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EU-Superdatenbank
"Jeder einzelne EU-Bürger wird gläsern"

Nach den Anschlägen von Brüssel standen die belgischen Sicherheitsbehörden wegen zahlreicher Informationspannen in der Kritik. Die EU-Kommission fordert deswegen eine EU-weite Vernetzung der Datenbanken von Sicherheitsbehörden und Geheimdiensten. In einer neuen EU-Superdatenbank sollen in Zukunft zahlreiche personenbezogene Daten von Reisenden und Bürgern registriert werden.

Peter Welchering im Gespräch mit Manfred Kloiber | 09.04.2016
    Europaflaggen vor der Europäischen Kommission in Brüssel
    Europaflaggen vor der Europäischen Kommission in Brüssel (dpa / picture alliance / Daniel Kalker)
    Manfred Kloiber: Die EU-Kommission will das Projekt "Intelligente Grenzen" sehr viel schneller umsetzen. Und sie will es vor allen Dingen ausweiten. Ursprünglich sollte mit den Datenbanken aus diesem Projekt "Intelligente Grenzen" so etwas wie Migrationskontrolle betrieben werden. Jetzt soll daraus eine Super-Datenbank entstehen, in die nicht nur die Daten von Migranten oder die Daten von Einreisenden aufgenommen werden sollen. Sondern, vor allen Dingen auf Druck Frankreichs solle die Datensammlung auf alle EU-Bürger ausgeweitet werden. Dazu gibt es zwar noch keine offiziellen Beschlüsse, aber nach dem, was aus Brüssel zu hören ist, ist das bereits in den Hinterzimmern der EU-Politik so abgesprochen. Um welche Daten handelt es sich dabei?
    Peter Welchering: Ursprünglich um Fingerabdrücke und das Gesichtsbild. Aber die bisherige Datenbasis für 'intelligente Grenzen' soll erweitert werden. So ist zumindest aus der Agentur für IT-Großsysteme der Europäischen Union in Riga zu hören. So sollen die Daten aus dem Schengener Informationssystem, aus dem Visa-Informationssystem und aus dem geplanten Passagierdatenregister einbezogen werden. Außerdem soll der Bestand der Fingerabdruckdaten erweitert werden. Bisher sind in der Fingerabdruckdatenbank Eurodac ungefähr 3 Mio Datensätze gespeichert, in den Datenbanken des Visa-Informationssystems sind es mehr als 20 Mio. Und das soll ausgeweitet werden.
    Manfred Kloiber: Was soll denn an Fingerabdruckdaten noch hinzukommen?
    Peter Welchering: Zum einen soll das Schengener Informationssystem so aufgerüstet werden, dass es Fingerabdruck-Datensätze in nahezu beliebiger Zahl in Echtzeit verarbeiten kann. In der ersten Ausbaustufe sollen das 300 Mio Datensätze sein. Und zweitens sollen Fingerabdrücke von EU-Bürgern und Reisenden aufgenommen werden, sondern auch Fingerabdruckdaten von Tatorten. Auf diese riesige europaweite Fingerabdruckdatenbank sollen dann nicht nur Europol und die Sicherheitsbehörden der EU-Mitgliedstaaten Zugriff haben, übrigens auch die Nachrichtendienste dieser Mitgliedstaaten. Nein, es sollen auch die Sicherheitsbehörden sogenannter Drittstaaten Zugriff bekommen. Und da liegt die Betonung wohl auf Sicherheitsbehörden, denn das umfasst dann neben den Polizeibehörden auch die Geheimdienste.
    "De Maizière fordert ein zentrales Datenbanksystem"
    Manfred Kloiber: Nun hat ja Bundesinnenminister Thomas de Maizière die deutsche Position zu solchen Plänen in einem Schreiben an die EU-Kommission dargelegt. Wird da die Datensammelwut der EU etwas gedämpft?
    Peter Welchering: Im Gegenteil, sie wird noch verstärkt. De Maizière fordert ein zentrales Datenbanksystem mit allen erforderlichen Personendaten und Fingerabdrücken. Die Datenbanken aus dem Schengener Informationssystem, das Visa-Informationssystem und die Fingerabdruckdatenbank Eurodac sollen in diese zentrale Datenbank integriert werden. Alle Daten des Passagierdatenregisters sollen ebenfalls einfließen. Interessant ist, dass der Minister in diesem Schreiben einen Gesamtblick auf die Daten fordert und bemängelt, die Sicherheitsbehörden wüssten nicht, was sie alles wüssten. Dahinter steht ganz offenbar die – hier etwas verklausuliert vorgetragene - Forderung nach Inferenz-Algorithmen auf diese Daten.
    Manfred Kloiber: Das wären also Big-Data-Anwendungen. Was würde denn ganz praktisch daraus folgen?
    Peter Welchering: Solche Big-Data-Anwendungen sind ja im Indect-Forschungsprogramm der EU untersucht worden. Und ein Anwendungsfall war immer: zu berechnen, wann ein Mensch straffällig wird oder wann eine hohe Wahrscheinlichkeit besteht, terroristische Straftaten zu begehen. Voraussetzungen für die Berechnungen hei den bisher bestehenden Algorithmen: Damit das in Echtzeit funktioniert, müssen die Daten im Universal Messaging Format vorliegen. Genau das fordert der Minister.
    Manfred Kloiber: Wie schätzen Sie die Pläne für eine solche EU-Superdatenbank ein?
    Peter Welchering: Als hochgradig gefährlich. Zum einen wird die Zweckbestimmung für Datensammlungen, die das Datenschutzrecht vorsieht ausgehebelt. Jeder einzelne Reisende, jeder einzelne EU-Bürger wird gläsern. Zum zweiten sind die Möglichkeiten, die sich dann für Big-Data-Algorithmen aus dem Predictive Policing schon ziemlich bedrohlich. Ich möchte einfach vermeiden, dass ich eines Tages vorsorglich verhaftet werde, weil ein Big-Data-Algorithmus auf Basis der EU-Superdatenbank berechnet hat, meine Wahrscheinlichkeit, straffällig zu werden sei gestiegen.