Donnerstag, 25. April 2024

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EU-Sudan-Kooperation
"Nicht nur auf Abschottung der Grenzen setzen"

Die Menschenrechtsbeauftragte der Grünen im Europäischen Parlament, Barbara Lochbihler, hat Pläne der EU kritisiert, beim Grenzschutz mit dem Sudan zusammenzuarbeiten. Bei einem Besuch im Land seien für sie viele Fragen offen geblieben, sagte Lochbihler im Deutschlandfunk.

Barbara Lochbihler im Gespräch mit Christiane Kaess | 23.02.2017
    Die Grünen-Europaabgeordnete Barbara Lochbihler
    Die Grünen-Europaabgeordnete Barbara Lochbihler (AFP / John Thys)
    Konkret ist laut Lochbihler unter anderem geplant, Grenzbeamte zu schulen, technische Geräte zu liefern und gemeinsam gegen Schleuser vorzugehen. Die Pläne der EU seien schon weit forgeschritten, sagte die Grünen-Politikerin. Es sei aber unklar, wie sie konkret umgesetzt werden könnten. Zum Beispiel bei der Frage: "Wen will man ausbilden?" Im Sudan seien viele Milizen aktiv. Die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), die das Projekt koordinieren soll, könne nicht wissen, wer in einer Miliz gewesen sei. "Es liegt nicht daran, dass man hier nicht die technischen Voraussetzungen hat", so Lochbihler: "Ich glaube, dieses Projekt hat viele interne offene Fragen."
    Verbindungen zwischen Menschenhändlern und Regierung
    Auch eine Kooperation im Kampf gegen Schleuser lässt sich nach Ansicht von Lochbihler nicht so einfach umsetzen: "Es gibt nicht ein Schleusermodell." Menschenhändler seien eng mit einzelnen Regierungsmitgliedern verbandelt.
    Die EU setze im Sudan allein auf Grenzabschottung und versäume dabei, auch auf andere Möglichkeiten zu setzen – zum Beispiel Menschen, die das UNO-Flüchtlingshilfswerk UNHCR für schutzbedürftig halte, direkt nach Deutschland zu holen, damit sie nicht in die Hände von Schleusern fielen.

    Das Interview in voller Länge:
    Christiane Kaess: Im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise wird der Fokus auch immer mehr auf die Gründe gelegt, warum Menschen ihre Heimat verlassen. Vor allem gewaltsame Konflikte treiben Menschen in die Flucht, und viele, die nicht direkt vor einem Krieg fliehen, versuchen, den Folgen des Konfliktes zu entkommen wie einer völlig zerstörten Infrastruktur oder Hungersnöten, weil die Menschen ihre Felder nicht mehr bestellen können. Allein im Sudan und im Südsudan sind Hunderttausende vom Hunger bedroht beziehungsweise Millionen von ihnen sind abhängig von humanitärer Hilfe. Gleichzeitig möchte sich Europa schützen vor Flüchtlingen aus dieser Region, in deren Nachbarschaft auch Eritrea und Somalia liegen, zwei weitere Krisenstaaten, aus denen viele Flüchtlinge nach Europa kommen. Geplant ist ein Projekt der Europäischen Union zum Grenzschutz im Sudan, geleitet werden soll es von der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, der GIZ, der deutschen staatlichen Organisation für Entwicklungszusammenarbeit. Barbara Lochbihler ist außen- und menschenrechtspolitische Sprecherin der Grünen im Europäischen Parlament, wir erreichen sie in der sudanesischen Hauptstadt Khartum. Guten Tag, Frau Lochbihler!
    Barbara Lochbihler: Guten Tag!
    Kaess: Frau Lochbihler, Sie haben in den letzten Tagen Gespräche geführt mit Parlamentariern, Vertretern der Regierung, der Zivilbevölkerung und der EU. Wie weit sind denn diese Pläne der EU zum Grenzschutz im Sudan gediehen?
    Lochbihler: Also, die sind auf dem Papier weit gediehen. Da geht es zum einen um dieses bessere Migrationsmanagement, da will man Grenzbeamte schulen, man will bestimmte technische Gegenstände exportieren, und man muss natürlich auch Personen auswählen, die dann den Grenzschutz machen. Der Grund …
    Kaess: Und in der Praxis?
