Freitag, 19. April 2024

Archiv


EU-Politiker Schulz wirft Merkel und Sarkozy "Vertrauenszerstörung" vor

Keine Hilfen, dann doch Hilfen, kein Rettungsschirm, dann doch Rettungsschirm, keine Euro-Bonds - und jetzt doch? Martin Schulz hält das Merkel-Sarkozy Euro-Krisenmanagement für "gefährlich" - und lobt Luxemburgs Premier Juncker.

16.12.2010
    Gerwald Herter: Einigkeit, die wäre jetzt gefragt in der Europäischen Union. Unter den 27 Mitgliedsstaaten und in der kleineren Gruppe der Euro-Länder gibt es genug Sorgenkinder, Griechenland, Irland, Spanien und Portugal. Zumindest harte Euro-Kritiker sehen die Gemeinschaftswährung in Gefahr. Beim Gipfel, der heute beginnt und morgen in Brüssel zu Ende geht, wollen die EU-Staaten den Euro krisensicher machen.
    Nun bin ich mit dem Vorsitzenden der Sozialdemokraten im Europaparlament, mit Martin Schulz verbunden. Guten Morgen, Herr Schulz.

    Martin Schulz: Guten Morgen, Herr Herter.

    Herter: Herr Schulz, gleicht die Europäische Union, die europäische Schicksalsgemeinschaft derzeit eher einer "Rette sich, wer kann"-Gemeinschaft?

    Schulz: Man hat den Eindruck, ja. Das ist eine Beschreibung, der ich zustimmen würde, und das ist ein Punkt, der mich sehr besorgt macht, weil ich den Eindruck habe, dass der Euro, wenn er stabilisiert werden soll, dauerhaft nach innen vor allen Dingen, denn nach außen ist er ja eine sehr stabile Währung, dann braucht er eigentlich viel Gemeinsamkeit, vor allen Dingen in der Wirtschaftspolitik, und weniger Vielstimmigkeit im Regierungshandeln.

    Herter: Aber Sie sind lange genug dabei. Vor EU-Gipfeln hat es immer mal wieder gekracht, und zwar sehr kräftig, ob es nun um die Finanzierung der EU ging, oder die Besetzung der Europäischen Zentralbank. Da hörte man stets viel Theaterdonner. Was ist diesmal anders?

    Schulz: Ja. Ich glaube, diesmal ist der Konflikt seriöser und ist auch härter, weil er um zwei verschiedene Denkschulen geht. Interessant ist dabei, dass der Riss doch sehr durch das konservative Lager in Europa geht, denn die Debatte findet ja im Prinzip statt zwischen den zwei großen Führern, konservativen Führern in Europa, Angela Merkel und Nicolas Sarkozy, zumindest groß, was ihre Staaten angeht, und dem Ministerpräsidenten eines Landes, das ja gemeinhin als das finanzpolitische Musterländchen in Europa gilt, nämlich Jean-Claude Juncker. Da geht es um zwei unterschiedliche Denkrichtungen und die Härte, in der das geführt wird, zeigt, wie groß die Anspannung in der Riege der Staats- und Regierungschefs ist, weil Ideologie auf Pragmatismus trifft, und die Ideologen sind diesmal in Berlin und Paris zu Hause, die Pragmatiker in Luxemburg.

    Herter: Sie sprechen in diesem Zusammenhang ja ganz gerne vom deutsch-französischen Direktorium. Nun lernt aber jeder Politikstudent, dass deutsch-französische Initiativen immer wichtig waren, wenn es um Europa ging, darum ging, Europa voranzubringen. Auch ein Mann wie Helmut Schmidt hat das so gemacht. Warum soll Bundeskanzlerin Merkel damit brechen?

