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EU-Spitzenämter
Verhandeln bis zum Gehtnichtmehr

Von Sonntag auf Montag haben sie durchdiskutiert - und trotzdem haben die Parteien und Regierungschefs der EU keine Einigung über die Neuverteilung der EU-Ämter erzielt. Man ist sichtlich erschöpft. Kanzlerin Merkel warnt davor, Porzellan zu zerschlagen - und hofft auf den Verhandlungs-Dienstag.

Von Paul Vorreiter | 01.07.2019
20.06.2019, Belgien, Brüssel: Prime Minister of Luxembourg Xavier Bettel, President of France Emmanuel Macron, Chancellor of Germany Angela Merkel and Prime Minister of the Netherlands Mark Rutte pictured during the first day of the EU summit meeting, Thursday 20 June 2019, at the European Union headquarters in Brussels. This is the first summit since last month's European elections. BELGA PHOTO THIERRY ROGE Foto: Thierry Roge/BELGA/dpa |
Tief im Gespräch: die Regierungschefs Angela Merkel, Xavier Bettel (Luxemburg), Emmanuel Macron (Frankreich) und Mark Rutte (Niederlande) (Thierry Roge/BELGA / picture alliance)
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron spricht das aus, was viele am Mittag in Brüssel denken – nach der durchverhandelten Nacht zu den neu zu besetzenden Topjobs in der EU:
"Es wurde kein Ergebnis erzielt, das wirft ein schlechtes Licht auf den Rat und Europa."
Schließlich lagen stundenlange Gespräche zurück, in unterschiedlichen Formationen: bilaterale Gespräche mit dem EU-Ratspräsidenten, Diskussionen innerhalb der Parteifamilien, in der großen Runde der Staats- und Regierungschefs.
Morawiecki: "Ein neues Europa braucht neue Gesichter"
Dabei deutete sich seit dem G20-Gipfel in Japan zart an, dass die Blockade bei den Verhandlungen um die Nachfolge des EU-Kommissionspräsidenten ein Stück weit gelöst werden könnte. Wenn es da nicht derlei Widerstand geben würde:
"Ein neues Europa braucht neue Gesichter, Gesichter, die man nicht mit dem Angriff auf andere verbindet, die nicht Probleme suchen, sondern sich bemühen, Brücken zwischen den Ländern zu bauen."
Es lässt sich leicht erahnen, an wen sich diese Aussage richten soll. Vize-Kommissionspräsident Frans Timmermans, sozialdemokratischer Spitzenkandidat, der die polnische PiS-Regierung seit Jahren nicht mit ihrer Justizreform durchkommen lassen will - und den Kanzlerin Merkel in Japan als "Teil einer Lösung" bezeichnet hatte.
Merkel warnt, 100 Millionen zu überstimmen
Gegen Timmermans formierte sich Widerstand in Polen und den anderen Visegrad-Staaten, also Tschechien, Slowakei und Ungarn, und auch in Italien. Zudem gibt es noch Druck von manchen Regierungschefs aus der EVP-Familie.
Porzellan zu zerschlagen und gegen einen großen Block innerhalb der Mitgliedsstaaten abzustimmen, Kanzlerin Merkel hat davor jedenfalls gewarnt – auch mit Blick auf zukünftige wichtige Entscheidungen, die in Brüssel noch einstimmig getroffen werden müssen:
"Man muss sich schon die Fragen, ob, wenn man jetzt in Zukunft 440 Millionen Einwohner hat, ob man 100 Millionen, auch wenn es formal machbar ist, überstimmt oder sich etwas mehr Zeit lässt und versucht einen gemeinsamen Weg zu gehen."
Ein Paket ohne den Wahlgewinner an erster Stelle?
Als Teil eines denkbaren Personalpakets wurden ebenso kolportiert: die konservative bulgarische Weltbankmanagerin Kristalina Georgiewa als EU-Ratspräsidentin, Margarete Vestager, liberale EU-Wettbewerbskommissarin, als Vizekommissionspräsidentin, das Amt des EU-Chefdiplomaten ebenso in liberaler Hand, etwa beim belgischen Premier Charles Michel, der Parlamentspräsidentenposten in EVP-Händen, vielleicht sogar bei Manfred Weber.
Eine fragliche Option mit Blick auf die eigentlichen Ambitionen des Spitzenkandidaten der stärksten Fraktion, erst recht, wenn er sich diesen Posten mit dem liberalen Guy Verhofstadt teilen müsste, was ebenso gerüchteweise kursierte.
Markus Ferber, CSU-Politiker und Mitglied der EVP-Fraktion im Europaparlament, hält wenig von einem solchen Paket, wie er im Deutschlandfunk erklärte:
"Die großen Gewinner sind die, die im Europaparlament nur die drittgrößte Fraktion sind, und es kann ja nicht sein, dass jemand, der bei den Wahlen nicht gewinnt, aber bei den Staats- und Regierungschefs mächtige Vertreter hat, dass der als gestählter Sieger hervorgeht und die, die Wahl gewonnen haben, als verloren dastehen."
Nicht nur der Parteienproporz ist Thema bei den Verhandlungen gewesen. Es hakte auch noch bei den anderen Kriterien, die gewöhnlich bei der Verteilung der EU-Tobjobs eine Rolle spielen: Brigitte Bierlein, Österreichs kommissarische Bundeskanzlerin:
"Es spießt sich daran, dass immer noch keine Einigung erzielt werden konnte, die mir und anderen sehr wichtig ist, nämlich geografische Ausgewogenheit, die gendermäßige Ausgewogenheit, die Mehrheitsfähigkeit und die Berücksichtigung der Ergebnisse der Wahlen zum Europäischen Parlament."
Merkel verweist auf Dienstag
Am Dienstag um 11 Uhr soll der Gipfel einen weiteren Anlauf nehmen. Damit könnte der Rat noch dem Parlament zuvorkommen, dass schon am Tag darauf seinen Präsidenten oder seine Präsidentin wählen soll und damit – je nach Ergebnis - die Diskussion über die Besetzung der übrigen Ämter beeinflussen würde.
Doch was könnte denn beim Gipfel am Dienstag anders sein als im Verhandlungsmarathon vergangene Nacht? Angela Merkel:
"Ja, also wenn wir wüssten, was sich bis morgen ändern soll, dann hätten wir ja heute weitermachen können, wir denken einfach, dass wir mal eine Pause brauchen und wir dann vielleicht neue Einsichten haben."