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EU-Schuldenstreit mit Griechenland
"Die Zeit wird knapp"

Europaparlamentspräsident Martin Schulz hat mehr Kooperationsbereitschaft von der griechischen Regierung verlangt. Deren Kurs sei derzeit zu stark von Ideologie geprägt, sagte er im DLF. Die Gespräche mit Athens Geldgebern liefen nur schleppend.

Martin Schulz im Gespräch mit Silvia Engels | 19.03.2015
    Die aktuelle Finanzlage sei gefährlich und die Zeit werde knapp, sagte Schulz mit Blick auf die bis Ende des Monats anstehenden Zahlungsverpflichtungen Griechenlands. Aus Athen höre er mit "Sorge, dass die Gespräche mit den Geldgebern nur schleppend vorankommen". Von einem Scheitern der Gespräche, über das "Handelsblatt Online" berichtet, wollte Schulz nichts wissen. Doch die Kooperationsbereitschaft der griechischen Regierung müsse besser werden, so lege sie zum Beispiel in den laufenden Verhandlungen keine Zahlen vor.
    Der Europaparlamentspräsident kritisierte im Deutschlandfunk, dass sich Ministerpräsident Alexis Tsipras nicht verantwortlich fühle für die Vergangenheit seines Landes. "Wenn wir so verfahren, dass sich eine neue Regierung nicht verpflichtet fühlt, dann können wir den Laden dicht machen", sagte Schulz mit Blick auf einen Fortbestand der Eurogruppe.
    "Ist Tsipras Herr in seinem Parteilager?"
    Angela Merkel befinde sich vor dem heutigen EU-Gipfel und einem zusätzlich geplanten Spitzentreffen, an dem auch die Bundeskanzlerin teilnehmen soll, in einer "merkwürdigen Situation". Im direkten Gespräch mit Tsipras habe auch er das Gefühl gehabt, so Schulz, "mit einem vernünftigen Mann zu sprechen". Doch wisse er nicht, ob der griechische Ministerpräsident auch "Herr in seinem Parteilager ist".
    Zur Debatte um die NS-Reparationszahlungen sagte er, hier wolle Griechenland eine moralische Verantwortung aufbauen. Doch so könne man die gegenwärtigen Probleme Athens nicht lösen. Denn das eine habe nichts mit dem anderen, also der aktuellen finanziellen Situation Griechenlands, zu tun, so der SPD-Politiker im Deutschlandfunk. Dies habe ihm Tsipras im persönlichen Gespräch bestätigt.

    Das Interview in voller Länge:
    Silvia Engels: Harte Worte flogen da zwischen Athen und Berlin in den vergangenen Tagen hin und her. Ministerpräsident Tsipras sagte mit Blick auf das Sparprogramm, Griechenland sei keine Kolonie, Unions-Fraktionschef Kauder nannte das Verhalten der griechischen Regierung nicht hinnehmbar, und auch Finanzminister Schäuble legte zuletzt angesichts griechischer Forderungen nach Reparationen aus der Zeit der NS-Besatzung jede diplomatische Wortwahl bei Seite:
    "Sie werden auch die griechischen Schulden nicht durch wie immer zu konstruierende deutsche Verpflichtungen aus dem Zweiten Weltkrieg bezahlt bekommen. Wer so was seiner Bevölkerung verspricht, verschweigt ihr die Wahrheit. Und wenn die Verantwortlichen in diesem Land das Volk belügen, dann ist es nicht zu wundern, dass das Volk so reagiert wie es tut."
    Engels: Finanzminister Schäuble. - Wie knapp das Geld in der Athener Staatskasse ist, das bleibt derweil unklar. Das "Handelsblatt" berichtet, dass die Gespräche zwischen Athen und den internationalen Geldgebern vorerst gescheitert seien, und damit drängt das Thema Griechenland wohl einmal mehr ganz oben auf die Tagesordnung rund um den EU-Gipfel. - Am Telefon ist Martin Schulz, Präsident des EU-Parlaments. Guten Morgen!
    Martin Schulz: Guten Morgen, Frau Engels.
    Engels: Wie gefährlich ist die Finanzlage Griechenlands?
    Schulz: Sie ist gefährlich. Die Beschreibungen, die Sie gerade gegeben haben, treffen zu. Die Zeit wird knapp. Griechenland muss bis Ende dieses Monats weitere Verpflichtungen bedienen. Griechische Banken brauchen dringend Geld. Die Möglichkeiten der griechischen Nationalbank, die mit Geld zu versorgen, sind fast erschöpft. Deshalb wäre es gut, Griechenland würde jetzt endlich die Verpflichtungen, die es eingegangen ist, erfüllen. Dann fließt auch wieder Geld!
    "Die Regierung muss jetzt endlich in die Hufe kommen"
    Engels: Haben Sie einen Überblick, wie lange das Geld in Athen noch reicht?
