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Europa
Suche nach Rezept gegen Rechtspopulismus

Ob Front National, Ukip, Lega Nord, FPÖ oder AfD: Rechtspopulistische Parteien gewinnen in Europa an Einfluss. Die Globalisierung im Zeichen des Neoliberalismus hat zu Krisen geführt - ist der Rechtspopulismus eine Reaktion darauf? Bei dieser Frage warten politikwissenschaftliche Analysen mit einem überraschenden Befund auf.

Von Peter Leusch | 30.07.2015
    Auf einer Versammlung der Lega Nord Patania spricht Parteichef Matteo Salvini.
    Lega Nord: Erfolg mit Wohlstandschauvinismus (picture alliance / dpa / Pierre Teyssot)
    "Rechtspopulismus ist meistens gekennzeichnet durch eine Betonung des Nationalen, durch fremdenfeindliche Instinkte, in jüngerer Zeit auch durch Euroskeptizismus. Und dann kommt häufig so eine Art Wohlfahrtstaatschauvinismus hinzu."
    Thoma Poguntke, Parteienforscher, Universität Düsseldorf:
    "Populistische Parteien sind Anti-Establishment-Parteien und geben gleichzeitig vor, für das sogenannte einfache Volk zu stehen im Unterschied - so lautet zumindest der Vorwurf - zu den anderen Parteien, die das nicht mehr tun. Das ist der Kern des Populismus."
    Frank Decker, Politologe, Universität Bonn
    "Eine ganz klare Geschichte ist, dass es nicht genügt, den Leuten, die rechtspopulistische Parteien wählen, ein schlechtes Gewissen machen zu wollen, indem man erklärt, dass es nicht in Ordnung ist. Verteufelungsstrategien, Tabuisierungsstrategien sind gescheitert."
    Ernst Hillebrand, Politologe, Friedrich-Ebert-Stiftung.
    Drei Politikwissenschaftler, drei Stimmen von vielen, die zum anhaltenden Boom rechtspopulistischer Parteien forschen. Denn – so könnte man das Wort von Marx abwandeln – ein Gespenst geht um in Europa, das Gespenst des Rechtspopulismus. Und spätestens bei den Europawahlen 2014 hat es sich aller Welt besonders deutlich gezeigt: Der französische Front National und die britische Ukip errangen in ihren Ländern mehr als ein Viertel der Stimmen, die italienische Lega Nord und die FPÖ in Österreich feierten ebenfalls Erfolge und die bundesdeutsche AfD gewann hierzulande auf Anhieb sieben Prozent der Stimmen.
    Herausforderung für etablierte Parteien
    Welche Vorstellungen haben rechtspopulistische Parteien, was sind die Motive ihrer Wähler? Mit Sicherheit ist das Phänomen eine Herausforderung für die etablierten Parteien. Ist es auch eine Gefährdung der Demokratie?
    Als Erstes fällt auf, so Thomas Pogunkte, dass die Rechtspopulisten simple Lösungen für komplexe Probleme versprechen und damit ihre Wähler ködern.
    "Ein extremes Beispiel wäre Geert Wilders, der in den Niederlanden mit der Parole "Wer weniger Ausländer im Land haben will, der muss für mich stimmen" in den Wahlkampf gezogen ist. Da hat er allerdings nicht besonders stark reüssiert, aber das sind natürlich sehr einfache, auf maximalen Forderungen basierende politische Programmpunkte. Und die machen natürlich Kompromissfindung schwieriger."
    Der Rechtspopulismus macht seinen Wählern uneinlösbare Versprechen, wenn er vorgibt, das Prinzip der Freizügigkeit innerhalb der EU, also einen Meilenstein in der Entwicklung der Europäischen Union, einfach umstoßen zu können, obwohl das gar nicht im Entscheidungsbereich nationaler Parlamente liegt. Ernst Hillebrand:
    "Es ist ja schlichtweg nicht möglich, unter den gegebenen Bedingungen des europäischen politischen Systems und dem Ausmaß der europäischen Integration über einseitige nationalstaatliche Politik etwa an der Steuerungsschraube bei Einwanderung oder Zuwanderung aus dem EU-Raum eingreifen zu wollen. Es geht ja nicht. Rechtspopulismus wird nie in der Lage sein, die versprochenen politischen Lösungen auch liefern zu können, aber er schafft Erwartungen bei einem Teil der Bevölkerung, die es für die Politik, die im Rahmen des Gegebenen agieren muss, sehr viel schwerer macht, als verantwortungsvoll und rational agierend wahrgenommen zu werden."
