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EU-Kommissionspräsident
Oettinger: Parlament muss sich einigen

Die EVP ist die stärkste Fraktion im EU-Parlament, deswegen sollte ihr Spitzenkandidat Manfred Weber (CSU) auch Kommissionspräsident werden, findet EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger (CDU). Das EU-Parlament müsse sich auf die Unterstützung eines Kandidaten einigen - sonst entmachte es sich selbst.

Günther Oettinger im Gespräch mit Jörg Münchenberg | 20.06.2019
Oettinger steht vor einer blauen Wand mit den EU-Sternen.
EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger unterstützt EVP-Kandidat Manfred Weber (AFP/JOHN THYS)
Oettinger kritisierte, dass sich das Parlament nach der Europawahl nicht für Weber ausspricht, obwohl er die stärkste Fraktion im Parlament führe. Die Wähler hätten entschieden. "Bei einer Wahl sollten die Bürger wissen, wer Chef der Regierung Europas wird." Man dürfe nicht in eine Zeit zurückfallen, in der intransparent "in Hinterzimmern" über den Spitzenposten bei der EU entschieden wurde.
Oettinger erinnerte daran, dass Martin Schulz vor fünf Jahren als Kandidat der Sozialdemokraten nach der Wahl zurückgezogen habe, da seine Fraktion nicht die stärkste gewesen sei. "Das war ein Vorbild für heute, daran sollten die Sozialisten sich erinnern."
Eine Einigung beim EU-Spitzenpersonal erwartet Oettinger beim heutigen EU-Gipfel noch nicht. Spätestens zu Beginn der parlamentarischen Arbeit am 3. Juli sollte es jedoch eine geben.
Bei der Entscheidung um das Amt des EU-Kommissionspräsidenten spielt auch der Streit zwischen Angela Merkel und Emmanuel Macron eine Rolle. Lesen Sie hier mehr über den politischen Machtkampf.

Das Interview in voller Länge:
Jörg Münchenberg: Wieder EU-Gipfel heute in Brüssel, und zu besprechen gibt es einiges, schließlich müssen zahlreiche Spitzenjobs neu besetzt werden: EU-Ratspräsident, Kommissionspräsident, EU-Außenbeauftragte, Parlamentspräsident und der Präsident der Europäischen Zentralbank. Entscheidend sind dabei Geschlecht, geografische Herkunft und die Parteizugehörigkeit, aber natürlich auch, wer sich am Ende in diesem Machtpoker durchsetzen kann. Das EU-Parlament will unbedingt am System der Spitzenkandidaten festhalten und am Telefon ist jetzt EU-Haushaltkommissar Günther Oettinger. Herr Oettinger, einen schönen guten Morgen!
Günther Oettinger: Guten Morgen, Herr Münchenberg!
Münchenberg: Herr Oettinger, wie gut stehen die Chancen, dass es Manfred Weber doch noch auf den Chefsessel der EU-Kommission schafft?
Oettinger: Manfred Weber hat gute Argumente. Er führt die EVP im Parlament Europas, er war Spitzenkandidat, und die EVP ist die stärkste Fraktion. Wir haben zwar ein paar Sitze verloren, aber wir sind deutlich stärker als Sozialisten, Liberale und Grüne, und wenn wir sehen, dass das Parlament seine Positionen ausbauen will, nämlich der Ort der Entscheidung zu sein, dann muss es Manfred Weber nominieren und dem Europäischen Rat, den Regierungschefs zeigen, dass mit Weber der Richtige vorzuschlagen sein wird.
"Weber bringt alles mit, was man braucht, um Europa politisch zu führen"
Münchenberg: Kommen wir gleich noch mal drauf zu sprechen auf die Rolle des Parlamentes. Ein Vorwurf gerade aus Frankreich ist ja, dass Weber noch kein politisches Spitzenamt gehabt habe, und er gilt in Frankreich als politisches Leichtgewicht. Ist das sein größtes Manko?
Oettinger: Er hat die größte Fraktion fünf Jahre geführt. Er kennt das Parlament, die Themen Europas seit 15 Jahren. Er bringt alles mit, was man braucht, um Europa politisch zu führen. Wir haben genügend gute Verwaltungsbeamte hier in der Kommission. Also ich würde sagen, das ist reiner Vorwand, das ist kein Grund, ihn abzulehnen, ein reiner Vorwand.