    Schulz: Nein, den habe ich natürlich nicht. Aber ich höre mit Sorge, dass die Gespräche, die da in Athen zwischen den internationalen Institutionen geführt werden und der griechischen Regierung, nur schleppend vorankommen, weil da auch keine konkreten und belastbaren Zahlen geliefert werden über den tatsächlichen Stand der griechischen Staatsfinanzen, und das macht es ja auch für all diejenigen, die helfen wollen - zu denen gehöre ich -, schwierig zu helfen. Insofern: Die Kooperationsbereitschaft der griechischen Regierung muss einfach besser werden.
    Engels: Sie sagen aber immerhin, diese Gespräche kämen noch schleppend voran. Sie sind also nicht gescheitert, wie das "Handelsblatt" meldet?
    Schulz: Man kann ja nicht jede Meldung des "Handelsblatts" jetzt für bare Münze nehmen. Wir sind ja alle bemüht, eine Lösung zu finden, kurzfristig, eine mittelfristige und eine langfristige. Kurzfristig ist es so, dass zwei bis drei Milliarden erforderlich sind, um die laufenden Verpflichtungen, übrigens auch die laufende Leistungsfähigkeit des Staates aufrecht zu erhalten. Und hinter der Debatte um dieses kurzfristige Geld steckt meiner Meinung nach nicht das grundsätzliche Problem Griechenlands, nämlich das einer uneffektiven Staatsverwaltung, auch einer ineffektiven Steuerverwaltung. Dahinter steckt meiner Meinung nach Ideologie. Das habe ich dem Premierminister auch gesagt. Es geht ja nicht darum, dass jetzt die griechische Regierung all den bösen Leuten außerhalb Griechenlands mal zeigen muss, wie man es richtig macht, sondern es geht darum, dass das Land am Laufen gehalten werden kann, und ich finde, die Regierung muss jetzt endlich in die Hufe kommen, weil am Ende zahlt die Zeche nicht der Herr Tsipras, sondern die einfachen Leute in Griechenland.
    Engels: Wie ordnen Sie es dann ein, dass das Parlament in Athen gestern ja ohne Absprache mit den Gläubigern ein Hilfspaket für Bedürftige in Griechenland im Umfang von 200 Millionen Euro beschlossen hat?
    Schulz: Ich finde das nicht schlecht, wenn das Parlament Maßnahmen beschließt, die dringend erforderlich sind. Das muss man auch mal ganz klar sagen. In Griechenland haben kleine Leute die Zeche für eine verantwortungslose Politik der vorherigen Regierungen und der Banken bezahlt, und wenn dann 200 Millionen beschlossen werden sollen, damit da hungernde Menschen versorgt werden, denn darum geht es, damit da Rentnerinnen und Rentner, die obdachlos geworden sind am Ende eines langen Arbeitslebens, irgendwo untergebracht werden können, das finde ich alles richtig. Und genau um das zu finanzieren, braucht der griechische Staat Hilfe. Diese Hilfe kann er bekommen, wenn er endlich seine internationalen Verpflichtungen - das sind Verpflichtungen der Vorgängerregierung - erfüllt. Es kann ja in Europa nicht so sein, dass jede internationale Verpflichtung verfällt, wenn es einen Regierungswechsel gibt. Tsipras macht aber genau das! Er fühlt sich nicht verantwortlich für das, was vorherige Regierungen an internationalen Verpflichtungen eingegangen sind. Wenn wir so verfahren - und das ist keine Frage von rechts und links, sondern eine Frage des Prinzips -, wenn wir so verfahren, dass eine neu gewählte Regierung sich nicht an die Verpflichtungen des Landes gebunden fühlt, dann können wir den Laden zumachen.
    "Tsipras ist eigentlich ein sehr vernünftiger Mann"
    Engels: Das heißt, Sie können das grundsätzliche Vorgehen der neuen griechischen Regierung in diesem Punkt, was das Hilfspaket angeht, verstehen, aber sie haben sich nicht an die Reihenfolge gehalten, die da heißt, erst Abstimmung mit den Gläubigern?
    Schulz: Ich finde die Beschlussfassung des Parlaments verständlich und nachvollziehbar. Jeder, der mal in Athen war, kann das ja auf den Straßen sehen, was da los ist. Aber man kann nicht als Parlament einerseits beschließen, wir machen das jetzt, und andererseits diejenigen, die einem dabei helfen wollen, dass man es machen kann, denn da werden ja nicht Reiche privilegiert wie in der Vergangenheit, sondern die Ärmsten sollen gerettet werden, dann kann man nicht hingehen und diejenigen, die einem dabei helfen wollen, ständig provozieren.
    Engels: Am Abend ist ja dem Vernehmen nach ein separates Treffen zu Griechenland geplant. An dem sollen unter anderem Bundeskanzlerin Merkel, der französische Präsident Hollande, der griechische Regierungschef Tsipras teilnehmen, auch einige andere. Welche Strategie empfehlen Sie hier Frau Merkel?
