Freitag, 29. März 2024

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Europa und der Erste Weltkrieg
Die Schwierigkeit gemeinsamen Gedenkens

Während in den Nachbarländern nach 1918 Gedenksteine eingeweiht wurden, debattierten Politiker und Historiker in Deutschland noch Jahrzehnte nach Kriegsende kontrovers über Kriegsschuld, Gedenken und Dolchstoßlegende. Bis heute gestaltet sich ein gemeinsames Erinnern der Europäer schwierig.

Von Anne Raith | 25.12.2014
    Ein deutscher Soldat in einem Schützengraben vor Ypern am 24. April 1915.
    Erster Weltkrieg Belgien (picture alliance / dpa)
    Still steht Guy Gruwez in der Menge. Mit geradem Rücken, den Kopf gesenkt.
    Auch die Schülerinnen und Schüler aus Großbritannien, die eben noch um den älteren Herrn herumwuselten, sind zur Ruhe gekommen und halten inne; mit ihnen irische Touristen in Wanderkleidung, eine niederländische Reisegruppe und zwei neuseeländische Armeeangehörige. Es ist kühl an diesem Abend. Und doch haben sich auch heute wieder Dutzende Menschen um Punkt 20 Uhr unter dem Menen-Tor im flämischen Ypern versammelt, zum Gefallenensalut.
    Im flämischen Ypern stand kein Stein mehr auf dem anderen
    Wie fast jeden Abend seit 1928, dem Jahr, in dem Guy Gruwez geboren wurde. Sein Großvater hat den Verein "Last Post Association" nach dem Krieg mitgegründet:
    "Als er im November 1918 wieder zurück in die Stadt kam, war sein Haus komplett zerstört. In Ypern stand kein Stein mehr auf dem anderen. Das gesellschaftliche Leben war tot. Vor dem Krieg haben hier 25.000 Menschen gelebt, nur 7.000 sind zurückgekehrt."
    Und jene, die zurückkehrten, wollten der Opfer gedenken, erzählt er. Daran möchte Guy Gruwez festhalten, er selbst war 40 Jahre lang Vorsitzender der "Last Post Association":
    "Wir halten noch immer an der Ursprungsidee fest, dass wir uns jenen gegenüber dankbar zeigen, die für die Befreiung Belgiens gestorben sind. Der Gefallenensalut ist bis heute der beste Moment, um über Krieg und Frieden nachzudenken, und über die Notwendigkeit von Frieden."
    Denn für die noch junge Monarchie hatte der Erste Weltkrieg verheerende Folgen. Kaum ein Land wurde härter getroffen als das neutrale Belgien – kaum eine Region mehr gezeichnet als das westliche Flandern.
    Der Erste Weltkrieg ist allgegenwärtig
    Auch die Tuchhalle in Ypern mit ihrem 70 Meter hohen Glockenturm lag in Trümmern. Heute beherbergt das rekonstruierte Gebäude das "In Flanders Fields Museum", das für das Einhundertjahrgedenken in diesem Jahr noch einmal grundlegend neu gestaltet wurde und eine der zentralen Erinnerungsstätten der Region ist. Koordinator Piet Chielens ist selbst in der Gegend aufgewachsen, er erinnert sich gut, wie lange es gedauert hat, sich von den politischen und wirtschaftlichen Folgen des Krieges zu erholen, wie schwer die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte fiel:
    "In Ypern hatte man bis Ende der 1980er-Jahre überhaupt kein Interesse daran, die Relikte des Krieges zu konservieren. Die Leute wollten alles wieder aufbauen und ihr Leben zurück! Andererseits teilen wir unsere Geschichte mit vielen Nationen in der ganzen Welt – ob wir wollen oder nicht, das ist unsere historische Verpflichtung. Der Erste Weltkrieg ist hier allgegenwärtig, Teil einer jeden Existenz."
    Also wurde die Stadt wieder aufgebaut und die Schauplätze des Krieges wurden rekonstruiert und begehbar gemacht: Die Wallanlage, die Schützengräben und Soldatenfriedhöfe. Heute ist Ypern mit bis zu 300.000 Besuchern pro Jahr eine Art Wallfahrtsort für Nachkommen und Kriegsinteressierte aus aller Welt. Und in diesem Gedenkjahr sind es noch einmal mehr geworden. Schon früh haben die zuständigen Ministerien - das Ministerium für Außenbeziehungen und das für Tourismus – entsprechende Finanzmittel bereitgestellt und mit den Planungen begonnen. Gedenkstätten wurden restauriert, Infrastrukturmaßnahmen angestoßen. Denn jenseits des Gedenkens soll Flandern als Reiseziel wahrgenommen werden.