Münchenberg: Dann gibt es ja auch eine Fiesigkeit noch aus Frankreich: Die französische Europaministerin hat ihn als Ektoplasma bezeichnet, sozusagen also im übertragenen Sinne als kopf- und körperlose Figur.
Oettinger: Ich habe noch nie erlebt, dass jemand nach nur einem Hintergrundgespräch so rasch sich selbst verabschiedet hat. Die Dame hat alle beleidigt, die sie gerade im Kopf hatte und ist deswegen zu Recht nicht die Fraktionschefin der Liberalen geworden. Insofern ist das Ganze gegenstandslos.
Münchenberg: Sie haben die Rolle des Parlamentes ja schon angesprochen. Das Problem ist im Augenblick, das Parlament kann sich nicht auf einen Kandidaten einigen, und auch keiner der Kandidaten hat eine Mehrheit im Parlament. Wie soll, kann man das auflösen?
Oettinger: Ich darf daran erinnern, vor fünf Jahren hatten wir einen harten Wahlkampf mit zwei Spitzenkandidaten: Martin Schulz für die Sozialisten und Jean-Claude Juncker für die EVP und die Christdemokraten. Und noch in der Wahlnacht hat Martin Schulz erklärt, dass er zwar gut abgeschnitten hat, stimmt, aber Platz zwei errungen hat und deswegen, dass er alles tun wird, um Jean-Claude Juncker als Präsident der Kommission zu unterstützen. So kam es dann auch. Ich finde, das war eine Blaupause, ein Vorbild für heute, und genau daran sollten sich Sozialisten erinnern.
Münchenberg: Auf der anderen Seite ist es so, haben Sie auch schon gesagt, die EVP hat ja in diesem Wahlkampf auch deutlich verloren an Stimmen, und das schwächt natürlich auch die Position von Manfred Weber.
Oettinger: Das stimmt, aber wenn das Parlament nicht sich insgesamt schwächen will, wenn das Parlament nicht zurückfallen will in die Zeit der letzten Jahrzehnte, dann muss es in den nächsten Tagen vor dem ersten Juli zum Europäischen Rat, den Regierungschefs aufzeigen, wen sie zu wählen bereit sind, und das kann meines Erachtens nur Manfred Weber sein, das kann nicht ein anderer sein, weder Timmermans noch Frau Vestager. Und wenn dies nicht eintritt, dann wäre das Parlament im Grunde genommen, ich sage mal: Selbstentmachtung.
"Wir sollten nicht zurückfallen in die letzten Jahrzehnte"
Münchenberg: Auf der anderen Seite, es gibt ja einen breiten Widerstand gegen dieses System der Spitzenkandidaten. Das sind ja mittlerweile zehn Länder, die dagegen sind. Emmanuel Macron hält davon auch nicht sehr viel. Also stellt sich ja schon noch die Frage, es gibt ja auch berechtigte Kritik an diesem System, ob das wirklich dauerhaft Bestand haben kann.
Oettinger: Ich finde, bei einer Wahl sollten die Bürger wissen, wen sie Sozialisten wählen, Liberale, Grüne oder Christdemokraten wählen, wer ist dann der Chef der Regierung Europas, und deswegen ist das Konzept richtig, und sollten nicht zurückfallen in die letzten Jahrzehnte, wo Staats- und Regierungschefs intransparent in Hinterzimmern entschieden, haben, wer Europa führt.
Münchenberg: Wird das letztlich vielleicht jetzt doch von der Bundeskanzlerin und dem französischen Präsidenten ausgehandelt heute? Denn die sind ja die maßgeblichen Akteure, und viel wird ja auch davon abhängen, wie die beiden sich positionieren, welche Rolle sie spielen wollen bei diesem Postenpoker.
Oettinger: Natürlich haben beide eine Schlüsselfunktion. Die erfahrene Kämpferin, die aus dem stärksten Land Europas kommt und der proeuropäische Präsident Macron. Beide dürfen ihre Funktion nicht zu einer Blockade gebrauchen, sondern sollten zu einem Kompromiss kommen. Klar ist, wenn Macron versucht, das Parlament zu schwächen, dann schwächt er Europa. Er will ja eigentlich Europa stärken. Es geht nur, indem man zwischen Europäischem Rat und Parlament zu einer gemeinsamen Linie kommt, auf das Parlament zugeht. Ich hoffe, dass es dazu heute oder in den nächsten Tagen kommt.
