Mittwoch, 24. April 2024

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EU-Mission "Irini"
Libyen: Viele offene Fragen bei der Embargoüberwachung

Die Mission "Irini" soll Waffenlieferungen nach Libyen eindämmen und verfolge damit ein hehres Ziel, sagte Thomas Claes, Landesdirektor der Friedrich-Ebert-Stiftung für Libyen, im Dlf. Allerdings gebe es noch viele offene Fragen, wie zum Umgang mit dem NATO-Partner Türkei oder mit Migranten auf dem Seeweg nach Europa.

Thomas Claes im Gespräch mit Britta Fecke | 25.04.2020
Ein Kämpfer der international anerkannten Regierung feuert ein schweres Maschinengewehr auf die Streitkräfte der selbsternannten Libyschen Nationalen Armee.
"Es geht darum, dass Waffenlieferungen nach Libyen insgesamt kontrolliert werden und zurückgehen, um den Konflikt auszutrocknen", so Thomas Claes. (picture alliance/Amru Salahuddien/dpa)
Bis zu 300 deutsche Soldaten sollen an der neuen, EU-geführten Militärmission "Irini" im Mittelmeer teilnehmen. Das Bundeskabinett verabschiedete Mitte dieser Woche das entsprechende Mandat. Diese Mission soll die Waffenlieferungen an das Bürgerkriegsland Libyen eindämmen, dort führt seit etwa einem Jahr der abtrünnige General Haftar die Militäroffensive gegen die Hauptstadt Tripolis – in den vergangenen Wochen hatten er und seine Verbündeteten die Luftangriffe verstärkt – trotz der Zivilisten in der Stadt. Thomas Claes ist Landesdirektor der Friedrich-Ebert-Stiftung für Libyen und vermutet, dass die weltweite Coronakrise von den Bürgerkriegsparteien genutzt wurde, um die Situation eskalieren zu lassen.
Britta Fecke: Herr Claes, die Kämpfe rund um die Hauptstadt Tripolis hatten sich zuletzt wieder intensiviert. Welche Gebiete konnte denn die international anerkannte Einheitsregierung von Premier Sarradsch in Tripolis zurückgewinnen?
Thomas Claes: Ja, die Frontverläufe haben sich zumindest in der Region im Westen der Hauptstadt Tripolis geändert in Richtung der Grenze zu Tunesien. Da wurden mehrere Städte entlang der Küste wieder von der Regierung der Nationalen Einheit aus Tripoli zurückerobert, Sorman und Sabrata sind da sicherlich die größten. Das sind natürlich erst mal wichtige Erfolge, die die da errungen haben gegen die libysche Nationalarmee von General Haftar. So ein bisschen noch zu dem Hintergrund dazu: diese Eskalation war schon ziemlich lange erwartet worden. Eigentlich seit dem Scheitern der Berlin-Konferenz im Januar hat man feststellen können, dass beide Seiten angefangen haben, sich immer mehr zu bewaffnen, und sie haben auch von ihren internationalen Unterstützern immer mehr Waffen erhalten. Und so hat jetzt vielleicht dieser globale Ausbruch von Corona dazu beigetragen, dass diese Eskalation dann jetzt auch kam, wo die internationale Aufmerksamkeit sich nicht mehr groß auf Libyen richten kann, und dass das dann einfach von beiden Seiten auch für eine Eskalation jetzt genutzt wurde, die jetzt halt vor allen Dingen durch die wichtige Unterstützung der Türkei für die Nationale Einheitsregierung dazu geführt hat, dass diese hier gute Geländegewinne erringen konnte.
Mögliche Durchsuchung türkischer Schiffe von "Irini"-Kontrolleuren?
Fecke: Viele Waffen erreichen die Kriegsparteien ja nicht auf dem Seeweg. Die Vereinigten Arabischen Emirate schicken ihre Waffen zum Beispiel in die von Haftar kontrollierten Gebiete per Flugzeug. Und andere Unterstützer von Haftar kommen aus Ägypten, und die Waffen werden dann über die Landesgrenze geschickt. Wie sinnvoll kann dann das Waffenembargo mit einer Marinemission überhaupt überwacht werden?
Claes: Ja, das ist natürlich genau die Frage, die jetzt bei dieser neuen "Irini"-Mission der EU stellt, gerade weil das natürlich einen ungleichen Effekt auf die beiden Konfliktparteien hat. Also, besonders die Regierung der Nationalen Einheit, die auch international als die Regierung Libyens anerkannt ist, würde davon in besonderer Weise betroffen werden, weil diese vor allen Dingen ihre Unterstützung auf dem Seeweg durch die Türkei erhält; wogegen die libysche Nationalarmee, General Haftar, insbesondere auf dem Landweg und auf dem Luftweg aus den Vereinigten Arabischen Emiraten und Ägypten versorgt werden.
Fecke: Kommt nicht da noch erschwerend hinzu bei dieser Embargoüberwachung, dass man auch mit der europäischen Mission auf türkische Kriegsschiffe stoßen könnte, die vor der libyschen Küste unterwegs sind, und wenn man diese am Navigieren oder Operieren hindert, dann würde ja im Grunde genommen ein NATO-Partner uns gegenüberstehen.