    Diese Entwicklung spaltet die Stadt bis heute, erzählt Piet Chielens. Denn während die einen finden, in den "Weltkriegstourismus" werde zu viel Geld gesteckt, leben die anderen genau davon.
    Stewen Vanghiluwe zum Beispiel verkauft in seinem kleinen Laden zwischen Museum und Menen-Tor Schokolade, Bonbons und Kekse. Viele Schachteln und Dosen tragen das Emblem "100 Jahre Erster Weltkrieg."
    "Das hier sind zum Beispiel Bonbons, auf denen eine Mohnblume abgebildet ist. Die Bonbons sind handgemacht und wurden exklusiv für uns hergestellt. Das ist natürlich schön, denn inzwischen sind ziemlich viele Produkte auf dem Markt, da ist es gut, etwas Besonderes zu haben."
    Ein Großteil der Touristen sind Briten; viele von ihnen auf den Spuren der eigenen Geschichte. Mary Stallard und ihr Mann Charles zum Beispiel sind zum zweiten Mal in Ypern:
    "Zwei meiner Großonkel sind im Krieg gefallen und liegen hier begraben. Ich möchte erfahren, wie sie hier gelebt haben, wie sie überlebt haben. Es ist unfassbar, was sie alles ertragen haben."
    900.000 britische Soldaten gefallen
    Für Großbritannien war dieser Krieg nicht der Erste, sondern der Große Krieg, The Great War. Ein Krieg, der das ganze Land erschütterte, Einzug in fast jede Familie hielt und die bis dahin herrschenden gesellschaftlichen Strukturen aufbrach. Der Anfang vom Ende des Empire. Ein Krieg, in dem 900.000 britische Soldaten gefallen sind - mehr als doppelt so viele wie im Zweiten Weltkrieg.
    Auch Tom Morgan ist nicht zum ersten Mal in Ypern. Sein Großvater war Soldat und nach dem Krieg in deutscher Gefangenschaft.
    "Ich werde nie müde, hierher zu kommen. Es ist so wichtig, dass wir uns erinnern. Und zwar aller Gefallener, egal welcher Nationalität. Das mache ich schon seit Jahren."
    Und so gedenkt Tom Morgan an diesem Abend am Menentor - einer britischen Gedenkstätte – auch der anderen.
    Das ist ganz im Sinne der flämischen Regierung. Diese hat für das Gedenkjahr 2014 ein gemeinsames Erinnern gewünscht, mit jenen 50 Nationen, die einst auf belgischem Boden gekämpft haben. Statt eines Heldengedenkens solle der "Friedensgedanke über alle Gräber und Schuldzuweisungen hinweg" zentral sein, heißt es wörtlich im Programm. Sodass sich der Blick am Ende in die Zukunft richtet.
    Doch der britische Premierminister hatte bereits früh deutlich gemacht, dass er das Gedenken 100 Jahre nach der "Urkatastrophe" national ausrichten, den Blick eher zurück als nach vorne richten möchte. 50 Millionen Pfund wurden dafür bereitgestellt - trotz der angespannten Haushaltslage.
    "Ich möchte ein Gedenken, dass die Seele unserer Nation in jedem Winkel dieses Landes einfängt, in den Schulen, am Arbeitsplatz, in den Rathäusern und Gemeindesälen. Ein Gedenken, das etwas darüber verrät, wer wir als Volk sind. Die Erinnerung muss bei all unseren Gedenkveranstaltungen im Vordergrund stehen."
    Heftige Debatte in Großbritannien
    Erinnerungskreuz mit typischer Mohnblume auf den britischen Friedhof Dud Corner aus dem Ersten Weltkrieg am Loos Denkmal in Loos-En-Gohelle
    Erinnerungskreuz mit typischer Mohnblume auf den britischen Friedhof Dud Corner aus dem Ersten Weltkrieg am Loos Denkmal in Loos-En-Gohelle. (picture alliance / dpa / Uwe Zucchi)
    Noch zu Beginn dieses Jahres wurde in Großbritannien sehr heftig darüber gestritten, wie man sich dieses Großen Krieges erinnern sollte. Der damalige konservative Bildungsminister Michael Grove hatte in einem Gastbeitrag in der Daily Mail gegen die "Mythen linker Historiker" gewettert und den Great War als einen "gerechten Krieg" bezeichnet. In seinen Augen laute das Regierungsziel für die Gedenkveranstaltungen, dass alle jungen Leute etwas über das Heldentum und die Opfer ihrer Urgroßeltern lernen sollten. Eine heftige Debatte folgte, die die für die Einhundertjahrfeier zuständige konservative Ministerin Helen Grant zu beschwichtigen versuchte, in dem sie beteuerte, der Sieg der Briten vor 100 Jahren sei kein Grund, heute auf den Straßen zu tanzen.