    "Ich habe eigentlich mehr offene Fragezeichen als Antworten bekommen"
    Lochbihler: Der Grund meiner Reise war eben, Antworten zu bekommen, wie weit das in der Umsetzung ist. Wen will man denn ausbilden? Man weiß ja, dass im Sudan sehr viele Milizen unterwegs sind, dass der Geheimdienst sehr stark ist. Das Zweite ist, dass gewünscht wird vom Sudan, auch bestimmte technische Güter zu bekommen, wo man sagt, man will sie nicht liefern, wie zum Beispiel Hubschrauber. Aber man sagt auch nicht genau, was geliefert wird. Und ich habe eigentlich mehr offene Fragezeichen als Antworten bekommen, ein Teil dieses Projektes ist zum Beispiel die bessere Versorgung von Geflüchteten zum Beispiel aus Eritrea, die dann dort an der Grenze bleiben. Oder es gibt auch viele intern Vertriebene im Sudan selber, ungefähr drei Millionen, und da ist es sicher gut, dass man denen Grundausbildung gibt, Lebensmittel und so weiter. Aber es gibt einen großen Teil von Flüchtlingen, die kommen auch von Eritrea in den Sudan, die leben dann hier, weil sie nicht in den Camps leben wollen in der Hauptstadt, mit dem Ziel, nach Norden zu gehen. Also, es gibt hier Handlungsbedarf. Aber wenn man nur auf dieses bessere Migrationsmanagement setzt der EU, dann, glaube ich, geht man an den Problemen vorbei.
    Kaess: Da sind jetzt schon einige Befürchtungen bei Ihnen angeklungen. Auf der anderen Seite, dieses Projekt soll ja unter der Leitung der GIZ stattfinden, also der staatlichen Entwicklungsorganisation. Wieso haben Sie denn Zweifel, dass unter dieser Leitung das nicht gut laufen könnte und eventuell zum Beispiel Menschenrechte verletzt werden könnten?
    Lochbihler: Also, ich habe ja auch mit der GIZ geredet. Die Probleme, die es gibt, zum Beispiel zu wissen, wer in einer Miliz war oder ob eine Miliz, die jetzt nur zum Beispiel an der Grenze im Norden eingesetzt wird, nicht auch mal umgeformt wird in irgendeine Untergruppe der Polizei oder Grenzschutz, da kann auch die GIZ nicht unbedingt eine Antwort darauf geben. Es liegt nicht, dass man hier nicht die technischen Voraussetzungen oder so hat; ich glaube, dieses Projekt hat viele interne offene Fragen. Das haben ja auch die sudanesischen NGOs und Aktivisten gesagt, dass man eigentlich nicht sehen will, dass es … vielleicht auch nicht dokumentiert ist, dass von sudanesischer Seite trotzdem immer Eritreer zurückgeschickt werden, obwohl es das offiziell nicht gibt und nicht vorkommt, und man hier einfach in einem Staatsgefüge agiert, das sehr verschlossen ist, wo Kritik sofort sanktioniert wird mit Wegsperren oder Bedrohen. Und da ist es schwierig, so ein Projekt umzusetzen.
    Kaess: Und das Projekt, so wie Sie es auch schildern, war ja von Anfang an umstritten. Aber es soll damit ja auch gegen Schleuser vorgegangen werden. Wenn das jetzt nicht in die Gänge kommt, heißt das auch, dass weiterhin die Schleuser ihre kriminellen Geschäfte in der Region machen können?
    "Man setzt einzig und allein auf den Ausbau einer Grenzschutzkooperation"
    Lochbihler: Also, dieses Projekt ist unterteilt. Und da gibt es einen speziellen Ansatz, dass man möchte, dass in der Region – also auch aus den Nachbarländern, aber vor allem in Khartum selber – eine Stelle eingerichtet wird, ein Zentrum, das sich mit der Schleuserbekämpfung beschäftigt und auch gegen Menschenhandel wirkt. Auch das ist erst auf dem Papier, das ist noch nicht festgezurrt, das wurde erst im Dezember entschieden. Aber auch hier müssen Sie schauen: Es gibt nicht ein Schleusermodell, es gibt wissentlich enge Verflechtungen eines bestimmten Stammes, der sich dort eigentlich auch brüstet und viel Geld macht mit dem Handel von Menschen, der wiederum eng verbandelt ist mit einzelnen Personen in der Regierung. Und was ich halt vermisst habe, ist, dass wir von der EU-Seite einzig und allein auf diese Grenzabschottung setzen und versäumen eigentlich, dann andere Möglichkeiten einzusetzen. Wie zum Beispiel, wenn die Flüchtlinge aus Eritrea im Ostsudan dann sind, dann werden sie vom UNHCR, vom Hochkommissariat für Flüchtlinge ja registriert und auch eingeteilt, ob das Menschen sind, die besonders schutzbedürftig sind, und dann könnte hier Deutschland und auch die anderen Mitgliedsstaaten in so einem Prozess Menschen aufnehmen. Da muss man sie nicht zwingen, dass sie dann illegalisiert werden, wenn sie in die Hauptstadt nach Khartum gehen und sich dann eigentlich nur Schleuser suchen müssen, weil es keinen anderen Weg gibt, der sie dann durch Libyen bringt, an den Folterzentren vorbei und dann womöglich noch auf Schlauchboote im Mittelmeer … und das eigentlich eine völlig lebensbedrohliche Angelegenheit ist, wie wir ja wissen. Und trotzdem – und das ist auch meine wirklich harte Kritik an der EU – setzt man einzig und allein auf den Ausbau einer Grenzschutzkooperation und lässt völlig außer Acht, was dann den Geflüchteten passiert oder was der Flüchtling aus Eritrea dann sieht, wenn er die Grenze zum Beispiel nicht mehr überschreiten kann und es auch keinen legalen Weg gibt.
