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EU-Parlament
Weniger Tierwohl durch schlampige Formulierungen?

Eigentlich sollte ein neues EU-Gesetz die Marktmacht großer Einzelhandelskonzerne beschränken. Doch durch fragwürdige Änderungen kamen seltsame Formulierungen in den Entwurfstext, die kleineren Anbietern das Leben schwer machen - und Initiativen für mehr Tierwohl oder weniger Pestizide erschweren könnten.

Von Bettina Klein | 23.10.2018
    Das Europaparlament in Straßburg.
    Im Europaparlament gibt es Streit über fragwürdige Gesetzesformulierungen: Alles nur ein Missverständnis, heißt es. (Deutschlandradio / Frank Barknecht)
    Unlautere Einzelhandelshandelspraktiken verhindern – das zielte ab auf große Konzerne, auf europaweite große Einkaufsgenossenschaften und deren Marktkonzentration, auf ihre Macht, ihre Auswirkungen auf die Hersteller, die Landwirtschaft, die Produzenten. Am Ende brachte der Parlamentsausschuss aber eine Formulierung hinein, die auch genossenschaftlich organisierte Unternehmen wie Edeka oder Rewe gefährden könnte. Unter anderen erarbeitet durch den CSU-Europaabgeordneten Albert Deß. Das war so nicht gedacht und ist auch nicht im Sinne der Initiatoren, sagt nun Daniels Caspary, Vorsitzender der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament, dem Deutschlandfunk:
    "An der Befürchtung ist erst mal formal dran, dass leider der Änderungsantrag der Kollegen nicht ganz perfekt ausformuliert war – dadurch konnte das Missverständnis entstehen, aber es ist natürlich nicht Ziel, kleinere oder größere Einkaufsgenossenschaften, wie Edeka oder REWE in ihrem Bestand zu gefährden oder anzugreifen. Es geht den Initiatoren um die großen europaweiten Einkaufsgenossenschaften und dass wir zumindest mal eine Debatte darüber haben, was passiert da im Bereich Einzelhandel, was findet da an Marktkonzentration statt, was für Auswirkungen hat das auf die Landwirtschaft, auf die Hersteller von all den Produkte, die wir einkaufen – das ist grundsätzlich mal gut. Aber der Text kann so natürlich nicht stehen bleiben, wie er im Ausschuss verabschiedet wurde."
    Statt Kleinbauern und Genossenschaften würden große Konzerne gestärkt
    Der Einzelhandel wie auch Umweltverbände hatten protestiert und den Weg in die Öffentlichkeit gesucht. Martin Häusling von den Grünen begrüßt zwar, dass dies nun auch aus Sicht der CDU geändert werden soll, hält die Erklärung von der nicht perfekten Formulierung aber für vorgeschoben.
    "Das kann man nachher immer so sagen, dass das unperfekt formuliert wurde. Klar ist, dass die Kollegen im Agrarausschuss das so durchgestimmt haben. Und jetzt rudert man zurück."
    Sein Vorwurf lautet:
    "Die ganze Zielsetzung des Gesetzes war ja so, dass man Kleinbauern und kleine Genossenschaften stärken wollte. Was jetzt daraus geworden ist: dass man den Großhandel gestärkt hat. Zum Beispiel Unternehmen wie Nestle, die ja keine europäischen Unternehmen sind, jetzt Klagerechte gegen den Einzelhandel einräumt. Das war nie beabsichtigt."
    Schärfere Standards als Wettbewerbshindernis?
    Ein weiterer Punkt, der vor allem Umwelt und Naturschutzverbänden missfällt: Laut Gesetzestext könnten Supermärkte künftig keine Waren mehr anbieten, die über den gesetzlichen Standards für Bioprodukte liegen. Die gerade erst angekündigte Zusammenarbeit von Lidl und Bioland etwa könnte darunter fallen. Auch hier ist der CDU-Abgeordnete Casary für nachträgliche Änderungen:
    "Auch da... Der Antrag ist so rüber gekommen und das wäre nicht in Ordnung. Selbstverständlich gilt auf der einen Seite das Gesetz, wir geben Mindeststandards vor. Und auf der anderen Seite gilt die Vertragsfreiheit. Klar ist: Einzelhändler sollen keine Standards vorgeben können, so steht es in dem Antrag drin. Aber auf der anderen Seite gilt eben wie gesagt die Vertragsfreiheit. Wenn hier Handelsfirmen nur Produkte mit bestimmten Qualitäten einkaufen möchten, dann können wir ja hier nicht künstlich die Standards niedrig halten. Das entscheidet am Ende ja der Verbraucher im Laden, was er kaufen möchte."
    Für Daniel Caspary verbirgt sich dahinter ein strukturelles Problem in der Parlamentsarbeit
    "Wir haben bei uns im Europäischen Parlament die Unsitte, dass wir oft schon aus den Fachausschüssen heraus die Verhandlungen mit dem Rat und der Kommission über die endgültigen Rechtstexte eingehen und das Gesamtplenum gar nicht darüber abstimmen kann. Das ist uns in der CDU/CSU Gruppe grundsätzlich ein Dorn im Auge. Wir versuchen auch schon seit vielen, vielen Jahren hier, die Geschäftsordnung zu ändern. Denn, wie in dem Fall betrifft es eben nicht nur die Landwirtschaft, sondern die ganze Wirtschaft in der Breite. Deswegen gehören die anderen Ausschüsse an Bord. Aber das Gesamtplenum muss darüber abstimmen, und das ist auch unser Ziel in dieser Woche."
    Wenn bis heute Abend 76 Abgeordnete zusammenkommen, die verlangen, das Thema noch auf die Tagesordnung im Plenum zu setzen, dann könnte am Donnerstag darüber entschieden werden, über den Entwurf noch einmal neu im Parlament zu beraten. Stimmt die Mehrheit in diesem prozeduralen zwischenschritt mit Ja dann würde das Gesetz der nächsten oder übernächsten Plenarsitzung im November oder Dezember von den Europaabgeordneten diskutiert.