    Für Mary und Charles Stallard, das britische Ehepaar, das im belgischen Ypern auf familiärer Spurensuche ist, spielen Kriegsschuld und Heldengedenken keine Rolle. Die beiden haben auf ihrer Reise auch den deutschen Soldatenfriedhof besucht, zum ersten Mal.
    Sie: "Wir nehmen selten die Perspektive der anderen ein und es war ernüchternd, diesen Friedhof zu besuchen und zu realisieren, wie viele Menschen ihr Leben verloren haben."
    Er: "Auf beiden Seiten sind so viele Menschen gestorben, und damit fertig zu werden, das war nach dem Krieg für alle schwer. Wir können von der Geschichte eine Menge lernen."
    1,3 Millionen Franzosen sind im Ersten Weltkrieg gefallen
    Lernen sollen auch die Schülerinnen und Schüler, die an diesem Vormittag an der Geschichtswerkstatt im Rathaus von Béthune teilnehmen, einer Kleinstadt im Norden Frankreichs. Auch hier tobte vor einhundert Jahren der Stellungskrieg, ein Großteil der Stadt wurde damals zerstört. Durch die vielen Bombenangriffe, erklärt Sami:
    "Il y avait beaucoup de bombardements, ca fait des destructions ... Et qu'il y a plein de personnes qui sont mort pour la France."
    ... und nicht nur das, fügt schüchtern seine Klassenkameradin hinzu, in diesem Krieg seien auch viele Menschen gestorben, für Frankreich.
    1,3 Millionen Franzosen sind im Ersten Weltkrieg gefallen. In einem Krieg, der zu großen Teilen auf französischem Boden stattfand und ganze Landstriche bis heute prägt. Ein Krieg, in dem die Franzosen geeint gegen den Feind standen, der identitätsstiftend war, den auch sie heute noch La Grande Guerre, den Großen Krieg nennen.
    Monatelang liefen die Vorbereitungen für die Einhundertjahrfeier auf Hochtouren. Sieben Ministerien unterstützen die nationale Mission pour le Centenaire, die unter eigener Dachmarke alle regionalen und lokalen Veranstaltungen in Schulen, Theatern und Büchereien geprüft, genehmigt und gebündelt hat.
    Die Kleinstadt Béthune im Département Pas-de-Calais ist allein mit drei Projekten vertreten. Eines davon ist die Geschichtswerkstatt für Schüler zwischen 9 und 11 Jahren, die Stadtarchivar Arnaud Willay an diesem Vormittag im Rathaus der Stadt leitet.
    "Da der letzte französische Frontsoldat seit einigen Jahren tot ist, müssen wir die Geschichte mit Projekten wie diesem wach halten, für die Kinder, die Bürger von morgen."
    Zum Schutz mit weißen Handschuhen ausgerüstet, beugen sich vier Schüler mit Willay über Originaldokumente aus den Jahren 1914 bis 1918.
    Wichtiger Bestandteil der französischen Geschichte
    Gedenkstätte Notre-Dame-de-Lorette in Nordfrankreich zum Gedenken an die Toten des 1. Weltkriegs. Blick auf die Buchseiten, auf denen die Namen der Gefallenen stehen.
    Gedenkstätte Notre-Dame-de-Lorette in Nordfrankreich zum Gedenken an die Toten des 1. Weltkriegs (deutschlandradio.de / Ursula Welter)
    Zeitungsartikel, Postkarten und Redemanuskripte liegen auf dem Tisch. Willay hat außerdem Fotos mitgebracht, um den Kindern zu zeigen, wie Béthune damals ausgesehen hat. Ein wenig abseits steht Marie-José Deleersnyder, sie ist pädagogische Beraterin im Schulbezirk:
    "Alles, was wir ihnen hier beibringen, ist mit der lokalen Geschichte verknüpft, damit sich ihnen der Sinn erschließt. Wenn sie begreifen, was hier passiert ist, dann begreifen sie, was in Frankreich passiert ist."
