, zum Beispiel in Thüringen, zum Beispiel in Brandenburg, zwischen Sozialdemokraten und Linken möglich ist. Da werden wir das sehen, wie auch im Ergebnis der Kommunalwahlen. Ich will über Europa deshalb nicht reden, weil dort diese Frage im Moment nicht steht. Es ist nach meiner Einschätzung relativ schwer für Herrn Schulz, mit wem auch immer eine Mehrheit zu bilden, aber da bleibt auch das: Wir, wenn wir zu Gesprächen gebeten werden, werden wir die selbstverständlich führen. Herrn Stegner zitieren Sie. Also wissen Sie, bei der Bundestagswahl meinte die SPD nach der Bundestagswahl, mit uns nicht mal reden zu müssen, obwohl es eine Mehrheit jenseits der Union gibt.
    Dritter Kandidat würde Wahl delegitimieren
    Müller: Aber nicht der Herr Stegner.
    Bartsch: Der Herr Stegner ist der, der jetzt eingesetzt ist, die Signale zu senden. Wir haben auf der Bundesebene die Aufgabe, Opposition zu sein. Ich bleibe bei meiner Position: Ich bin für ein Mitte-Links-Bündnis, wo immer es möglich ist. Das ist doch völlig klar! Aber das ist an inhaltliche Kriterien gebunden. Das ist doch das Entscheidende. Abstrakt zu addieren zu Fraktionen, reicht nicht aus, sondern dann ist klar, entweder es gibt eine andere Politik in Europa, die nicht mehr die Banken und Konzerne fördert und immer wieder Banken rettet, sondern es muss ein Europa der Menschen sein. Das ist doch der Ansatz. Wenn wir den hinkriegen, ja dann immer mit uns!
    Müller: Gut, dass Sie das gesagt haben. Ich habe diesen Satz, ein Europa der Menschen und nicht der Banken und der Konzerne, unendlich oft von Martin Schulz gehört. Also passt das ja zusammen?
    Bartsch: Wenn Herr Schulz das genau umsetzt, dann kann das auch passen. Aber ich will das gerne ein drittes Mal wiederholen: Mit Sicherheit wird Herr Juncker aus der Linken-Fraktion keine Stimmen bekommen. Wenn Herr Schulz mit uns reden will, dann werden das meine Genossinnen und Genossen in Brüssel mit Sicherheit tun, und dann werden wir sehen, was dabei herauskommt.
    Müller: Abschließend, Herr Bartsch, müssen wir noch was festhalten. Das heißt, wir wollen das jetzt nicht zu Ende führen? Sie sagen es nicht, Sie sagen nur, Juncker ist ausgeschlossen. Wenn es aber zur Auseinandersetzung kommen sollte, Europäisches Parlament gegen die nationalen Regierungen, Cameron, eventuell auch Angela Merkel, die da sagen, wir nehmen einen dritten Kandidaten, wären Sie dann bereit zu sagen, nein, wir wollen auf jeden Fall das Parlament stärken, und machen dann auf jeden Fall mit bei der Wahl einer der beiden Spitzenkandidaten?
    Bartsch: Ich glaube, wenn man jetzt mit einem neuen Kandidaten, der überhaupt nicht zur Wahl stand, kommt, dann deligitimiert das ein Stück weit diese Europawahl. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass Herr Cameron oder Frau Merkel das ernsthaft wollen. Aber da rate ich dann zumindest der Linken-Fraktion doch ein Maß an Zurückhaltung. Wir hatten mit Alexis Tsipras einen hervorragenden Spitzenkandidaten, der in seinem Land gewonnen hat. Allerdings wird er vermutlich nicht der neue Präsident werden, was ich sehr bedauere.
    Müller: Danke nach Berlin, Dietmar Bartsch.
    Bartsch: Gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.