Münchenberg: Aber wäre es nicht vielleicht sinnvoll, wenn Deutschland und Frankreich beide auf ein Spitzenamt verzichten und damit vielleicht auch den Weg für einen Kompromiss freimachen?
Oettinger: Natürlich ist klar, dass sowohl die Öffentlichkeit Frankreichs wie die deutsche darauf achtet, dass die beiden Länder vergleichbar stark vertreten sind, das heißt einer aus Deutschland, einer aus Frankreich oder aber keiner aus Deutschland und keiner aus Frankreich, aber wir haben doch gute Kandidaten, ein gutes Angebot aus beiden Ländern für alle Positionen. Deswegen wäre es eigentlich abwegig, wenn die beiden Länder sich gegenseitig neutralisieren und niemand aus den beiden Ländern in der Führung Europas vertreten ist.
Münchenberg: Auf der anderen Seite, wenn jetzt Weber nicht zum Zug kommen sollte beim Amt des Kommissionspräsidenten, dann wiederum würden die Chancen doch für Bundesbankpräsident Jens Weidmann ganz gut stehen, der ja gerne Chef der Europäischen Zentralbank werden will.
Oettinger: Ja, das stimmt, aber ich finde, so wie in Deutschland das Amt des Kanzlers bekannt wird und ganz wichtig ist und der Bundesbankchef nicht ganz so wichtig ist, sollte auch in der europäischen Dimension der Kommissionschef wichtiger sein als der EZB-Präsident. Deswegen ist das ein klares Prinzip, dass wir als EVP als stärkste Fraktion im Parlament und dass Deutschland als größtes Land für den Kommissionschef kämpft.
"Große Erwartung, dass sie in der nächsten Woche zu einem Kompromiss kommen"
Münchenberg: Würde sich denn Ihrer Meinung nach viel ändern, wenn jetzt Jens Weidmann Chef der Europäischen Zentralbank werden würde in Bezug auf die europäische Geldpolitik, denn ja auch ein EZB-Chef kann ja nur im Kollektiv entscheiden?
Oettinger: Ich glaube, dass die EZB, egal wer sie führt, und Weidmann wäre ein exzellenter EZB-Präsident, in den nächsten 18 Monaten den Weg aus der Niedrigstzinspolitik gehen muss und damit die Konsequenz ziehen muss aus den letzten Jahren, was Dragi machte, war okay, aber es kann nicht die Politik der nächsten fünf Jahre sein. Wir müssen Sparer, wir müssen Versicherungen letztendlich ermutigen, Geld anzulegen, und deswegen, ein gewisser Zins für den, der Geld hat und Geld anlegt, ist, glaube ich, die Konsequenz, die 2020 kommen muss.
Münchenberg: Noch ein letztes Wort zu den Personalien, mit Brexit-Kommissar Michel Barnier oder auch IWF-Chefin Christine Lagarde gibt es ja auch mögliche, sozusagen lachende Dritte, die ja am Ende vielleicht dann auf den Chefsessel der Kommission kommen könnten. Wären das denn so schlechte Alternativen?
Oettinger: Das sind starke Köpfe, exzellente Fachleute. Das haben Michel Barnier bei den Brexit-Verhandlungen und Frau Lagarde bei der Arbeit im Währungsfonds bewiesen, aber beide waren nicht Spitzenkandidaten. Der Wähler hat nicht Michel Barnier oder Frau Lagarde wählen können. Er konnte sich entscheiden zwischen Kandidaten für das Europäische Parlament vor Ort und letztendlich die zwei Spitzenkandidaten Frans Timmermans für die Sozialisten und Manfred Weber für die EVP, die Christdemokraten.
Münchenberg: Rechnen Sie mit einer Einigung schon heute, oder muss es letztlich oder wird es ein neuerliches Treffen der Staats- und Regierungschefs geben?
Oettinger: Es sollte vor Beginn der parlamentarischen Arbeit, das heißt vor dem dritten Juli, wenn das Parlament neu in Straßburg zusammentritt, eine Einigung haben. Da haben wir noch zehn Tage Zeit. Deswegen keine Erwartungen heute oder morgen, aber eine große Erwartung, dass sie in der nächsten Woche zu einem Kompromiss kommen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.