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EU-Parlament gegen Plastikmüll
"Ein Schritt, um den Bürgern die Entscheidung leichter zu machen"

Die Reduzierung von Plastikmüll sei eine "geteilte Verantwortung", sagte Ingmar Streese vom Verbraucherzentrale Bundesverband im Dlf. Viele Verbraucher wünschten sich eine Reduzierung des Plastikmülls immer da, wo es Alternativen gebe. Der Handel müsse solche Produkte aber auch anbieten.

Ingmar Streese im Gespräch mit Sarah Zerback | 24.10.2018
    Bunte Plastik-Strohhalme
    Die EU will auch Strohhalme aus Plastik verbieten (imago stock&people)
    Sarah Zerback: Am Telefon begrüße ich jetzt Ingmar Streese vom Verbraucherzentrale Bundesverband. Schönen guten Abend, Herr Streese!
    Ingmar Streese: Schönen guten Abend, Frau Zerback.
    Zerback: Keine Strohhalme mehr, haben wir gehört, keine Wattestäbchen, keine Styroporbecher in Zukunft. Wird dem Verbraucher da was fehlen?
    Streese: Es handelt sich bei diesen Produkten, die Sie eben erwähnten, um Produkte, für die es schon jetzt oder sehr zeitnah Ersatz-Alternativen geben wird. Ein Wattestäbchen muss nicht aus Plastik in der Mitte sein. Es gibt Hersteller, die sagen, sie kriegen das genauso gut aus Papier hin. Der Begriff Strohhalm sagt eigentlich schon, wo er ursprünglich mal herkam: Stroh. Es gibt auch andere Verwendungen, es gibt Glashalme, man kann es auch aus anderen Produkten herstellen, es muss nicht Plastik sein. Unsere Umfragen von der Verbraucherzentrale haben ergeben, dass die Verbraucher sehr wohl, sehr bewusst wissen, es werden viel zu viele Verpackungen verbraucht, es wird viel zu viel Plastik angeboten. Die wünschen sich sogar eine Reduzierung und immer da, wo es Alternativen gibt, würden sie sicherlich auch mitgehen.
    Zerback: Jetzt sind Umfragen das eine und das Kaufverhalten ist noch mal was ganz anderes. Warum greifen denn Verbraucher zu nicht diesen Alternativen, die Sie aufzählen, sondern immer noch zu den Wattestäbchen aus Plastik zum Beispiel?
    "Die Politik muss den Rahmen setzen"
    Streese: Wenn man in die Supermärkte oder in die Drogeriemärkte reingeht, dann findet man ja kaum andere Produkte. Insofern ist es eine geteilte Verantwortung. Natürlich müssen Verbraucher, wenn das Angebot da ist für bessere umweltfreundlichere Produkte, die auch immer stärker wählen wollen. Zum anderen muss aber auch der Handel sie natürlich anbieten und auch so darstellen und präsentieren im Laden, dass man sie leicht findet. Die Hersteller und die Politik sind natürlich auch gefragt. Die Hersteller müssen sich überlegen, gibt es nicht vielleicht doch ein besseres Produkt, was für eine ressourcenschonende Produktion, die wir ja alle mehr oder weniger in der Gesellschaft und in der Welt anstreben müssen, sinnvoller sind, und die Politik muss den Rahmen setzen. Das Europaparlament hat da heute einen großen Schritt getan, um den Bürgern die Entscheidung leichter zu machen in der Zukunft.
    Zerback: Reden wir denn trotzdem von einem mündigen Bürger, oder ist das ein Bürger, der zu seinem Glück von der EU jetzt in dem Fall gezwungen werden muss?
    Streese: Dieser Definition vom mündigen Bürger schließen wir uns grundsätzlich sowieso nicht an, weil es unterschiedliche Typen von Verbrauchern gibt. Es gibt die, die besonders verantwortungsvoll agieren, die dann auch schon immer das Richtige irgendwo finden, wenn es das auf dem Markt gibt. Es gibt ganz auf der anderen Seite sehr viele verletzliche und nicht so gut informierte Verbraucher, die A entweder weniger Geld haben oder nicht so viele Informationen. Bei dem größeren Teil der Verbraucher ist es in der Tat so: Dem muss man das tatsächlich anbieten. Die werden nicht von alleine super informiert, super aktiv. Das kann man auch nicht erwarten von der Mehrheit der Bevölkerung. Insofern gehört auch ein entsprechendes Angebot dazu. Zwangsbeglückung oder Ähnliches von Brüssel, so würden wir das nicht interpretieren. Man wird ja auch weiterhin Wahlmöglichkeiten haben. Bloß ob ein Wattestäbchen tatsächlich in der Mitte Plastik haben muss, oder ein anderes Produkt, was leichter verwertbar ist und nicht so viele Umweltschäden hervorruft, das ist wahrscheinlich den Bürgern egal. Denn wir wurden ja alle gar nicht gefragt, als viele Plastikprodukte eingeführt wurden in den Märkten, wer will denn eine in Plastik eingepackte Salatgurke. Das hat vor zehn Jahren keiner gefordert; plötzlich waren sie da. Dafür gibt es unzählige Beispiele, die einfach zurückgefahren werden können, ohne Einbuße an Lebensqualität.