    Schulz: Ja. Das deutsch-französische Direktorium bringt nur im Moment nicht Europa voran, sondern führt eine Debatte ausschließlich aus deutscher und französischer Sicht. Verkürzt ausgedrückt: Die Frau Merkel und der Herr Sarkozy erzählen seit Februar, März diesen Jahres, wir zahlen nichts, wir müssen nichts zahlen, wir werden auch nichts zahlen, und immer mit vier, fünf Wochen Verzögerung sagen sie dann, na ja, gut, machen wir doch.
    Erinnern Sie sich mal an das Frühjahr. Im Frühjahr, als die Griechenland-Krise aufkam, die große Boulevard-Zeitung in Deutschland, die ja da besonders spezialisiert ist, Druck machte nach dem Motto, wieso sollen wir eigentlich zahlen; da hat die Bundeskanzlerin gesagt, natürlich zahlen wir nicht, wartet doch mal, wartet doch mal ab. Das Ende war der Rettungsschirm. Und so wird das auch jetzt wieder sein.
    Frau Merkel macht eine Politik, die immer darauf abzielt, zunächst einmal so zu tun, als wären die Deutschen sowieso die Zahlmeister und sie die Schutzherrin. Sarkozy macht das gleiche in Paris. Das Volk muss nicht zahlen, was übrigens stimmt, bisher ist auch nichts gezahlt worden. Wir machen bei nichts mit, um drei Wochen später zu sagen, na ja, gut, machen wir doch mit. Das wird dann aber klammheimlich gemacht, und das ist eine Art der Vertrauenszerstörung, die ich für sehr gefährlich halte.
    Dem gegenüber gibt es jetzt auch immer mehr Leute, die sagen, wir sind in einer Krise, die Wirtschaft ist angespannt, jetzt lasst uns mal realistisch Chancen und Risiken gegeneinander abwägen. Da ist Juncker, der ja kein durchgeknallter Linker ist, sondern ein sehr pragmatischer Konservativer, der Mann, der im Moment nach meiner Einschätzung – übrigens mit Wolfgang Schäuble im Bund – die seriösere Debatte führt.

    Herter: Der französische Präsident Nicolas Sarkozy ist aber nun mal ein überzeugter Zentralist und wohl auch nicht ein ganz einfacher Charakter. Bisher gelingt es der Bundeskanzlerin doch ganz gut, Herrn Sarkozy einzufangen, oder?

    Schulz: Das stimmt, weil Deutschland und Frankreich halt eine ähnliche Interessenlage haben, auch innenpolitisch eine Interessenlage haben, die gemeinschaftlich ist. Das hat wenig mit Zentralismus oder Föderalismus zu tun, sondern nach meiner Einschätzung ganz viel mit Wahlkämpfen zu tun. Es wird der Eindruck einer – ich drücke mich mal ganz vornehm aus – Haltung vermittelt, wir bestimmen alleine, wo es langgeht. Das macht sich ja vor der heimatlichen Front ganz gut. Tatsache ist: Deutschland und Frankreich bestimmen aber nicht alleine, wo es langgeht, sondern in einer Währungsunion mit 17 Mitgliedern, da haben alle die gleichen Rechte. Die Deutschen und Franzosen sind, was die Euro-Anleihen angeht, weitgehend isoliert in der Euro-Zone und ich bin mal gespannt, wie das morgen ausgeht. Ich bin der Meinung, dass die Euro-Anleihen noch lange nicht vom Tisch sind. Sie würden nach meinem Dafürhalten dazu führen, dass die Zinsen sinken. Für Deutschland werden sie möglicherweise leicht steigen, aber wir müssen eine Güterabwägung vornehmen zwischen leicht steigenden Zinsen für Staatsanleihen und im Falle des Zusammenbruchs eines Mitgliedsstaates der Währungsunion den daraus resultierenden Folgekosten. Die wären höher als ein leichter Zinsanstieg bei den Anleihen. Deshalb plädieren wir dafür, dieses Instrument jetzt zu wählen.

    Herter: Sie hören den Deutschlandfunk, 7:25 Uhr, Martin Schulz, der Vorsitzende der Sozialdemokraten im Europaparlament, über den EU-Gipfel. – Herr Schulz, ist der Euro tatsächlich in Gefahr?