    Rechtspopulismus arbeitet mit unzulässigen Vereinfachungen
    Der Rechtspopulismus arbeitet mit unzulässigen Vereinfachungen, tut so, als gäbe es keinen unumkehrbaren Prozess der Globalisierung, als gäbe es keine pluralistische Gesellschaft mit Interessengegensätzen, mit Mehrheiten aber eben auch Minderheiten, sondern nur einen vermeintlich einheitlichen Volkswillen, dessen Sprachrohr die Rechtspopulisten nach ihrem Selbstverständnis darstellen.
    Der Aufstieg des Rechtspopulismus fällt in eine Zeit des Umbruchs. Die Globalisierung im Zeichen des Neoliberalismus hat zu Krisen und sozioökonomischen Verwerfungen geführt. Ist der Rechtspopulismus eine Reaktion darauf? Bei dieser Frage warten die politikwissenschaftlichen Analysen mit einem überraschenden Befund auf:
    "Der Rechtspopulismus ist ja erstaunlicherweise gerade in Ländern stark, die keine größere soziale Krise kennen. Das ist eines der interessantesten Phänomene, dass Rechtspopulismus im Grunde in relativ wohlhabenden Gesellschaften Europas stark ist, in der Schweiz, in Österreich, in Dänemark, in den Niederlanden. Das sind ja alles keine Krisen- oder Katastrophengebiete, das sind Länder, die relativ gut funktionieren und wo die Leute aber auch das Gefühl haben, sie haben etwas zu verlieren durch eine Veränderung der politischen Ordnung oder durch demokratischen Kontrollverlust."
    Stabile und reichere Länder besonders gefährdet
    In den stabilen und reicheren Ländern und Regionen Europas scheint es sich mehr um Abstiegsängste als um reale Verluste zu handeln, um Verunsicherungen, die zum Rechtspopulismus führen. In Ländern hingegen, wo es zu extremen sozioökonomischen Verwerfungen gekommen ist, weisen die Reaktionen der Wähler in eine andere Richtung:
    "Was zu politischen Veränderungen zu führen scheint, sind tatsächlich schwierige soziale und ökonomische Entwicklungen im Süden Europas. Aber die favorisieren interessanterweise nicht rechtspopulistische Bewegungen, sondern eben linkspopulistische Bewegungen, die offensichtlich glaubhafter sind in ihrem Ansatz, auch die Verteilungsdimension aufzugreifen, als es rechtspopulistische Bewegungen sind."
    Syriza in Griechenland, Podemos in Spanien sind die prominentesten linkpopulistischen Parteien in Europa. Sie fokussieren stärker auf soziale Härten, auf Umverteilung zwischen Arm und Reich. Dagegen setzt der Rechtspopulismus andere Schwerpunkte, erläutert Thomas Pogunkte, der die Entstehungsgeschichte aufgearbeitet hat.
    "Der Rechtspopulismus hat ja interessanterweise seine ältesten Wurzeln in den skandinavischen Wohlfahrtsstaaten. Wenn man historisch zurückgeht, hat eigentlich die erste große rechtspopulistische Partei in Dänemark schon 1973 reüssiert als Steuerprotestpartei, ging dann aber schnell auch in die Richtung Antiimmigration und so weiter. Wir haben solche Parteien auch in den anderen skandinavischen Ländern. Italien ist ein anderes Beispiel."