    Schulz: Angela Merkel hat sich ja mit Tsipras unterhalten. Die tut ja im Prinzip das, was wir alle tun, den Versuch zu unternehmen, einen Appell an die Vernunft zu richten, es müssen bestimmte Auflagen jetzt erfüllt werden, dann kann Geld fließen. Genau darum wird es gehen. Ich glaube, wir sind in der merkwürdigen Situation, dass wir es mit einem Regierungschef zu tun haben, der, wenn man mit ihm spricht, eigentlich ein sehr vernünftiger Mann ist. Ich habe das erst in der vergangenen Woche getan. Ich habe vorgestern lange mit ihm telefoniert. Dann hat man immer den Eindruck, das läuft. Aber ich weiß auch nicht, was für Leute in seiner Regierung sitzen und ob er Herr im eigenen Parteilager ist. Insofern wird man heute Abend sicher und möglicherweise auch noch morgen Früh versuchen müssen, Tsipras davon zu überzeugen, dass er auch mit der notwendigen Autorität in seinem eigenen Verein auftritt und sagt, wir können nicht alle Wahlversprechen jetzt umsetzen, aber wir müssen unser Land retten. Es geht nicht um Syriza, es geht um Griechenland, und der griechische Ministerpräsident muss hier handeln als der Chef seines Landes, als der Regierungschef seines Landes und nicht als der Vorsitzende seiner Partei.
    "Tsipras schleppt eine enorme Erblast mit sich"
    Engels: Handwerkliche Schwächen der Regierung, das deuten Sie auch an, kommen auch dazu, neben ideologischen Belastungen. Kann das mit allem zusammen genommen in den Grexident, also den ungeplanten Staatsbankrott Athens unmittelbar führen?
    Schulz: Ich will über solche Fragen offen gestanden gar nicht diskutieren, weil das machen ja in hinreichendem Maße andere. Die Aufgabe, die wir hier in Brüssel haben, ist, dafür zu sorgen, dass genau das nicht eintritt, und deshalb habe ich gar keine Zeit, darüber zu diskutieren. Es ist so, dass Herr Tsipras - das muss man ihm ehrlicherweise zugestehen - eine enorme Erblast mit sich schleppt, denn was in Griechenland in den vergangenen 20, 30 Jahren angehäuft worden ist an Problemen, das kann nicht in 51 Tagen - ich glaube, so lange ist er im Amt, der Tsipras - alles bewältigen. Deshalb stößt er auch auf viel Wohlwollen und viel Unterstützung, quer übrigens durch alle politischen Richtungen. Aber man muss schon auch, wenn man in einer Regierung sitzt, begreifen, dass man die Erblast, die man übernimmt, auch schultern muss und man kann sich nicht hinstellen und so tun, als ginge alles, was vorher war, einen nichts an. Die griechische Geschichte hat nicht mit dem Wahltag von Herrn Tsipras begonnen, sondern das gab es schon vorher, und darum genau geht es, dass man das klar macht. Ich bin immer noch felsenfest davon überzeugt, dass am Ende die Vernunft siegt, denn wenn man in den Abgrund schaut - und ich glaube, an der Stelle ist man jetzt -, dann wird einem manchmal klar, jetzt muss man den entscheidenden Schritt weg vom Abgrund machen.
    Reparationsforderungen: "Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun"
    Engels: Wie sollte sich Europa dazu stellen, dass in den letzten Tagen Athener Regierungsmitglieder zum Teil vehement die Forderung nach deutschen Reparationszahlungen für Zwangsanleihen aus der NS-Besatzungszeit wieder auf den Tisch legen?
    Schulz: Ich zitiere mal Alexis Tsipras in der Beantwortung. Ich habe diese Frage mit ihm diskutiert, als er am vergangenen Freitag hier in Brüssel bei mir und Jean-Claude Juncker war. Die Antwort von Tsipras war, das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Und deshalb, wenn der griechische Regierungschef das selbst schon so sieht, hat er die Antwort an die Leute gegeben, die glauben, man könne das miteinander vermischen. Dabei geht es ja gar nicht um die Reparationszahlung. Hier soll eine moralische Verantwortung aufgebaut werden zur Lösung eines Problems, das mit den deutschen Verbrechen in Griechenland nichts zu tun hat, nämlich die griechischen Staatsschulden. Und auf diese Art und Weise wird man die Probleme ganz sicher nicht lösen. Ich fänd es zum Beispiel besser, wenn die gleichen Leute, die diesen Unsinn da strategisch vorbereitet haben, sich mal überlegen würden, wie es denn wäre, statt die Reparationszahlungen ins Spiel zu bringen, Gesetze zu erlassen, die die milliardenschweren Konten von griechischen Reedern im Ausland belasten, um die kurzfristigen Probleme des Landes zu lösen. Ich glaube, das wäre sinnvoller.
    Engels: Martin Schulz, der Präsident des Europäischen Parlaments von der SPD. Wir sprachen mit ihm einmal mehr über Griechenland, denn dieses Thema drängt vor dem heute beginnenden EU-Gipfel wieder auf die Tagesordnung. Vielen Dank für Ihre Zeit heute Früh.
    Schulz: Danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.