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EU-Ukraine-Gipfel
Große Agenda, geringe Erwartungen

Der Krieg in der Ostukraine und die Bekämpfung der Korruption: Allzu groß sind die Erwartungen nicht, wenn eine ukrainische Regierungsdelegation heute in Brüssel Gespräche führt. In einem Punkt macht Kiew aber Druck: Man will endlich die Visafreiheit für Besucher aus der Ukraine erreichen.

Von Florian Kellermann | 24.11.2016
    Ukrainischer Präsident Poroschenko
    In Sachen Visafreiheit setzt Poroschenko große Hoffnungen auf das heutige Treffen. (AFP / Sergei Supinski)
    Im Wochentakt verspricht der ukrainische Präsident Petro Poroschenko, bald schon werde es so weit sein: Die Aufhebung der Visumspflicht wäre für ihn ein so heiß ersehnter Erfolg.

    Anfang der Woche bekräftigte Poroschenko seine Hoffnung auf das heutige Treffen in Brüssel:
    "Unser Land hat alle 144 Punkte erfüllt, die der Plan für die Visa-Erleichterungen enthält. Damit haben wir der ganzen Welt bewiesen, dass wir an EU-Standards orientierte Reformen umsetzen können. Wenn Ukrainer allein mit ihrem Pass in die EU einreisen können, wird das ein starkes Symbol sein. Die Ukraine und die EU wachsen enger zusammen."
    Die Aussicht auf die Visafreiheit war ein Druckmittel, mit dem der Westen die Ukraine zu Reformen gedrängt hat. Ein anderes war und ist der ukrainische Kredit beim Internationalen Währungsfonds. Er wird in Tranchen ausbezahlt. Drei Tranchen hat die Ukraine bereits bekommen, die vierte über 1,3 Milliarden US-Dollar hält der Währungsfonds zurück.
    Bemühungen im Kampf gegen Korruption verstärkt
    Er fordert, dass sich die Ukraine beim Kampf gegen die Korruption mehr anstrengt. Wie tief der Sumpf ist, zeigten die Vermögens-Erklärungen von Beamten und Abgeordneten. Auf Drängen des Währungsfonds mussten sie ihr Eigentum offen legen. Oleksandra Ustinowa vom Zentrum für Korruptionsbekämpfung:
    "Das ganze Land ist schockiert. Diese Erklärungen waren eine kleine Revolution. Die Menschen haben mit eigenen Augen gesehen, wie viel die Beamten und Politiker beiseite geschafft haben, wie viel sie auf ihre Ehegatten und Kinder übertragen haben. Sie haben diese Angaben gemacht, weil ihnen jetzt auch eine empfindliche Strafe droht, wenn sie lügen."
    Allein die Parlamentsabgeordneten gaben ein Vermögen von umgerechnet fast einer halben Milliarde Euro an.
    Diese Erklärungen sind also ein Schritt in die richtige Richtung. Nun müssten sie überprüft werden, sagt Oleksandra Ustinowa:
    "Wir haben jetzt ein Nationales Anti-Korruptionsbüro und eine eigene Staatsanwaltschaft für Korruption. Sie müssen feststellen, wer sich da illegal bereichert hat. Wenn ein Beamter im vergangenen Jahr weniger verdient hat, als er ausgegeben hat, wenn er 300.000 Hrywnia verdient hat und ein Haus für ein paar Millionen gekauft hat, dann sollte die Staatsanwaltschaft ermitteln."

    Dafür brauchen die Ermittler mehr Vollmachten als bisher, sagen Experten. Doch dagegen sträubt sich das ukrainische Parlament.
    Krieg in der Ostukraine als weiteres Thema
    Darüber werden die EU-Spitzen heute mit dem ukrainischen Präsidenten Poroschenko sprechen. Ein weiteres Thema: der Krieg in der Ostukraine. Fast zwei Jahre ist das Minsker Friedensabkommen inzwischen alt. Aber noch immer wird geschossen zwischen der ukrainischen Armee und den von Russland unterstützten Separatisten. Gestern traf sich wieder einmal die sogenannte Ukraine-Kontaktgruppe, bei der die OSZE zwischen der Ukraine und Russland vermittelt. Der OSZE-Sondergesandte Martin Sajdik erklärte im Anschluss:
    "Die Situation an der Frontlinie bleibt angespannt. Der Waffenstillstand wird weiterhin sehr häufig verletzt. Uniformierte und Zivilisten kommen zu Schaden, vor allem durch den Beschuss mit schweren Waffen. Diese sollten - laut Minsker Abkommen - schon längst von dort abgezogen sein."
    Einziger positiver Punkt der gestrigen Gespräche: Beim Dorf Solote soll ein weiterer Übergang für Zivilisten eingerichtet werden - zwischen der sogenannten Volksrepublik Luhansk und dem von der Ukraine kontrollierten Gebiet.
    Eine ernüchternde Bilanz. Noch im Oktober war der russische Präsident Vladimir Putin nach Berlin gereist und hatte dort den ukrainischen Präsidenten Poroschenko getroffen. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Francois Hollande waren anwesend - ein Treffen im sogenannten Normandie-Format. Bis Ende November solle es einen neuen Fahrplan für den Frieden im Donezbecken geben, hieß es. Doch dass der bis Mitte nächster Woche wirklich vereinbart wird, glaubt inzwischen niemand mehr.