    Und was sie daraus lernen sollen. Und das sind ihrer Meinung nach zwei Dinge:
    "Der Erste Weltkrieg ist ein wichtiger Teil der französischen Geschichte; die Kinder sollen lernen, was passiert ist, damit sich so etwas nicht wiederholt. Es war aber auch ein Moment der Solidarität; auch diese republikanischen Werte muss man den Kindern vermitteln."
    Ähnlich hat es auch Staatspräsident François Hollande ausgedrückt, als er im November vergangenen Jahres die Pläne zur Hundertjahrfeier vorstellte und an die Einheit der Franzosen appellierte. 60 Millionen Euro will die Regierung in den Centenaire investieren. In kleine Projekte und große Gedenkveranstaltungen wie die Militärparade am 14. Juli, zu der die französische Regierung Vertreter aus den 62 einst am Krieg beteiligten Nationen eingeladen hat.
    Tatsächlich soll sich Frankreich in den vergangenen Monaten vor allem um ein gemeinsames Gedenken mit Deutschland bemüht haben und der Botschaft sowie dem Auswärtigen Amt konkrete Vorschläge vorgelegt haben. Die Reaktion aus Berlin? Lange keine.
    "Frankreich will feiern – Deutschland guckt zu" titelten daraufhin deutsche Medien, "Berlin lässt Paris warten" oder "Warum Deutschland den Ersten Weltkrieg vergaß".
    Die zähe Regierungsbildung in Deutschland war sicherlich ein Grund, warum Berlin Paris warten ließ. Doch die Gründe, warum Deutschland dem Ersten Weltkrieg nicht so gedenkt wie seine Nachbarn liegen tiefer ...
    Auf dem Deutschen Soldatenfriedhof Langemarck in Belgien ist an diesem Vormittag kaum ein Mensch zu sehen. Nur der Gärtner balanciert auf seiner Leiter und stutzt die Bäume.
    "Besucher? Wenn dann Briten und Niederländer. Deutsche kommen nicht so oft."
    Auch Jahrzehnte nach Kriegsende kontrovers diskutiert
    Fast vergessen ruhen die Gefallenen unter den mächtigen Eichen, 25.000 von ihnen allein in einem Massengrab. Auch für die Deutschen war der Erste Weltkrieg einmal der Große Krieg, erinnert Historiker Gerd Krumeich. Doch dann kam der noch größere, noch schrecklichere:
    "Bei uns ist der Erste Weltkrieg ganz eindeutig durch den Zweiten Weltkrieg erstickt worden, der sich in Deutschland abgespielt hat. Das ist ein ganz ganz entscheidender Unterschied vor allem zu Belgien und Frankreich, wo man die Spuren heute noch sieht. Sie können ja die Spuren des Ersten Krieges in Deutschland heute nicht mehr sehen, weil er dort nicht gewesen ist."
    Während in den Nachbarländern nach 1918 also Gedenksteine eingeweiht und der 11. November, der Tag des Waffenstillstandes, zum Nationalfeiertag erklärt wurde, debattierten Politiker und Historiker in Deutschland noch Jahrzehnte nach Kriegsende kontrovers über Kriegsschuld, Gedenken und Dolchstoßlegende. Am Ende folgte kein gemeinsames Erinnern, sondern eine Leerstelle. Bis heute, moniert Gerd Krumeich.
    "Ich plädiere auch nicht dafür, das wieder einzuführen, das wäre lächerlich, Du kannst kein Fest einführen, wo keiner hingeht. Aber wir müssen wissen und unsere Politiker müssen einfach wissen, dass das in den anderen Nationen so ein zentraler Moment ist und dass sie ihrer Millionen Kriegstoten von 1914-18 gedenken.
    Und dass da eine Form der Teilnahme und Anteilnahme Deutschlands gefragt sei. Doch in der Bundeshauptstadt fühlte sich lange niemand so wirklich zuständig. Vor zwei Jahren hat das Auswärtige Amt zwar einen "Sonderbeauftragten für die Gedenkveranstaltungen zum Beginn des Ersten Weltkriegs" ernannt, ein eigenes Konzept für etwaige Feierstunden und Veranstaltungen aber gibt es nicht. Im Gegenteil. Wer wissen will, was in Deutschland geplant ist, muss sich durchtelefonieren. Das Bundespräsidialamt, das Bundeskanzleramt und das Auswärtiges Amt planen wenn, dann separat voneinander, die anderen Ministerien verweisen auf das Steinmeier Ministerium und auch die Bundesländer untereinander haben sich nicht vernetzt. Andreas Meitzner, der besagte Sonderbeauftragte, erklärt das so:
    "Wir haben eine föderalistische Struktur, wir haben eine dezentrale Struktur von Haus aus, wir haben vor allen Dingen auch keine Politik, wo wir Geschichtspolitik von uns aus betreiben wollen, sondern überlassen das doch der Ebene der Länder, der Gemeinden und der Zivilgesellschaft. Da ist so viel geplant worden, ohne dass es einer zentralen Steuerung bedurft hätte, und das ist auch ein Beweis für die Effizienz und die Reife unserer Gesellschaft."
