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EU-Osterweiterung
Ungarn: Feindbild Europa

Obwohl Ungarn stark von der EU und dem Geld aus ihren Förderprogrammen profitiert, ist die Europaskepsis deutlich gewachsen. Die rechtsextreme Jobbik-Partei hat bei den Parlamentswahlen mit Anti-EU-Parolen beachtliche Erfolge erzielt.

Von Ralf Borchard | 30.04.2014
    Eine ungarische Nationalflagge am Parlamentsgebäude in Budapest (Ungarn)
    Eine ungarische Nationalflagge am Parlamentsgebäude in Budapest (Ungarn) (dpa / picture alliance / Beate Schleep)
    Budapest, im Februar dieses Jahres. Ein Abgeordneter der rechtsextremen Jobbik-Partei wirft eine EU-Fahne aus einem Fenster des Parlamentsgebäudes. „Es lebe die Freiheit, es lebe die Heimat", ruft Tamas Gaudi-Nagy und drückt damit aus: wir wollen eigentlich wieder raus aus der EU.
    Die Jobbik-Partei mit ihren rechtsextremen Parolen steht zwar nicht für die Mehrheit in Ungarn, doch bei den Parlamentswahlen Anfang April hat sie immerhin gut 20 Prozent erreicht. Regierungschef Viktor Orban, der mit seiner konservativen Fidesz-Partei die Wahl gewann, erklärte: "Die Ungarn haben Nein zu einem Austritt aus der EU gesagt mit dieser Wahl. Sie haben deutlich gemacht, dass Ungarn einen Platz in der Europäischen Union hat. Aber nur, wenn dieses Land eine starke nationale Regierung hat".
    Kaum ein anderes Mitgliedsland ist in den vergangenen Jahren so oft in Konflikt mit der EU-Zentrale in Brüssel geraten wie Ungarn. Es ging um Medienfreiheit, die Reform des Wahlrechts, um die Unabhängigkeit von Richtern. Stets gab die Regierung Orban ein kleines Stück nach, um am Ende die umstrittenen Gesetze leicht abgeschwächt doch umzusetzen.
    Vorteile verschenkt
    Umstritten ist auch die Wirtschaftspolitik. Energiekonzerne in Ungarn wurden zu Preissenkungen gezwungen, ausländische Banken mit Sonderabgaben belegt. Nur langsam kommt das Land aus der tiefen Wirtschaftskrise. Dennoch, sagt der Wirtschaftswissenschaftler Istvan Madar, hat das Land von der EU profitiert: "Ohne den EU-Beitritt würde Ungarn jetzt in einer noch schlimmeren Situation sein. Fehler, die wir gemacht haben, sind nicht wegen unserer EU-Mitgliedschaft passiert. Wir haben ziemlich viele Vorteile, zum Beispiel den riesengroßen Exportmarkt, der sich für uns eröffnet hat, fast verschenkt. Untersuchungen zeigen: wenn wir in den letzten zehn Jahren nicht in der EU gewesen wären, würde unser Bruttosozialprodukt 10 Prozent niedriger liegen als jetzt."
    Warum dann die wachsende EU-Skepsis auch in der Bevölkerung? Die ungarische Europa-Ministerin Enikö Györi sagt: „Wenn man ein so turbulentes Verhältnis zur EU hat wie wir in den vergangenen vier Jahren, wenn eine Regierung so viele Änderungen in vergleichsweise kurzer Zeit durchsetzt wie wir, wenn man so heftig von außen kritisiert, ja attackiert wird wie Ungarn, fragen die Leute, warum. Sie verlieren Vertrauen in die EU. Ich würde etwas mehr wechselseitige Toleranz erwarten. Wir sind 28 Staaten mit 28 nationalen Identitäten. Unsere Partner sollten mehr zuhören, unseren Weg akzeptieren, und nicht immer gleich den Teufel an die Wand malen".
    Intellektuelle wandern aus, Orban-Fans kritisieren Brüssel
    Wer sich in Ungarn umhört, stellt fest: das Land ist tief gespalten: Viele, die die Regierung kritisch sehen - Intellektuelle, gut Qualifizierte vor allem - wandern aus. Viele, die Orban unterstützen, fühlen sich von der EU ungerecht behandelt, persönlich angegriffen. Unter dem Strich aber ist eine Mehrheit nach wie vor für die EU-Mitgliedschaft: "Ich finde es gut in der EU zu sein", sagt eine Frau in Budapest. „Es ist gut, zu einer großen Gemeinschaft gehören. Man kann jetzt frei in andere Ländern reisen. Das finde ich toll. Es ist viel Gutes passiert in den letzten zehn Jahren. Für mich es ist positiv, dass wir zur EU gehören".