    Im stärker industrialisierten und wohlhabenden Norden Italiens entwickelte sich Unmut gegenüber dem unterentwickelten Süden. Und die rechtspopulistische Lega Nord ist das politische Sprachrohr: Man wollte die Steuermilliarden lieber in der eigenen Region behalten als im Mezzogiorno womöglich in dubiosen Kanälen verschwinden sehen. Es bedeutet aber, dass die Solidarität gegenüber Schwächeren aufgekündigt wird. Frank Decker:
    "In der politikwissenschaftlichen Forschung verwendet man den Begriff des Wohlfahrtsstaatchauvinismus, um dieses Phänomen zu beschreiben. Also eine Einstellung, dass man den knapper und prekärer werdenden Wohlstand eben nicht mehr bereit ist, mit anderen Gruppen zu teilen. Gerade in den Ländern, wo die Sozialstaaten immer noch recht stark ausgebaut sind, etwa in den skandinavischen Ländern, sind eben Teile der Bevölkerung nicht mehr bereit, auch Sozialleistungen mit Einwanderern zu teilen, obwohl sie vielleicht wissen oder zumindest wissen sollten, dass gerade für die Aufrechterhaltung des Sozialstaats in Zukunft aus demografischen Gründen in diesen Gesellschaften Einwanderung notwendig ist."
    Wohlfahrtsstaatschauvinismus als Motiv
    Der Wohlfahrtsstaatschauvinismus ist ein sozioökonomisches Motiv, das zum Rechtspopulismus gehört. Für sich allein genommen reiche es aber nicht, erklärt Ernst Hillebrand. Hinzu tritt ein zweites, soziokulturelles Motiv, eine Verunsicherung durch den rasanten Wandel der Lebenswelt, die in Abwehr und Ausgrenzung mündet:
    "Es gibt Teile der Bevölkerung, die sich in ihrem Verlangen nach einer Bewahrung der ihnen lieben und vertrauten Lebensverhältnisse, in denen sie groß geworden sind, die sie schätzen, die sie zu beherrschen meinen, nicht mehr ernst genommen finden. Sondern sich einem permanenten Veränderungsdruck ausgesetzt sehen, was ihre Lebensumwelt betrifft, in der sie leben, die sie nicht als positiv empfinden. Das ist auch keine ideologische Verbohrtheit dieser Menschen. Soweit man es aus der Verhaltenspsychologie kennt, ist das Verlangen nach vertrauten, steuerbaren, als beherrschbar erscheinenden Lebenszusammenhängen, in denen man bleiben kann und bleiben möchte, ein ganz elementares menschliches Verlangen."
    Augenfälligster Ausdruck eines Wandels der Lebenswelt sind Zuwanderer: fremde Gesichter, andere Sprachen, Religionen und Bräuche – inmitten des Alltags, in einer, so glauben manche, eigentlich homogenen Gemeinschaft. Von daher tendieren die rechtspopulistischen Parteien zu Fremdenfeindlichkeit und Anti-Islamismus. Aber, so vermutet Frank Decker, die Zuwanderung muss als Problemtitel und Feindbild herhalten für einen gesellschaftlichen Wandel, der in seinem Tempo auch ohne Migration viele Menschen befremdet. Wertewandel, Individualisierung und Pluralismus der Lebensstile, wo zum Beispiel neben das klassische Ehe- und Familienmodell andere Lebensformen getreten sind, schaffen eine tief gehende, aber diffuse Verunsicherung, ein Unbehagen, das nach einem äußeren Grund, nach einem Sündenbock verlangt.
    "Wenn man die Wähler der AfD - die war ja bei der Bundestagswahl schon fast über die Fünf-Prozent-Hürde gekommen, dann bei der Europawahl 7,1 Prozent - wenn man die Wähler der AfD nach ihren Motiven befragt, so hat sich schon damals gezeigt, dass für die meisten das Thema Zuwanderung wichtiger gewesen ist, als das damals noch in der offiziellen Programmatik dominierende Thema Währungsunion, Euro. Und insofern ist diese Ausrichtung der Partei natürlich konsequent, was die Wählerresonanz angeht. Sie ist aber gleichzeitig sehr viel gefährlicher, weil über kurz oder lang die Frage, wie man sich nach ganz rechts außen abgrenzt, in der Partei erneut zu Konflikten führen wird."
