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EuGH-Urteil zur Flüchtlingskrise
Caspary (CDU): "Das muss entsprechend auch Folgen haben"

Die Europäische Kommission sollte erneut gegen Polen, Ungarn und Tschechien klagen, forderte der CDU-Europaparlamentarier Daniel Caspary im Dlf. Es sei geklärt, dass die drei Länder sich im Jahr 2015 zu unrecht geweigert hatten, Flüchtlinge aufzunehmen, jetzt müsse aber noch über ein Strafmaß verhandelt werden.

Daniel Caspary im Gespräch mit Dirk Müller | 02.04.2020
Migranten drängen sich durch einen Stachdeldrahtzaun.
Im Jahr 2015 machte Ungarn seine Grenzen für Flüchtlinge dicht (picture-alliance / dpa / Sandor Ujvari)
Polen, Ungarn und Tschechien haben geltendes Recht gebrochen, als sie sich 2015 weigerten Flüchtlinge aufzunehmen, das hat der Europäische Gerichtshof jetzt entschieden. Denn es gab einen EU-Beschluss, nach dem alle Staaten Flüchtlinge aus Griechenland und Italien aufnehmen sollten. Doch welche Konsequenzen hat das nun für die Länder? Darüber haben wir mit Daniel Caspary gesprochen, er ist Chef der Unions-Abgeordneten im Europäischen Parlament.
Dirk Müller: Herr Capary, was wollen wir mit solchen Staaten in der EU?
Daniel Caspary: Ja, eine gute Frage. Europa lebt von Freiwilligkeit und Europa lebt von gemeinsamer und gegenseitiger Solidarität, und Solidarität ist ein Ding oder ein Wert, den man nicht nur einfordern muss, wenn man eigene Interessen hat, sondern den man auch leisten sollte, und das wird ja auch gerade in diesen Tagen wieder sehr deutlich, dass es da Schwierigkeiten gibt.
Müller: Reden Sie so klar und deutlich mit Ihren Abgeordneten-Kollegen darüber in Ihrem eigenen Fraktionsradius, klipp und klar?
Caspary: Ja, klar! Europa, wir sind doch Wertegemeinschaft, und wer das ernst meint, das heißt doch, dass wir die Europäische Union in der Überzeugung haben und in der Überzeugung hier leben, dass wir alle besser damit fahren, wenn wir bestimmte Probleme gemeinsam lösen und wenn wir gegeneinander auch solidarisch sind. Und noch mal: Solidarität ist keine Einbahnstraße, sondern wie zum Beispiel in der Flüchtlingsfrage – da gab es doch zweifelsohne eine besondere Situation für Länder wie Griechenland oder Italien, denen man helfen musste. Wir haben auf der anderen Seite im Bereich Regional- und Strukturförderung besondere Anforderungen und Vorstellungen, zum Beispiel in Ländern wie Ungarn, Tschechien und Polen, und es gehört immer beides dazu, dass man solidarisch nimmt, aber dass man auch Solidarität leistet.
Der CDU-Politiker Daniel Caspary auf einem Landesparteitag der CDU in Baden-Württemberg.
Der CDU-Politiker Daniel Caspary (dpa/Patrick Seeger)
Müller: Jetzt wird, Herr Caspary, viel geredet und es wird auch viel geurteilt. Es ist nicht das erste Urteil in diesem größeren Zusammenhang, auch was das Thema Rechtsstaatlichkeit und so weiter anbetrifft. Es wird geredet und geurteilt, und geändert hat sich nichts. Wie frustrierend ist das?
Caspary: Auf der einen Seite geht ja in dem ganzen Streit immer unter, wie erfolgreich die Politik der Europäischen Union im Hinblick auf die Migrationsfrage ist. Wir haben es ja immerhin geschafft, die Zahl an illegal nach Europa kommenden im Vergleich zum Jahr 2015 um über 90 Prozent zu reduzieren. Das geht in der ganzen Debatte immer unter.
Müller: Wie haben Sie das geschafft?
Caspary: Wir haben das geschafft durch das gezielte Vorgehen bei der Frage Fluchtursachenbekämpfung, bei der Frage Finanzierung von Lagern in Ländern wie Jordanien und dem Libanon. Wir haben das geschafft über die Frage EU-Türkei-Abkommen, die weiteren Abkommen mit Ländern wie Ägypten und anderen Staaten in Nordafrika, die Zusammenarbeit, die immer besser wird.
