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EU-Parlament
"Die Rechtsstaatlichkeit in Malta ist lange vor diesem Mord zusammengebrochen"

"30 Tage, 0 Antworten und 0 Veränderung" - so lautet der Aufruf zu einem stillen Marsch, der einen Monat nach dem Mord an der Journalistin Daphne Galicia auf Malta stattfinden soll. Auch das Europaparlament hat über den Fall diskutiert - doch die Debatte war nicht frei von Parteipolitik.

Von Thomas Otto | 15.11.2017
    Das Bild zeigt ein Portrait der ermordeten maltesischen Journalistin Daphne Caruana Galizia, die am 16. Oktober 2017 durch eine Autobombe getötet wurde.
    Die ermordete maltesische Journalistin Daphne Caruana Galizia, die am 16. Oktober 2017 durch eine Autobombe getötet wurde. (AFP/Matthew Mirabelli)
    Es ist ein bewegender Moment, als EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani zusammen mit dem Witwer der ermordeten maltesischen Journalistin den Pressesaal des EU-Parlaments in Straßburg feierlich nach Daphne Caruana Galizia benennt. Peter Caruana Galizias Stimme zittert, als er ans Mikrofon tritt:
    "Meine Frau Daphne wurde ermordet, weil sie etwas bedeutet hat. Weil die Mächtigen vor ihr Angst hatten und die Kriminellen wütend waren. Als alle legalen und illegalen Wege ausgeschöpft waren, gab es für sie nur eine Lösung: Meine Frau wurde plötzlich gewaltsam und gnadenlos hingerichtet, wenige Meter neben dem Haus, in dem wir unsere Familie großgezogen haben."
    Ihr Tod soll nicht umsonst gewesen sein, hört man immer wieder von Abgeordneten. Mit einer Resolution fordern sie nun eine internationale Untersuchung der Ermordung der Journalistin. Sie kritisieren in dem Papier ein Programm, mit dem Wohlhabende EU-Ausländer einen maltesischen Pass erwerben können und die Verflechtungen privater Finanzinteressen mit öffentlichen Ämtern. Die EU-Kommission soll nun ein Rechtsstaatlichkeitsverfahren gegen Malta einleiten. Esteban González Pons von der konservativen Fraktion der Europäischen Volksparteien (EVP) zählt auf:
    "Journalisten werden bedroht, bloßgestellt und ermordet. Medien werden erpresst von Banken, die der Geldwäsche verdächtigt werden. Hohe Regierungsbeamte werden der Kollaboration hierbei verdächtigt. Und Polizeibeamte weigern sich, dem nachzugehen, denn sie wurden von der Regierung ernannt und haben mit ihr finanzielle Verbindungen."
    Europäische Sozialdemokraten verweisen auf Polen und Ungarn
    Nicht alle Abgeordneten schließen sich dem an. Die europäischen Sozialdemokraten, denen auch die in die Kritik geratene maltesische Regierung angehört, stellen einen Gegenentwurf einer Resolution zur Abstimmung. Die Abgeordneten fordern hier allerdings lediglich die Aufklärung des Mordes und weisen auf die Bedeutung der Rechtsstaatlichkeit auf Malta hin. Die Sozialdemokratin Tanja Fajon kritisiert, die EVP überspitze die Darstellung Maltas:
    "Sie behaupten, nach dem Mord sei die Rechtsstaatlichkeit in Malta zusammengebrochen. Sehr viele EU-Länder haben es tatsächlich mit Einschränkungen der Pressefreiheit zu tun, mit Korruption und Finanzskandalen. Sie diskriminieren Minderheiten und die Zivilgesellschaft. Ungarn und Polen sind Länder mit systemischen Problemen bei den Grundrechten. Dort funktioniert die Rechtsstaatlichkeit nicht gut."
    Gegen Polen hat die EU mittlerweile ein Rechtsstaatlichkeitsverfahren eingeleitet, an dessen Ende der Entzug der Stimmrechte im Rat stehen könnte. Auch gegen Ungarn laufen mehrere Verfahren wegen der Verletzung von Grundrechten. Die hier regierende Fidesz-Partei unter Viktor Orbán ist Teil der Europäischen Volkspartei EVP. Deren Luxemburger Abgeordneter Frank Engel spielt den Ball zu seiner sozialdemokratischen Kollegin Fajon zurück:
    "Die Rechtsstaatlichkeit ist lange vor diesem Mord zusammengebrochen. Der Mord ist eine der Konsequenzen der Privatisierung des maltesischen Staates im Interesse einer Partei. Die Verachtung der maltesischen Regierung für das EU-Parlament wird darin klar, dass die estnische Ratspräsidentschaft hier Malta verteidigen muss. Haben Sie jemals den ungarischen Premier gesehen, wie er sich davor drückt, sein Land zu verteidigen? So etwas haben wir noch nie gesehen."
    "Halbwahrheiten und unbewiesene Anschuldigungen"
    Wie in den Debatten des EU-Parlaments üblich, treten die Redner nach Größe ihrer Fraktionen geordnet auf. Nach der EVP folgt also stets ein Redner der sozialdemokratischen S&D. So verteidigt der maltesische Sozialdemokrat Alfred Sant seine Parteikollegen um Premier Joseph Muscat gegen die Vorwürfe seines konservativen Vorredners Frank Engel:
    "Malta wurden Mängel bei der Rechtsstaatlichkeit vorgeworfen auf Grundlage zusammengewürfelter Fakten, Halbwahrheiten und unbewiesener Anschuldigungen. Ist das eine Retourkutsche für Rechtsstaatlichkeitsverfahren anderer Staaten?"
    Malta habe stets Untersuchungskommissionen des Parlaments empfangen und werde das auch in Zukunft tun, so Sant. Am frühen Nachmittag wollen die Abgeordneten über die beiden Resolutionsentwürfe abstimmen. Das der von den Sozialdemokraten eingebrachte Entwurf eine Mehrheit erhält, ist aufgrund der Mehrheitsverhältnisse recht unwahrscheinlich. Ob und wenn ja wie Mitgliedsstaaten und Kommission auf die Forderungen der Abgeordneten reagieren, bleibt am Ende ihnen selbst überlassen.