    Vielleicht ist es in diesem Zusammenhang nur konsequent, das lange nicht klar war, an welchen Veranstaltungen Bundeskanzlerin Angela Merkel teilnehmen würde. Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat immerhin relativ früh im Gedenkjahr die hauseigene Veranstaltungsreihe eröffnet, die noch einmal bewusst gemacht hat, wie zeitgemäß die Auseinandersetzung mit der europäischen Urkatastrophe noch heute ist. "Hundert Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkrieges ist die Frage von Krieg und Frieden oder von Einheit und Spaltung unseres Kontinents wieder zurückgekehrt."
    Mit der Ukraine-Krise. Historiker Krumeich ist auch Mitglied im wissenschaftlichen Beirat der französischen Regierungsmission zum Centenaire. Er findet, es reiche nicht, sich in Vortragsreihen, Kunstausstellungen und Theaterprojekten mit dem Ersten Weltkrieg zu beschäftigen. Es gehe darum, auch die richtigen Worte zu finden. Dafür, dass Deutschland anders gedenkt und seine Nachbarn dennoch versteht:
    "Das ist wichtig, dass die anderen sich da verstanden fühlen. Wir Deutschen haben mit ihrem Totengedenken zu tun."
    Der Bundespräsident und das Weltkriegsgedenken
    Die Frau des britischen Prinzen William, Herzogin Kate, Frankreichs Präsident Francois Hollande, Belgiens Königin Mathilde, Belgiens König Philippe und Bundespräsident Joachim Gauck nehmen in Lüttich an den internationalen Gedenkfeierlichkeiten zum 100. Jahrestag des Beginns des Ersten Weltkriegs teil.
    Teilnehmer der Gedenkfeier zum 100. Jahrestag des Beginns des Ersten Weltkriegs, ganz rechts Bundespräsident Gauck (picture alliance / dpa / Maurizio Gambarini)
    Bundespräsident Joachim Gauck war der erste, der sich des Weltkriegsgedenkens annahm. Am 3. August, auf den Tag genau 100 Jahre nach Kriegsausbruch, traf Gauck mit dem französischen Staatspräsidenten Hollande zusammen, am Hartmannsweilerkopf, an der einst so schwer umkämpften Bergkuppe im Elsass. 30.000 Soldaten sind hier im Ersten Weltkrieg gefallen. Vielleicht würde es wieder zu einer großen Geste kommen, mutmaßten einige. Eine Geste wie einst bei Kohl und Mitterrand in Verdun, als sie sich schweigend an den Händen hielten. Ein Bild, das in die Geschichte einging, als Zeichen einer überwundenen Erbfeindschaft und einer neuen, engen Kooperation. Gauck und Hollande umarmten einander innig und lobten die Aussöhnung der beiden Länder, als Vorbild, auch für aktuelle Konflikte.
    Außerdem folgte Gauck einer Einladung des belgischen Königs zu einer Gedenkveranstaltung im Nachbarland. Auf die Termine des Bundespräsidenten verweist auch der Sonderbeauftragte Andreas Meitzner. Er glaubt:
    "Dieses gemeinsame Gedenken schafft nicht nur eine Gemeinsamkeit in der Erinnerung, sondern auch in der Arbeit für die Zukunft."
    Piet Chielens sitzt im Erdgeschoss der rekonstruierten Tuchhalle im belgischen Ypern, dort, wo vor einhundert Jahren einige der großen Schlachten wüteten. Als Koordinator des "In Flanders Fields Museums" hat Chielens die Planungen in Belgien, Großbritannien, Frankreich und Deutschland mit Interesse verfolgt. Und mit Ernüchterung:
    "Wir müssen eine neue Stufe der Erinnerung erreichen. Die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union sollten die Kommission oder das Parlament drängen, eine große europäische Initiative auf den Weg zu bringen. Dass sie das noch nicht getan haben, ist enttäuschend! Europa ist als Thema nicht gerade populär. Auch das ist enttäuschend, denn damit fallen wir weit hinter das Ziel dieser Europäischen Gemeinschaft zurück, die wir geworden sind, um zu verhindern, dass sich die Geschichte wiederholt."