Müller: Die Flüchtlinge draußen zu lassen? Das ist genau das, was Ungarn, Polen und Tschechien ja auch gemacht haben. Haben Sie von diesen Staaten gelernt?
"Unsere allererste Aufgabe ist, Fluchtursachen zu bekämpfen"
Caspary: Sie versuchen, hier ganz gezielt zwei unterschiedliche Dinge zu vermischen. Die eine Frage ist doch: Ich kenne fast keinen wirklichen Flüchtling, der seine Heimat freiwillig verlässt, sondern wir haben doch gerade erlebt im Jahr 2015, dass vor allem die Flüchtlinge, die aus Syrien zu uns nach Europa gekommen sind, ihre Heimat nicht verlassen haben, weil sie irgendwie das heil bei uns gesucht haben, sondern weil dort dieser schreckliche Bürgerkrieg getobt hat und nach wie vor tobt. Wir haben erlebt, dass wir nicht in der Lage waren, als internationale Gemeinschaft die Flüchtlingslager in Syrien oder in Ländern wie Jordanien und anderen Staaten, auch der Türkei zu finanzieren. Von daher war doch genau der Schritt, dass wir die Flüchtlinge heimatnah in gut ausgestattete oder besser ausgestattete Lager unterbringen und dann auch gemeinsam finanzieren, genau ein wichtiger Beitrag.
Und der nächste Punkt: Nehmen Sie die Europäische Union und auch die Bundesrepublik Deutschland. Wir sind ja mit Abstand der weltweit größte Leister von Entwicklungshilfe, wenn es um die Frage vom Aufbau von Lebensperspektiven für die Menschen in Afrika geht. Wir leisten als Bundesrepublik Deutschland unseren Beitrag zum Beispiel mit Bundeswehreinsätzen, die ja leider auch mit Opfern verbunden sind, um Stabilität in Ländern wie Mali zu schaffen, aufrecht zu erhalten. Die allermeisten Menschen, die wollen doch gar nicht aus ihrer Heimat weg, und unsere aller-, allererste Aufgabe ist doch – und da sind wir noch mal aus meiner Sicht erfolgreicher, als das viele wahrnehmen -, Fluchtursachen zu bekämpfen, den Menschen die Möglichkeit zu geben, in ihrer Heimat zu bleiben. Erst der zweite Punkt ist doch dann die Frage, wie verteilen wir die um und wie gehen wir mit denen um, die nach Europa kommen.
Müller: Es wollen immer noch Tausende, Zehntausende, Hunderttausende nach Europa. Jetzt gibt es eine Abschottungspolitik der Europäischen Union. Es werden Grenzen und Gräben gezogen. Niemand kommt mehr rein, auch nicht die Flüchtlinge, von denen Sie als Typus gesprochen haben, 2015. Noch einmal die Frage: Das was Tschechien, Polen und Ungarn gemacht haben, ist jetzt de facto die Politik der Europäischen Union?
Caspary: Nein, sondern was Ungarn, Tschechien und Polen gemacht haben, war in einer Zeit, in der Länder wie Italien, Griechenland, bedingt auch Deutschland, Schweden, Belgien ihre Solidarität haben wollten, dass diese Länder die Solidarität nicht geleistet haben. Wir haben jetzt im Jahr 2020 ja wirklich ein hartes Jahr der Probe. Wir hätten sowieso schon im Prinzip alle Themen, die alle Mitgliedsstaaten interessieren, auf der Tagesordnung gehabt, weil wir in diesem Jahr den Finanzrahmen für die Jahre 2021 bis 27 beraten. Da legt jeder alle Interessen auf den Tisch. Jetzt kommt noch dazu diese unglaublich schwierige Situation mit dem Coronavirus und den wirtschaftlichen und sozialen Folgen, die wir in der Europäischen Union hoffentlich gemeinsam und abgestimmt gemeinsam bewältigen werden. Deswegen ist noch mal die Frage: Solidarität darf keine Einbahnstraße sein.
Sollten "in gewissem Rahmen" Druck ausüben
Müller: Ist es aber gewesen! Ist es ja gewesen bei diesen Staaten! Welche Konsequenzen ziehen Sie? Was passiert jetzt mit Warschau, mit Prag und mit Budapest?
