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EU-Pläne
Industrie soll digital und grün werden

Nachhaltig, digital, wettbewerbsfähig - Brüssel will die Industrie in der EU mit einer neuen Strategie moderner machen. In der neuen EU-Kommission gibt es dabei einige Streitpunkte. Ein Beispiel: Deutschland und Frankreich wollen die Fusionskontrolle lockern und die Subventionsregeln überarbeiten.

Von Peter Kapern | 10.03.2020
Der Container-Terminal des Rotterdamer Hafens
Industrie-Exporte sind ein entscheidender Faktor in der EU-Wirtschaft (imago images / Hollandse Hoogte)
Zwei Transformationsprozesse muss die europäische Wirtschaft gleichzeitig durchlaufen. Sie muss grün und sie muss digital werden. Und bei all dem soll sie sich auch noch im globalen Wettbewerb behaupten können, in dem mit immer unfaireren Mitteln gekämpft wird. Eine gigantische Herausforderung, auf die die EU-Kommission mit einem ebenso gigantischen Arbeitsprogramm für die kommenden Jahre antwortet: mit einer neuen Industriestrategie.
Vize-Kommissionspräsidentin Margrethe Vestager: "Heutzutage sorgen der weltweite Wettbewerb, die Handelsstreitigkeiten und die Rückkehr des Protektionismus für Verunsicherung. Und das ist eine große Herausforderung für Europas Industrie, während sie dem doppelten Transformationsprozess ausgesetzt ist."
Ringen um faire Chancen
Baustein Nummer eins des Kommissionsvorschlags: Der europäischen Industrie, die in der EU 35 Millionen Menschen beschäftigt und für 80 Prozent aller Exporte steht, soll beim Übergang zum klimaneutralen Wirtschaften geholfen werden. Durch ein ganzes Maßnahmenbündel, das in den kommenden Jahren ausgearbeitet wird. Dazu soll der Schutz des geistigen Eigentums verbessert werden, um europäische Unternehmen vor unfairer Konkurrenz zu schützen. Demselben Ziel dient die Untersuchung der Frage, inwieweit unfaire Subventionen für Unternehmen von außerhalb der EU den Wettbewerb verzerren.
Die Kommission will eine Strategie zur Beschaffung seltener Rohstoffe und zur Produktion von Medikamenten in der EU entwickeln. Und zur Industriestrategie zählt auch ein Thema, das in der noch neuen EU-Kommission durchaus für Streit sorgt: Deutschland und Frankreich wollen die Fusionskontrolle lockern und die Subventionsregeln überarbeiten.
Ihre Position innerhalb der Kommission vertritt der französische Binnenmarktkommissar Thiery Breton, der dafür wirbt, europäische Unternehmenschampions zu entwickeln, die mit den größten Konkurrenten weltweit mithalten können. Breton trifft aber bislang auf den beinharten Widerstand der liberalen Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager. Die Prüfung der bisherigen Regeln wird fortgesetzt - so heißt heute von der EU-Kommission.
Der Streit ist also noch nicht entschieden, wie Margrethe Vestager heute klar machte: "Einen Champion baut man auf, indem jeder eine faire Chance bekommt. Damit der beste, der produktivste, der innovativste Wettbewerber wachsen kann, ohne dass ihm mit unfairen Mitteln geholfen werden muss. Aber gleichzeitig müssen unsere Wettbewerbsregeln auch passend sein für eine sich schnell ändernde Welt."
Wichtigste Wohlstandsmaschine Europas
Auch den 25 Millionen kleinen und mittleren Unternehmen in der EU will die Kommission in den laufenden Transformationsprozessen helfen. Neue Regeln sollen dafür sorgen, dass sie leichter an Kapital kommen. Außerdem soll es flächendeckend in allen europäischen Regionen Anlaufstellen geben, die Beratungen in Sachen Nachhaltigkeit und Digitalisierung anbieten. Außerdem will die EU-Kommission die wichtigste Wohlstandsmaschine Europas auf Vordermann bringen: den Binnenmarkt.
70 Prozent aller Unternehmen seien der Ansicht, so Kommissarin Vestager, dass der Binnenmarkt noch nicht ausreichend integriert sei. Noch immer gebe es zu viele Hindernisse. Restriktive und komplizierte, nationale Regeln, die ungenügende Umsetzung und unzureichende Durchsetzung von EU-Recht. Solche Hindernisse zu beseitigen würde Gewinne vom mehr als 700 Milliarden Euro bis zum Ende des Jahrzehnts mobilisieren.
Morgen wird die EU-Kommission den vierten Baustein ihrer neuen Industriestrategie präsentieren: Ein Paket zur Entwicklung einer Kreislaufwirtschaft. Zahlreiche Maßnahmen sollen für die Reduzierung von Verpackungs- und Elektroschrott sorgen sowie ein Recht der Verbraucher auf Reparatur festschreiben. Um den immer schnellen Verschleiß vor allem von Elektrogeräten zu beenden. Die ersten Reaktionen auf die neue Industriestrategie fallen durchaus positiv aus. Richtige Schritte in die richtige Richtung - so heißt es bei Grünen, Sozialdemokraten und Christdemokraten. Bleibt abzuwarten, ob die Einigkeit bestehen bleibt, wenn die EU-Kommission in den kommenden Monaten die konkreten Einzelregelungen zur Umsetzung der Strategie vorstellt.