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Europa-Kolumne
Krise in der Türkei

Seit mehr als einem Jahrzehnt regiert Recep Tayyip Erdogan in der Türkei. Noch vor wenigen Wochen hatte kaum jemand damit gerechnet, dass der Premier durch Machtkämpfe und Korruption so erschüttert würde.

Von Thomas Bormann | 09.01.2014
    Recep Tayyip Erdogan
    Recep Tayyip Erdogan (dpa / picture alliance / Sergey Guneev)
    Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan wirkt in diesen Tagen mitunter wie ein unberechenbarer Amokläufer. Er schimpft, dunkle Mächte im Ausland würden einen Komplott schmieden, weil sie der Türkei ihren wirtschaftlichen Aufschwung nicht gönnen. Er lässt Hunderte Polizeibeamte strafversetzen, weil die gegen Mitglieder seiner Regierung wegen Korruption ermittelt hatten. Er versucht mit immer neuen Vorschriften und Gesetzesentwürfen, die Justiz unter die Kontrolle der Regierung zu bringen.
    All das läuft den Grundsätzen des Rechtsstaates, vor allem dem Grundsatz der Gewaltenteilung zuwider. Erdogan missachtet die Unabhängigkeit der Justiz. Aber er fühlt sich dabei im Recht, weil aus seiner Sicht die Justiz in der Türkei gar nicht mehr unabhängig war, sondern bereits unterwandert ist von Anhängern der Bewegung des islamischen Predigers Gülen.
    Umso schlimmer kann man da nur sagen: Wird die Justiz in der Türkei hier etwa zum Spielball im Machtkampf zwischen Erdogan und Gülen, also im Machtkampf innerhalb des religiös-konservativen Lagers in der Türkei?
    Erdogan hat erst gestern wieder die Polizeichefs von 15 Provinzen strafversetzt. Kein Polizeibeamter, kein Staatsanwalt, kein Richter in der Türkei kann derzeit sicher sein, ob er morgen seinen Posten noch innehat; vor allem dann nicht, wenn er wegen Korruption gegen Mitglieder der Regierung oder gegen Geschäftsleute ermittelt, die Erdogan nahestehen.
    Keine unabhängige Justiz
    Der Korruptionsskandal hat vor allem eines aufgedeckt: Es gibt in der Türkei keine unabhängige Justiz. Und die Regierung Erdogan ist offenbar nicht gewillt, ein unabhängiges Justizsystem in der Türkei aufzubauen. Damit entfernt sich die Türkei weiter von den Grundsätzen, die für Staaten der Europäischen Union gelten. Für die Beitrittsverhandlungen der Türkei ist das ein heftiger Rückschlag.
    Zarter Hauch von Europabegeisterung
    Noch vor drei Monaten, als nach langer Eiszeit diese Verhandlungen endlich wieder aufgenommen wurden, keimte in der Türkei ein zarter Hauch von Europabegeisterung auf, von neuem Schwung für Europa sprachen die Minister der Regierung Erdogan. Und die EU hatte in ihrem Fortschrittsbericht vom Oktober noch die Reformen im türkischen Justizwesen ausdrücklich gelobt.
    Ein Lob, das offensichtlich verfrüht war.
    Für die Türkei steht jetzt allerdings deutlich mehr auf dem Spiel als die EU-Beitrittsverhandlungen.
    Wirtschaftliche Stabilität in Gefahr
    Die Türkei läuft Gefahr, ihre wirtschaftliche Stabilität zu verlieren. Der Kurs der türkischen Währung ist bereits um einige Prozent abgerutscht. Türkische Unternehmer befürchten, wegen der Korruptionsaffäre werden Rating-Agenturen die Bonität der Türkei herabsetzen und ausländische Investoren könnten sich aus dem türkischen Markt zurückziehen.
    Verloren hat auch Ministerpräsident Erdogan persönlich. Er war einst angetreten mit dem Versprechen, entschlossen gegen Korruption und Vetternwirtschaft vorzugehen. Nun haftet an ihm der Verdacht, seine Regierung sei ebenso korrupt wie frühere Regierungen.
    Erdogan geht also geschwächt in das türkische Wahljahr 2014, in dem im März neue Bürgermeister gewählt werden und im Sommer ein neuer Staatspräsident.
    Ein geschwächter Erdogan – das kann am Ende eine gute Nachricht für die Türkei sein. Denn Erdogan hat mittlerweile zu viel Macht auf seine Person vereint; es würde der Türkei gut tun, diese Macht neu zu verteilen.