Caspary: Ich wünsche mir, dass wir genau dieses Jahr 2020 nutzen. Ursula von der Leyen, die Europäische Kommissionspräsidentin, möchte ja nach Ostern einen neuen Vorschlag präsentieren für eine gemeinsame europäische Migrations- und Flüchtlingspolitik. In der Zeit nach Ostern – Ostern hat ja jemand für uns ein riesen Opfer erbracht – erwarte ich von niemandem in der Europäischen Union Opfer, aber ich erwarte zumindest Beiträge und Solidarität.
Müller: Das tun Sie ja seit Jahren und es ist kein Zeichen gekommen aus diesen drei besagten Ländern. Welche Instrumente haben Sie in der Hand, Druck auszuüben und eventuell auch Sanktionen auszusprechen?
Caspary: Druck ausüben ist bestimmt die eine Sache, die wir in gewissem Rahmen tun sollten – nehmen Sie zum Beispiel das Thema Haushalt, wo ja auch diese drei Länder Interessen haben im Bereich Regionalstrukturförderung und anderes. Aber ich setze immer noch darauf, auch wenn das schwierig ist: Wir müssen vor allem im Gespräch bleiben und wirklich darauf hinwirken, die Europäische Union ist kein Zwang. Wir sind kein Verein, in dem man Mitglied sein muss. Aber wir sind ein Verein, der davon lebt, dass jeder seinen Beitrag leistet. Da gab es ja in der Diskussion auch schon verschiedene Vorschläge. Es wird ja auch nicht erwartet, dass jedes Land pro Einwohner immer gleich viele Flüchtlinge aufnimmt oder anders. Man kann bei der Frage auch andere Beiträge leisten. Deswegen bin ich auch sehr gespannt auf die neuen Vorschläge von Ursula von der Leyen. Aber es wird auch in diesen Tagen deutlich: Probleme zu verschieben und sich einfach nur Lösungen zu verweigern, wie das diese drei Länder gemacht haben, bringt keinen weiter und führt am Ende ja nur zu Streit und Missgunst.
Müller: Herr Caspary, die Frage kommt immer wieder. Wir haben das auch schon diskutiert. Noch einmal: Sind Sie bereit, Sanktionen zu unterstützen, Sanktionen auszuüben gegenüber denjenigen, die nicht bereit sind, solidarisch zu sein?
Caspary: Ich halte nicht viel davon, Solidarität zu erzwingen. Aber in diesem Fall wünsche ich mir, dass die europäische Kommission vor den EuGH zieht. Es geht jetzt ja um die Frage, was sind die möglichen Strafen, die diese Länder dafür zu leisten haben, dass sie sich in diesem Fall nach dem EuGH nicht an europäisches Recht gehalten haben, und diesen Weg sollte man unbedingt gehen.
Europäische Kommission soll noch mal vor den EuGH ziehen
Müller: Das muss wieder rechtlich geklärt werden? Es gibt keine Politik?
Caspary: Der eine Fall ist die rechtliche Klärung und der andere Fall ist: Parallel sollten wir über Lösungen reden. Aber noch mal: Wir haben doch jetzt auch wieder die Situation: Wir brauchen eine riesen Solidarität in der Europäischen Union bei der Bewältigung der Coronakrise, bei den ganzen wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen dieser Krankheit, die ja gerade bei uns in Europa das Leben wirklich massiv einschränkt und schwierig macht.
Müller: Rechtlich haben wir es ja jetzt geklärt! – Rechtlich ist es ja geklärt! Wir haben es ja gehört.
Caspary: Genau! Und jetzt ist der nächste Schritt, dass die Europäische Kommission auch dann noch mal vor den EuGH zieht über die Frage Strafmaß und auch eine Strafe verhängt. Klar ist doch: Wer sich europäischem Recht nicht unterwirft, das muss entsprechend auch Folgen und Sanktionen haben. Das ist ja Sinn eines Rechtsstaats. Aber auf der anderen Seite noch mal: Ich wünsche mir auch eine Einsicht in der Politik. Solidarität lebt immer von Geben und Nehmen, von beidem, und es gehört auch dazu, dass man auch in dieser Frage Migration endlich auf europäischer Ebene eine Lösung findet. Im Europäischen Parlament übrigens haben wir schon seit Jahren Mehrheitsbeschlüsse. Auch im Europäischen Parlament sind ja Abgeordnete aus diesen Ländern dabei. Und wir wären schon einen Schritt weiter, wenn die Mitgliedsstaaten manchmal dann auch Beschlüsse des Europäischen Parlaments akzeptieren und umsetzen würden.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.