    Schulz: Nein, das glaube ich nicht. Ich will noch mal darauf hinweisen, dass der Euro eine stabile Währung ist. Wir haben einen stabilen Euro. Schauen Sie sich den Außenwert des Euro an. Was mich immer so wundert ist, dass jeder, der an dem Euro herumkrittelt, sofort zitiert wird, aber diejenigen, die darauf hinweisen, was für eine starke Währung der Euro ist, nicht zitiert werden. Ich zitiere mal einen. Einer der größten Profiteure bei den Anlegern und Spekulanten, George Soros, sagt, das ist eine der stabilsten Währungen, die es überhaupt je gegeben hat, und die Europäer machen nach innen so gut wie alles falsch, sagt nicht ich, sagt dieser Herr Soros. Heute steht der Euro, glaube ich, bei 1,34 Dollar. Als er eingeführt wurde, stand er bei 1,17 Dollar. Wir haben lange von der Dollar-Euro-Parität gesprochen. Die richtige Schwachwährung dieser Welt ist der Dollar. Warum machen wir eigentlich unsere eigene Währung so nieder, weil einige Mitgliedsstaaten so hohe Schulden haben, die übrigens in der gesamtwirtschaftlichen Rechnung des Euro, Irland und Portugal im Verhältnis zu Deutschland, marginale Größenordnungen sind. Das gilt für Griechenland auch. Ich finde, diese Debatte ist zum Teil sehr hysterisch und diese Hysterie nutzt den Spekulanten, die auf das Auseinanderbrechen der Euro-Zone wetten und damit die Zinsen nach oben treiben. Noch mal: Ich glaube, Juncker ist dieses Mal derjenige, der da die stärksten Nerven hat, und wir sollten seinen Vorschlägen folgen.

    Herter: Die gemeinsamen Euro-Anleihen würden die deutschen Steuerzahler 17 Milliarden Euro pro Jahr kosten. Sollen jene, die auf Lohnerhöhungen und niedrige Steuern verzichten, bestraft werden, Herr Schulz?

    Schulz: Ich finde diese Zahl, ich sage das mal ganz offen, eine Frechheit. Die ist von der Bundesregierung in die Welt gesetzt worden. Die Berechnungsgrundlage ist eine Zinssteigerung, von der kein Mensch weiß, ob sie kommt. Wissen Sie denn, dass die Zinsen steigen, wenn es Euro-Bonds gibt? Das wissen Sie so wenig wie ich, weiß auch die Bundesregierung nicht. Sie spekuliert damit. Und die Zahl resultiert aus dem Umstand, dass die Bundesrepublik diese 17 Milliarden mehr zahlen müsste, wenn sie ihre gesamte Staatsschuld heute zurückzahlt. Das tut kein Staat. Auch Deutschland würde nicht auf einen Schlag seine gesamten Schulden zurückzahlen, übrigens auch gar nicht können. Insofern ist das wieder eine Zahl, die ideologischen Hintergrund hat, nämlich aufzuheizen die innenpolitische Stimmung, und das hat, glaube ich, viel mit der Union zu tun, aber mit der christlich-demokratischen in Deutschland und nicht mit der europäischen.

    Herter: Aber das würde ja was kosten für die deutschen Steuerzahler. Das bestreiten Sie ja nicht?

    Schulz: Doch, das bestreite ich zunächst wohl, denn eine leichte Zinserhöhung bei der Staatsschuld führt nicht dazu, dass Steuern erhöht werden müssen. Das ist schlicht und ergreifend ein Zusammenhang, der so nicht herzustellen ist. Wenn heute die Zinsen steigen an den Märkten und Deutschland statt 1,8 2,0 Prozent zahlen muss, gibt es auch keine Bundesregierung, die die Steuern deswegen erhöht. Das ist schlicht und ergreifend ein ideologischer Zusammenhang und tut mir leid, das ist Politik, aber hat nichts mit realem Management in der Euro-Zone zu tun.

    Herter: Das war der Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten im Europaparlament, Martin Schulz, über den EU-Gipfel, der heute in Brüssel beginnt. Herr Schulz, vielen Dank.

    Schulz: Danke Ihnen, Herr Herter.

    Alle Beiträge zum Thema "Euro in der Krise"