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Eurofighter-Absturz
Knapp an einer größeren Katastrophe vorbeigeschrammt

Nach dem Absturz zweier Eurofighter in Mecklenburg-Vorpommern läuft die Ursachenforschung. Zudem ist eine politische Debatte über die militärischen Testflüge entbrannt. Der tödlich verunglückte Pilot hatte gerade erst seine Grundausbildung abgeschlossen.

Von Silke Hasselmann | 25.06.2019
24.06.2019, Mecklenburg-Vorpommern, Nossentin: Ursula von der Leyen (CDU), Verteidigungministerin, Ingo Gerhartz (r), Inspekteur der Luftwaffe, und Lorenz Caffier (CDU, l), der Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern, geben eine Erklärung in der Nähe der Absturzstelle eines Eurofighters vor Pressevertretern ab. Die Luftwaffe hat am Montag den Absturz von zwei «Eurofightern» in Mecklenburg-Vorpommern nach einem Zusammenstoß in der Luft bestätigt. Beide Piloten konnten den Schleudersitz betätigen, wie die Luftwaffe weiter mitteilte. Foto: Jens Büttner/dpa-Zentralbild/dpa
Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) nach dem Eurofighter-Absturz (picture alliance / Jens Büttner / dpa-Zentralbild / dpa)
Bis spät in den gestrigen Abend hinein kamen die überwiegenden Geräusche über den beiden Absturzstellen von Hubschraubern der Luftwaffe. Zunächst ging es vor allem um die Suche nach den beiden Eurofighter-Piloten, deren Kampfjets circa 20 Minuten nach dem Aufsteigen von ihrem Stützpunkt Rostock-Laage über der Müritz-Region zusammengestoßen waren. Einer überlebte den Absturz nicht, der andere liegt verletzt im Krankenhaus, schwebt aber nicht in Lebensgefahr.
Dann flog Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen ein, begleitet von Generalleutnant Ingo Gerhartz, der Ende Mai 2018 das Amt des Inspekteurs der Luftwaffe übernommen hat.
"Den Eurofighter fliegen wir in der Luftwaffe schon seit 2004. Wir haben mittlerweile schon mehr als 100.000 Flugstunden erflogen und es ist der erste Flugunfall dieser Art, wo wir Maschinen und leider auch ganz tragisch einen Piloten, einen toten Kameraden zu beklagen haben. Jetzt beginnt die Flugunfallarbeit. Hier geht es natürlich primär erst mal darum, die Flugdatenschreiber zu bergen und dann entsprechend auszuwerten."
Noch am späten Abend zog das zivile Polizeipräsidium Neubrandenburg die 200 Polizeibeamten ab und übergab die Untersuchung an die Bundeswehr. 300 Soldaten - vor allem Feldjäger - sichern seitdem Gelände und Flugzeugtrümmer unter anderem in und um Nossentin Hütte. In einem Kornfeld am Rande dieser 500-Einwohner-Gemeinde war gestern Nachmittag einer der beiden brennenden Eurofighter aufgeschlagen. Die Nossentiner: "Noch immer geschockt", wie Bürgermeisterin Birgit Kurth gegenüber dem NDR-Nordmagazin erklärt.
Schock und Trauer
"Wir hatten, glaube ich, sehr, sehr viel Glück, dass er auf dem Acker abgestürzt ist. Wir haben in unmittelbarer Nähe ein Wohngebiet, einen Kindergarten. Also ich möchte mir gar nicht ausmalen, was da hätte passieren können. Auch die Einwohner haben sich genauso Gedanken gemacht, dass wir wirklich einer Katastrophe entgangen sind."
Kein Wunder, dass viele Eltern ihre Kinder heute nicht in die Kita gebracht haben, sondern zu Hause ließen. Denn manche Kinder hatten den Absturz des einen brennenden Eurofighters vom Kita-Fenster aus beobachtet. Zudem wurde heute Morgen nur 40 Meter von den Spielgeräten des Kindergartens entfernt ein Wrackteil gefunden, das in der Größe einem abgebrochenen Golfschläger ähnelt und von dem die Luftwaffe nicht sagen möchte, welche Funktion dieses Teil hatte.