    Brennglas für Kritik an der EU
    Nachdem die AfD ihren moderaten Flügel mit Bernd Lucke abgestoßen hat, vollzieht sie einen Rechtsruck. Doch wo hört der Rechtspopulismus auf, wo fängt der Rechtsextremismus an? Ein Kriterium ist sicherlich, dass sich die Rechtspopulisten nicht gegen die Demokratie wenden, wohl aber gegen die – wie sie sagen – Altparteien, die den Wählerwillen nicht umsetzen würden. Der Rechtspopulismus rührt an die Repräsentationskrise der Parteien, denen die Stammwähler ebenso schwinden, wie es ihnen an Nachwuchs mangelt. Hier liegen die politischen Motive des Rechtspopulismus. Seine Forderungen nach mehr direkter Demokratie, nach Volksabstimmungen und mehr Bürgerbeteiligung sind begründet, sie werden auch von vielen anderen geteilt. Nur, so betont Frank Decker, die moderne pluralistische Demokratie folgt nicht ausschließlich dem Mehrheitsprinzip – worauf die Rechtspopulisten bauen – sie ist auch Verfassungsstaat, der die Rechte jedes Einzelnen garantiert und den Schutz der Minderheiten.
    Wie in einem Brennglas, so Frank Decker, bündelt die Kritik an der Europäischen Union alle drei Dimensionen des Rechtspopulismus: die sozioökonomische Ebene – Wohlfahrtsstaatschauvinismus -, die soziokulturelle Ebene – Abgrenzung gegen Zuwanderung- und die politische Ebene – Demokratiedefizite. Da wundert es nicht, dass gerade die Rechtspopulisten bei den Europawahlen gepunktet haben.
    "Die Europäische Union wird als Ursache betrachtet für Verteilungsungerechtigkeiten innerhalb der Gesellschaften und jetzt zunehmend auch zwischen den auseinanderdriftenden Ländern der Währungsunion. Die europäische Politik wird als Einfallstor für unkontrollierte Zuwanderung betrachtet. Wir haben heute in Europa eine Arbeitnehmerfreizügigkeit, die eben von vielen Ländern in dieser Form nicht mehr akzeptiert wird, auf Druck der Rechtspopulisten. Und wir haben schließlich in Europa ein notorisches Demokratieproblem: Die Bürger fühlen sich fremdbestimmt, von einer anonymen Brüsseler Bürokratie gegängelt."
    Wie soll man dem Rechtspopulismus begegnen? Die Politikwissenschaftler diskutieren verschiedene Szenarien. Solche, die denkbar sind, und andere, die bereits realisiert werden, wie vom britischen Premierminister David Cameron im Umgang mit der rechtspopulistischen Partei Ukip.
    "Wie man es eigentlich eher nicht machen soll, ist das Beispiel der britischen Konservativen. So wie David Cameron aus Angst vor der UKIP ein Stück weit diese Forderungen aufgenommen hat. Er hat jetzt das Problem, dass er eigentlich auf dem Tiger reitet und nicht weiß, ob er den noch kontrollieren kann – Stichwort EU-Referendum."
    Britische Konservative haben sich Brexit zu eigen gemacht
    David Cameron hatte ein Referendum über den weiteren Verbleib Großbritanniens in der EU, also über einen Brexit, in Aussicht gestellt, um Ukip im Wahlkampf Stimmen abzujagen. Doch so hat, stellt man fest, eine rechtspopulistische Partei Forderungen durchgesetzt, ohne selber in der Regierung vertreten zu sein.
    Wie kann man anders und konstruktiv mit rechtspopulistischen Parteien umgehen? Ernst Hillebrand rät, das Gespräch mit ihren Wählern zu suchen, um sie zurückzugewinnen, anstatt sie zu diskreditieren.
    "Politik muss den potenziellen Wählern dieser Parteien klarmachen, dass sie ihre Sorgen ernst nehmen. Man muss versuchen, diesen sich abgehängt fühlenden Wählermilieus klarzumachen: Auch wir sind an euren realen Lebensumständen interessiert. Und wir tun unser Bestes, das im positiven Sinne zu verändern. Und wir hören euch zu und wir nehmen das ernst, was ihr uns zu sagen versucht. Das, glaube ich, wäre der allerelementarste Schritt, um dem Rechtspopulismus dieses Wir-sind-diejenigen-die-wirklich-das-Ohr-am-Volk-haben-Image abzujagen, was im Moment eine dringende Notwendigkeit ist für die etablierten Parteien.