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EU-Ratspräsident
Polens Personal-Poker um Donald Tusk

Gemocht haben sich die beiden Polen wohl noch nie: der PiS-Politker Jaroslaw Kaczynski und der amtierende EU-Ratspräsident Donald Tusk. Mittlerweile droht Kaczynski mit fragwürdigen gerichtlichen Anklagen und sucht Verbündete gegen eine zweite Amtszeit von Tusk in Brüssel.

Von Florian Kellermann | 12.10.2016
    Der polnische PiS-Politiker Jaroslaw Kaczynski und der liberal-konservative Pole Donald Tusk - Tusk ist seit 2014 Präsident des Europäischen Rates.
    Der polnische PiS-Politiker Jaroslaw Kaczynski und der liberal-konservative Pole Donald Tusk - Tusk ist seit 2014 Präsident des Europäischen Rates. (picture alliance / dpa / Radek Pietruska, Wolfgang Kumm)
    Viele Jahre hat die Rivalität dieser beiden Männer die polnische Politik bestimmt: die Rivalität zwischen Jaroslaw Kaczynski und Donald Tusk. Bis vor zwei Jahren: Da wurde Tusk zum EU-Ratspräsidenten ernannt, er legte sein damaliges Amt als polnischer Regierungschef nieder. Wenig später wurde Kaczynski der mächtigste Mann im Staat - als Vorsitzender der inzwischen mit absoluter Mehrheit regierenden rechtskonservativen Partei PiS.
    Warschau und Brüssel trennen mehr als 1.000 Kilometer, trotzdem fliegen weiter Giftpfeile zwischen den beiden Politikern. Originalton Donald Tusk vor wenigen Wochen: "Ich würde die polnischen Politiker gerne davor warnen, die EU übermäßig zu attackieren. Was wir haben, ist nicht ein für alle Mal garantiert. Es gibt Kräfte, die ein kleineres Europa wollen oder ein Europa der zwei Geschwindigkeiten. An der Stelle der polnischen Regierung würde ich zwar entschieden auftreten, aber auch vorsichtig, wenn es die Situation erfordert."
    Diese Worte wurden in Polen als Ohrfeige für die Regierungspartei PiS und ihren Vorsitzenden Kaczynski verstanden. Der blieb eine Antwort nicht lange schuldig. Er könne sich gut vorstellen, dass die polnische Regierung eine zweite Amtszeit von Tusk in Brüssel nicht unterstützen werde, erklärte Kaczynski. Er sei auch zu keinerlei Gesprächen mit Tusk darüber bereit: "Ich kann mit ihm nicht darüber sprechen, ob er vielleicht ein Kronzeuge werden oder sich einer Strafe fügen möchte. Er ist kein politischer Partner für mich."
    PiS-Politiker machen Fronten gegen eine zweite Amtszeit für Tusk
    Tusk als Kronzeuge oder gar als Verurteilter? Damit deutete Kaczynski wieder einmal an, der frühere Regierungschef habe womöglich eine Anklage zu erwarten. In einem Zeitungsinterview führte Kaczynski aus: Die Staatsanwaltschaft ermittle gegen Tusk. Damit könnte Kacznyski zweierlei meinen: den Absturz eines Regierungsflugzeugs vor sechs Jahren, für den, so die Mutmaßung, der damalige Ministerpräsident mitverantwortlich sei. Oder die sogenannte Ambergold-Affäre: Eine Finanzgesellschaft betrog Anleger. Die damalige Regierung hätte früher eingreifen müssen, so der Vorwurf.
    So oder so seien Kaczynskis Anschuldigungen nicht statthaft, meint Renata Grochal von der regierungskritischen Zeitung "Gazeta Wyborcza": "Jaroslaw Kaczynski ist wieder ganz er selbst. Von Amts wegen ist er nur ein gewöhnlicher Abgeordneter. Aber er weiß genau, gegen wen die Staatsanwaltschaft ermittelt, er unterstellt Dinge. Mir gefällt das nicht. Wenn es wirklich Vorwürfe gegen Donald Tusk gibt, dann bitte: die Karten auf den Tisch!"
    Andere PiS-Politiker legten nach, so Stanislaw Karczewski, Vorsitzender des Oberhauses im polnischen Parlament, dem Senat. Tusk als EU-Ratsvorsitzender schade der Europäischen Union, erklärte er: "Die Partei PiS hat Polen immer unterstützt, wenn sie sich für wichtige Positionen auf internationaler Ebene beworben haben. Aber die Mission von Donald Tusk in Brüssel sollte nach zweieinhalb Jahren zu Ende gehen. Er war ein sehr schlechter Ministerpräsident und er ist ein sehr schlechter EU-Ratspräsident. Ich habe nicht gesehen, dass er irgendwie aktiv gewesen wäre, zum Beispiel vor dem Brexit-Referendum in Großbritannien."
    Regierung würde unglaubwürdig werden
    Ein bisher wohl einmaliger Vorgang, der sich andeutet: Die polnische Regierung könnte andere Länder zu überzeugen versuchen, ihren Landsmann, einen natürlichen Fürsprecher Polens, aus der EU-Spitze abzuberufen. Das könne dem polnischen Image nachhaltig schaden, meint der Politologe Bartlomiej Biskup von der Universität Warschau: "Es müsste schon etwas Extremes passieren, damit die PiS das durchziehen kann. Die Staatsanwaltschaft müsste Tusk wirklich anklagen. Nur dann könnte die polnische Regierung es vertreten, dass sie Tusk nicht unterstützt. Sie würde sich in den Augen der internationalen Partner sonst schlichtweg unglaubwürdig machen."
    Einige polnische Kommentatoren drehen den Spieß um: Vielleicht nütze Donald Tusk es ja sogar, wenn sich Warschau gegen ihn stelle. Denn in der EU gibt es viele Spitzenpolitiker, die der polnischen Regierung eins auswischen wollen, etwa, wegen deren beharrlicher Weigerung, Flüchtlinge aufzunehmen. Sie könnten also für eine weitere Amtszeit von Tusk eintreten, gerade weil er Jaroslaw Kaczynski nicht passt.
    Ein ähnliches Beispiel gibt es schon: Marek Prawda war der polnische Botschafter bei der EU. Die PiS berief ihn ab. Wenig später schickte die EU-Kommission Prawda als ihren Vertreter nach Warschau.