Claes: Ja, absolut. Da ist natürlich auch ein Blick in die Einsatzregeln dieser "Irini"-Mission hilfreich, denn eigentlich müssen Flaggenstaaten auch so einer Durchsuchung und Kontrolle zustimmen. Die haben da zwar eine gewisse Frist, aber im Grunde geht es darum, dass die Flaggenstaaten dem zustimmen müssen. Und da ist natürlich dann auch die Frage, wird das dann überhaupt erfolgen, eine Zustimmung der Türkei, dass irgendwelche "Irini"-Vertreter ihre Schiffe kontrollieren könnten. Also, da sind mehrere Sachen, die da relativ unklar sind.
Migranten, die von Libyen aus nach Italien wollen, sitzen auf einem Schlauchboot im Mittelmeer. Sie warten am 27.01.2018 vor der libyschen Küste auf den Rettungseinsatz von SOS Mediterranee und der italienischen Küstenwache.
Das Geschäft mit den Flüchtlingen - Endstation Libyen
Wenn sie aufgegeben haben, besteigen sie die Flugzeuge. Die Internationale Organisation für Migration (IOM) transportiert verzweifelte Flüchtlinge und Migranten zurück in ihre Heimatländer - den Senegal, Niger oder Nigeria. Es ist die Rettung vor dem sicheren Tod und gleichzeitig ein Flug zurück in die Hoffnungslosigkeit.
Einsatzregeln: "Irini"-Schiffe sollen keine Migranten aufnehmen
Fecke: Was spricht denn dennoch dafür, diese Operation "Irini" auf den Weg zu bringen?
Claes: Insbesondere ist es natürlich wichtig hier, dass die EU damit die Rolle der Vereinten Nationen unterstützt, dieses Embargo umzusetzen. Es geht ja darum, dass Waffenlieferungen nach Libyen insgesamt irgendwo kontrolliert werden und zurückgehen, um den Konflikt auszutrocknen. Das ist natürlich ein hehres, das ist ja auch ein sehr gutes Ziel. Allerdings ist natürlich das Problem, wen trifft man damit und wie kann man das machen. Und gerade auch noch mal vor dem Hintergrund, dass auch aus Libyen ja Migranten immer noch auf dem Seeweg sich auf den Weg machen. Das ist auch vielleicht wichtig, zu sehen, was passiert, wenn diese "Irini"-Schiffe auf Migranten in Seenot treffen. Da ist auch noch nicht ganz klar, wenn das so kommen sollte, so sehen die Einsatzregeln vor, dass sich die "Irini"-Schiffe dann wieder zurückziehen, dass man sozusagen gar nicht in diese Situation kommt, Migranten irgendwo aufnehmen zu müssen – was dann wieder andere politische Probleme hätte.
Fecke: Aber ich glaube, der Auftrag dieser Mission ist ziemlich eindeutig, es sollen ausdrücklich keine Flüchtlinge aufgenommen werden, weil man wohl dort im Mittelmeer kreuzen will, wo keine Flüchtlingsrouten sind, was ich mir geographisch auch sehr schwierig vorstelle.
Claes: Ja, die Idee ist, genau, dass die Schiffe vor allen Dingen den Ostteil kreuzen sollen, in der Umgebung eben von Bengasi und den von der libyschen Nationalarmee kontrollierten Gebiete, wohingegen die Hauptmigrantenroute, die sogenannte zentrale Mittelmeerroute, natürlich im Westteil Libyens ihren Ursprung nimmt. Völlig klar, allerdings kann sich natürlich daran auch etwas ändern und es hat natürlich auch einen direkten Einfluss darauf, was man tatsächlich irgendwo kontrollieren kann, wenn man sich nur auf ein bestimmtes Gebiet konzentriert und dieses Gebiet vielleicht ohnehin nicht so relevant ist, weil wir ja schon sagten, dass die libysche Nationalarmee vor allem über den Luft- und Landweg versorgt wird.
Leere Kriegskassen durch niedrigen Ölpreis?
Fecke: Beide Seiten in diesem Bürgerkrieg finanzieren sich ja durch die Einnahmen aus dem Verkauf von Rohöl. Jetzt, da der Ölpreis so stark abgestürzt ist, besteht da die Hoffnung, dass die Kriegskassen bald leer sein werden?
Claes: Das ist eine zentrale Frage: Was ist mit den Öleinnahmen, insbesondere da auch Haftar jetzt schon seit Januar, seit der Berlin-Konferenz, auch wichtige Ölproduktions- und Ölexportterminals in Libyen blockiert hat und da sind dem Land bereits Gelder in Höhe von vier Milliarden US-Dollar entgangen durch den nicht erfolgten Export von Öl. Die Frage ist halt, hat das direkten Einfluss auf die Kriegsbemühungen oder hat es vor allem einen Einfluss auf die Bevölkerung, denn fast alle Libyer leben irgendwo von den Öleinnahmen. Und das trifft vor allen Dingen dann erst mal direkt die Bevölkerung, die Leute, die arbeiten und die Leute, die irgendwo überleben müssen. Die eh schon durch den Krieg besonders betroffen sind, die jetzt durch den Ausbruch von Corona, den man in Libyen nicht genau nachverfolgen kann, der aber höchstwahrscheinlich trotzdem irgendwo da ist oder noch kommt, noch getroffen werden. Dann natürlich die Folgen des in Libyen existierenden Ausgangsverbots. Das hat also wirklich vor allen Dingen ökonomische Folgen und Folgen auf die soziale Gerechtigkeit und soziale Kohärenz im Land. Auch wenn wir jetzt schon in einem Land von ungefähr sechs Millionen Einwohnern von circa 400.000 binnenvertriebenen Libyern ausgehen müssen, sind das natürlich soziale Verwerfungen auf sehr großem Level.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.