Dass Eurofighter über ihr Gebiet krachen und das mitunter in Überschallgeschwindigkeit - keine Seltenheit, sagen die Bewohner der Region zwischen Waren an der Müritz und Malchow am Flesensee. Weil diese Region reich an Gewässern und relativ arm an Menschen ist, zählt sie zum Übungsgebiet des Taktischen Luftwaffengeschwaders 73 "Steinhoff", das in Rostock-Laage stationiert ist und seit 15 Jahren sämtliche deutschen Eurofighter-Piloten ausbildet.
Dort - auf dem Fliegerhorst Rostock-Laage - herrschen ebenfalls noch Schock und Trauer vor. Doch eine Frage drängt sich mehr und mehr in den Vordergrund: Welche Rolle mag die Einsatzbereitschaft von Technik wie Piloten bei diesem Unfall gespielt haben?
Ersatzteillieferung dauert in der Regel viele Monate
Der Grund: Generell leidet die Luftwaffe unter der 2011 geänderten Beschaffungsstrategie der Bundeswehr, der zufolge grundsätzlich keine Ersatzteile mehr auf Vorrat gelagert werden, sondern erst dann bei der Industrie bestellt werden sollen, wenn das Fluggerät bereits reparaturbedürftig ist. Die Ersatzteillieferung dauert jedoch in der Regel viele Monate. In dieser Zeit stehen die Maschinen, statt zu fliegen.
"Das hat dazu geführt, dass wir nicht die erforderliche Anzahl an Flugstunden für die Flugzeugbesatzungen bereitstellen konnten, was natürlich auch zu Fähigkeitseinbußen geführt hat. Das muss man ganz klar attestieren", sagt Gero von Fritschen, Dienstellenleiter auf dem Fliegerhorst Laage, wo derzeit von 25 Eurofightern sechs bis acht als sogenannte "Langzeitsteher" nicht einsatzfähig sind. Zwar habe sich die Ersatzteilbeschaffung in letzter Zeit verbessert, sagt er.
Aber: "Wir hier in Laage konnten auch in den vergangenen Jahren ein Flugstundenkontingent verzeichnen, das uns grundsätzlich in die Lage versetzt hat, die Ausbildung hier durchzuführen. Aber es hat nicht dazu gereicht, um uns in dem Maße weiterzubilden, wie wir das für erforderlich halten."
140 reale Flugstunden in der Luft sind pro Pilot und Jahr vorgeschrieben. Die werden derzeit kaum erreicht. Auch um die Bevölkerung vor dem enormen Fluglärm zu schützen, kommt der Flugsimulator stark zu Einsatz.
Keine Auskunft über Flugstunden
Heute erklärte die Luftwaffe, dass der überlebende Soldat "ein erfahrener Eurofighter-Pilot und Fluglehrer" sei, der bereits mehr als 3.500 Flugstunden absolviert habe. Der tödlich verunglückte Pilot hatte gerade seine Grundausbildung in Spanien abgeschlossen und befand sich in der sogenannten "verbandsinternen Aus- und Weiterbildung" am Standort Laage. Auskunft über dessen absolvierte Flugstunden machte die Luftwaffe nicht.
Noch ist völlig unklar, ob es einen Zusammenhang zwischen dem Stand der Einsatzbereitschaft und der gestrigen Kollision in der Luft gab. Doch die Diskussion über das generelle Thema "Ausrüstung-Beschaffung-Sicherheit" läuft bereits: In Berlin, wo der AfD-Bundestagsabgeordnete Leif-Erik Holm aus Mecklenburg-Vorpommern heute entsprechende Fragen beim Bundesverteidigungsministerium einreichte. Aber auch im mecklenburgischen Nossentin, das nur knapp an einer größeren Katastrophe vorbeischrammte.
Bürgermeisterin Birgit Kurth: "Auf dem Sportplatz wurden auch Trümmerteile gefunden. Wir haben am Wochenende die Landesmeisterschaften im Fußball Ü35 und Ü50. Nun müssen wir erst mal sehen. Der ist abgesperrt, und wir müssen heute erst mal erfragen, wie lange der gesperrt ist und dann den Landesfußballverband darüber informieren, dass eventuell diese Landesmeisterschaften abgesagt werden müssen."