    "Es gibt Discounter, die bieten überhaupt kein Mehrweg mehr an"
    Zerback: Sie haben gerade das Problem schon skizziert, dass es für viele wirklich kompliziert ist, auch was die Entsorgung der Verpackung betrifft. Da soll es in Zukunft dann auch Hinweise geben. Auch das ist Teil der Entscheidung heute. Da sagt die Industrie aber tatsächlich: Nicht wir sind schuld, sondern der Umgang der Verbraucher mit dem, was wir produzieren, ist schuld. Warum ist denn da tatsächlich noch so viel Luft nach oben beim Recyceln des einzelnen Verbrauchers?
    Streese: Der einzelne Verbraucher kann ja nicht unbedingt recyceln. Er kann natürlich Mehrweg oder Einweg kaufen. Wir haben festgestellt, die Mehrwegquoten sind stark gesunken in den letzten Jahren. Es gibt Discounter – da bin ich wieder bei Verantwortung des Handels -, die bieten überhaupt kein Mehrweg mehr an. Da gibt es nur Einweg-Plastikflaschen oder auch Pfand-Plastikflaschen, aber überhaupt kein Glas-Mehrweg. Und natürlich wird es dem Kunden dadurch auch oft sehr leicht gemacht. Viele haben wenig Zeit, müssen schnell auf dem Weg nach Hause oder wenn die Kinder zur Kita gebracht werden oder woanders hin zwischendurch einkaufen. Da hat man nicht die große Wahl und der Laden, der dann gerade da ist, ist vielleicht gerade ein Discounter, und da kann man nicht entsprechend umweltfreundlich agieren. Ich will da jetzt auch nicht alle Discounter anprangern. Es gibt auch Lebensmittelhändler, Discounter, die sich da zu einem Teil schon auf einen guten Weg gemacht haben. Einige haben angekündigt, sie würden von sich aus schon früher anfangen, bestimmte Plastikprodukte, Einweg-Plastikprodukte auszusortieren. Andere sagen, das in Plastik eingeschweißte Gemüse, das will ich auch gar nicht mehr anbieten, ich biete vielleicht Netze an oder Ähnliches, wie es vor 20 oder 30 Jahren auch schon mal üblich war.
    Zerback: Da sagen jetzt einige, zum Beispiel die Grünen, geht es nicht ein bisschen größer. Sie wollen zum Beispiel eine Plastiksteuer auf Wegwerfprodukte. Muss man nicht sagen, am Ende geht es dann nur über den Preis?
    "Umweltschutz muss ja nicht teurer sein"
    Streese: Es ist wahrscheinlich ein Mix. Wenn man eine vernünftige Rahmengesetzgebung hat – und das, was heute in Brüssel beschlossen wurde, ist ja eine Art von neuer Rahmen -, dann muss man nicht unbedingt steuerliche Maßnahmen einführen. Wenn man aber nach vielen Jahren festgestellt hat, wir haben einen guten Rahmen, es funktioniert aber nicht, warum auch immer, weil die Hersteller vielleicht nicht wollen, weil Produktrohstoffe zu billig sind, weil die Verbraucher einfach ein Verhalten haben, wo sie denken, das ist mir aber leichter, dann braucht es vielleicht noch andere Reize. Auch da sagen die Verbraucher, wenn denn eine Steuer oder eine Abgabe für mehr Umweltschutz im Verpackungsbereich erforderlich ist, dann soll sie kommen. Wir als Verbraucherschutzverband sagen aber, dann soll im Gegenzug auch woanders wieder eine Abgabe oder eine Steuer sinken. Es soll nicht zu einer insgesamt stärkeren Belastung kommen. Und dann sollte man auch darauf achten, dass besonders umweltfreundliche Verpackungen entlastet werden, zum Beispiel durch niedrige Mehrwertsteuer oder Ähnliches.
    Zerback: Läuft alles auf die Grundsatzfrage hinaus, was ist wichtiger, Umweltschutz oder Verbraucherschutz?
    Streese: Ich glaube nicht, dass es ein Gegensatz ist. Es muss auch keiner sein. Denn Umweltschutz muss ja nicht teurer sein. Wenn die Kosten, die bestimmte Produkte wie Einwegplastik verursachen, mit im Preis integriert werden, dann werden sie vielleicht gar nicht billiger, denn die ganzen Aufräumarbeiten an den Stränden der Welt und vielleicht auch, was wir in den letzten Tagen gehört haben, Gesundheitseffekte, Entzündungen durch Mikroplastik im Körper, das erzeugt ja alles Kosten, die man im Moment noch gar nicht absehen kann. Insofern kann unterlassene Umweltverschmutzung günstiger sein als ein einfaches Produkt über viele Jahre, wo man irgendwann feststellt: Hoppla, so billig war das eigentlich gar nicht, das hat Kollateralschäden.
    Zerback: … sagt Ingmar Streese. Er ist zuständig für Verbraucherpolitik beim VZBV. Vielen Dank für das Interview!
    Streese: Sehr gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.