    Kaess: Frau Lochbihler, nur um da einen Strich drunter zu machen: So, wie Sie das schildern, hört es sich ja so an, als ob das eigentlich gar nicht wirklich in die Realität umgesetzt wird. Dieses EU-Projekt Grenzschutz im Sudan, kann es sein, dass das Ganze im Sand verlaufen wird?
    Lochbihler: Also, es ist ganz starker und erklärter Wille der Mitgliedsstaaten und der Europäischen Union, dass es umgesetzt wird.
    Kaess: Gut, dann schauen wir noch auf die anderen Aspekte in der Region. Es ist eine Region von Krisen und Konflikten, im Südsudan herrscht eine Hungersnot, im Sudan sind etliche von Lebensmittelhilfe abhängig. Was ist Ihr Eindruck von der Situation vor Ort, was diese Themen betrifft?
    Lochbihler: Also, im Sudan selber gibt es die Regionen Darfur und Südkordofan und die Blauer-Nil-Region, wo immer noch bewaffnete Konflikte existieren. Hier gibt es einen politischen Prozess, dass es zu einer Befriedung kommt, aber der tritt auf der Stelle. Und deshalb sind auch hier viele Leute abhängig von humanitärer Hilfe.
    Kaess: Wie gut werden die versorgt?
    "Wenn man nicht sofort hilft, dann werden viele sterben"
    Lochbihler: Also, je nachdem, wie der Zugang gewährt wird von den Hilfsorganisationen in diese Gebiete. Und da sieht man jetzt innerhalb Sudans, dass es eine leichte, aber wirklich leichte Verbesserung nur gibt, die USA haben die Sanktionen gegen Sudan aufgehoben, mit der Vorgabe, dass dann die Behörden und das Militär leichter Zugang gibt. Einzelne NGOs haben gesagt, es ist immer noch schwer, andere haben gesagt, es ist ein bisschen besser. Wenn man auf das Nachbarland schaut, auf Südsudan, da ist es jetzt ganz akut und noch viel gravierender und lebensbedrohlicher, da hat ja jetzt vor einigen Tagen die UN selber offiziell eine Hungersnot erklärt, das macht man nur in Extremsituationen. Und da sieht man, dass 100.000 Menschen ungefähr akut vom Hungertod bedroht sind, fünf Millionen haben nicht genug zu essen, sehr viele Kinder leiden an schwerer Mangelernährung. Und wenn man nicht sofort hilft, dann werden viele von diesen Menschen und Kindern auch sterben. Dies ist sehr akut.
    Kaess: Wie wird im Moment geholfen?
    Lochbihler: Die Situation ist in den Gebieten, wo der Bürgerkrieg dort herrscht, die sind unabhängig geworden 2011 und haben dann 2013, zwei Volksgruppen gegeneinander, Krieg geführt, sehr unversöhnlich. Und dort, wo dieser Krieg am meisten tobt, kommen Sie sehr schlecht hin. Auch hier ist es wieder die Frage, dass man unbedingt verlangen muss von diesen Konfliktparteien und den Entführern, dass sie uneingeschränkten Zugang für humanitäre Hilfsgüter gewährleisten. Die UN hat eine eigene UN-Mission hier mit fast 15.000 Soldaten, der es auch nicht gelingt, hier die Zivilbevölkerung zu schützen vor dem Konflikt. Und man muss alles wirklich versuchen, die Personen zu erreichen. Wenn ich mir anschaue, wie beschrieben wird, wie man das tun kann – erst mal auf die politischen Führer einwirken –, aber man muss sich auch vorstellen, dass es in dem Gebiet kaum Straßen gibt. Sie können also die Güter nur über die Flugzeuge abwerfen und auch hierfür brauchen Sie eine Erlaubnis des Militärs.
    Kaess: Einschätzungen von Barbara Lochbihler, sie ist außen- und menschenrechtspolitische Sprecherin der Grünen im Europäischen Parlament, wir haben sie in der sudanesischen Hauptstadt Khartum erreicht. Danke für Ihre Zeit, Frau Lochbihler!
    Lochbihler: Ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.