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Europa-Museum
Gemeinsames Bewusstsein statt nationaler Erzählungen

Im kommenden Jahr soll das "Haus der Europäischen Geschichte" in Brüssel eröffnet werden. Andrea Mork, wissenschaftliche Koordinatorin des Projekts, möchte dabei nicht Nationalgeschichte aneinanderreihen, sondern eine gemeinsame Linie der Geschichtsbetrachtung herausarbeiten.

Andrea Mork im Gespräch mit Antje Allroggen | 05.04.2014
    Historische Geste: Der französische Staatspräsident Francois Mitterrand (l) und Bundeskanzler Helmut Kohl reichen sich am 22.9.1984 über den Gräbern von Verdun die Hand.
    Historische Geste: Der französische Staatspräsident Francois Mitterrand (l) und Bundeskanzler Helmut Kohl reichen sich am 22.9.1984 über den Gräbern von Verdun die Hand. (picture-alliance / dpa / Wolfgang Eilmes)
    Antje Allroggen: Die nationalstaatlich fixierte Geschichtsschreibung - so scheint es - wird in der Betrachtung des Ersten Weltkriegs allmählich überwunden und peu à peu durch eine transnationale, vergleichende Betrachtungsweise ergänzt. Internationale Zusammenhänge und Wechselwirkungen werden seit einiger Zeit in der Forschung stärker betont. Für den Deutschlandfunk ist das Gedenkjahr 2014 Anlass, in einem internationalen Symposium die europäische Dimension dieses epochalen Einschnitts in der Geschichte Europas in den Mittelpunkt zu rücken.
    Andrea Mork, wissenschaftliche Koordinatorin des Projekts, hat heute in Köln das Konzept des neuen Museums erstmals der deutschen Öffentlichkeit vorgestellt. Versteht sich, Andrea Mork, das künftige Haus der Europäischen Geschichte als ein Ort, an dem sich verschiedene historische Erzählungen begegnen können? Wie wollen Sie die Vielfalt dieser Erzählungen veranschaulichen?
    Andrea Mork: Ihre Frage geht direkt ins Schwarze unserer konzeptionellen Überlegungen. Das Haus der Europäischen Geschichte wird in keinem Falle eine Addition von Nationalgeschichten sein. Was uns vorschwebt, ist ein Speicher der europäischen Erinnerung, in dem die Vielfalt der europäischen Erfahrungen, die ja sehr unterschiedlich ausfallen, je nach Nationalstaat und nach Region, zusammenzubringen, um für den Besucher das Bewusstsein der europäischen Gemeinsamkeiten zu schärfen.
    Allroggen: Wenn Sie Speicher sagen, wird es auch einen Ort der Archive geben? Geplant ist zumindest auch eine Dauerausstellung, ähnlich wie im Bonner Haus der Geschichte. Soll diese Dauerausstellung chronologisch aufgebaut sein?
    Mork: Die Dauerausstellung, die wir zurzeit planen und die Ende 2015 eröffnet werden soll, ist chronologisch angelegt. Die Ausstellung startet im 19. Jahrhundert, "Europa auf dem Weg in die Moderne". Europa entwickelt politische Konzepte und Ideen, die, kann man sagen, von kategorialer Bedeutung für die Entwicklung des Kontinents gewesen sind und die bis heute relevant sind: Ich sage mal Industrialisierung, Menschen- und Bürgerrechte, Demokratie, Sozialismus, Kapitalismus. Die Ausstellung wird dann einen deutlichen Schwerpunkt im 20. Jahrhundert haben. Es ist unser Ziel, zu erklären, wie, in welchen historischen Bedingungen, Rahmenbedingungen der europäische Integrationsprozess nach '45 stattgefunden hat.
    Allroggen: Und ich nehme an, Sie haben mit einem Team zusammengearbeitet, das ebenso interdisziplinär und international zusammengesetzt ist, wie das Thema an sich es auch ist?
    Mork: Ja. Wir haben ein Team aus mittlerweile 30 Kollegen. Wir decken 17 Nationen ab. Es sind darunter vor allen Dingen Historiker, aber auch Kunsthistoriker, Geisteswissenschaftler, Literaturwissenschaftler. Wir sind alleine schon aufgrund dieser internationalen Zusammensetzung des Teams darauf geeicht, eine gemeinsame Linie der Geschichtsbetrachtung herauszuarbeiten.
    Allroggen: Wenn Sie Ihr Haus der Geschichte Europas nicht als ein Fortschreiben von miteinander konkurrierenden Erzählungen verstehen, sondern vielmehr dabei mitwirken wollen, ein neues gemeinsames Bewusstsein für eine gemeinsame transnationale Geschichtskultur zu schaffen, sind da gemeinsame Diskurse, vielleicht auch Bildungsangebote für jüngere Generationen nicht noch viel wichtiger als eine Ausstellung?
    Mork: Es ist heute Morgen in dem schönen Symposium, was Sie hier veranstalten, angesprochen worden: Wie macht man es denn eigentlich, einer Generation, die nicht mehr unmittelbar verbunden ist mit dem, was zur Rede steht, eben dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg, vertraut zu machen mit diesem historischen Gegenstand. Und ich glaube, gerade diesbezüglich hat das Museum einen unschlagbaren Vorteil über die Sinnlichkeit der Darstellung, die Möglichkeit einer Emotionalisierung und eben auch die Möglichkeit, aus der allgemeinen Geschichtsschreibung herauszutreten und über Zeitzeugenbefragungen und individuelle Schicksale einen ganz persönlichen Blick weiterzugeben.
    Allroggen: Was haben Sie jetzt noch zu tun, bevor das Haus im kommenden Jahr eröffnet werden soll?
    Mork: Das Konzept steht, auch das Ausstellungsdesign ist fertig, der Architekt ist in den Feinzeichnungen. Die ganz große Aufgabe besteht in den folgenden Monaten darin, die Objekte zu akquirieren. Die Kuratoren haben in den vergangenen Monaten Kontakt aufgenommen zu künftigen Leihgebern. Es sind 330 europäische Museen im Gespräch, die wir auch schon besucht haben, um Vorverhandlungen zu führen. Denn Sie müssen sich vorstellen: Wir sind ein König ohne Land, ein Museum mit einem sehr schönen Gebäude, aber ohne ein einziges Objekt in unserer Sammlung. Das heißt, wir sind im höchsten Maße auf Leihgaben angewiesen. Und darin wird in den nächsten Monaten der Schwerpunkt der Arbeit liegen.
    Allroggen: Andrea Mork, die Koordinatorin des Hauses der Europäischen Geschichte, das im kommenden Jahr in Brüssel eröffnet werden soll.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk/Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.