Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Europa und die Flüchtlingsfrage
"Wir werden eine ordentliche Portion Geld aufbringen müssen"

Der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jürgen Hardt, hat sich für eine Verlängerung der EU-Rettungsmission "Sophia" im Mittelmeer ausgesprochen. Die größte Herausforderung der nächsten Jahre sei es jedoch, die Fluchtursachen zu bekämpfen, sagte er im Dlf. Dafür brauche es viel guten Willen - und viel Geld.

Jürgen Hardt im Gespräch mit Mario Dobovisek | 18.07.2017
    Der CDU-Bundestagsabgeordnete Jürgen Hardt
    Der CDU-Bundestagsabgeordnete Jürgen Hardt (dpa/picture alliance)
    Hardt begrüßte den auf dem G20-Gipfel beschlossenen "Compact with Africa", der lokale Unternehmenspartnerschaften fördern soll. Damit könne eine nachhaltige Wirkung vor Ort erzielt werden. Es brauche eine langfristige, erfolgreiche Strategie, um die Flüchtlingszahlen zu begrenzen.
    Hardt geht davon aus, dass es bei "Sophia" eine Einigung geben wird. Derzeit blockiert Italien die Verlängerung der Mission, die Ende Juli ausläuft. Er zeigte Verständnis für Rom: Einzelne Länder dürften nicht die Hauptlast der Flüchtlinge tragen.
    Der CDU-Politiker sprach sich gegen die Einführung einer festen Obergrenze für Flüchtlinge aus. Das könne einen "Wettlauf" nach Deutschland auslösen, sagte Hardt. Eine mögliche Regierungsbildung mit der CSU nach der Bundestagswahl werde daran aber nicht scheitern. Die CSU hatte die Obegrenze in ihren Bayernplan festgeschrieben.

    Das Interview in voller Länge:
    Mario Dobovisek: Wir wollen in den kommenden Minuten über Flüchtlinge sprechen, denn es gibt gleich mehrere aktuelle Nachrichten, die wir aufgreifen wollen. Die CSU beschließt in ihrem Bayernplan gestern Nachmittag die Obergrenze. Italien blockiert die EU-Rettungsmission für der libyschen Küste, bei der allein die deutsche Marine nach eigenen Angaben bislang rund 21.000 Menschen gerettet hat. Und weiter sträuben sich vor allem die mittel- und osteuropäischen Staaten wie Ungarn, Tschechien, Polen und die Slowakei gegen die Aufnahme von Flüchtlingen - Stichwort Flüchtlingsverteilung, für die nach wie vor kein funktionierender Kompromiss gefunden werden konnte. Allein in Italien sind in diesem Jahr über das Mittelmeer rund 90.000 Flüchtlinge angekommen. Die Regierung in Rom ruft deshalb immer lauter um Hilfe. - Am Telefon begrüße ich Jürgen Hardt. Er ist außenpolitischer Sprecher der Unions-Fraktion im Bundestag, selbst CDU-Politiker. Guten Morgen, Herr Hardt.
    Jürgen Hardt: Guten Morgen.
    Dobovisek: Zunächst der Blick nach Deutschland, bevor wir ihn weiten wollen. Ich möchte Ihnen kurz mal eine Textzeile vorlesen: "Die seit langem geforderte Obergrenze von 200.000 Flüchtlingen pro Jahr für Deutschland ist notwendig, um eine gelingende Integration zu gewährleisten." – Herr Hardt, kommt Ihnen das bekannt vor?
    "Wir müssen die Zahl der nach Deutschland kommenden Flüchtlinge schon begrenzen"
    Hardt: Wir haben ja in den vergangenen zwei Jahren häufig über diese Frage diskutiert. Einigkeit besteht, glaube ich, unter allen demokratischen Kräften in Deutschland, dass wir die Zahl der nach Deutschland kommenden Flüchtlinge schon begrenzen müssen, wenn wir ihre Integration vernünftig bewerkstelligen wollen. Unterschiedlicher Auffassung sind wir auch innerhalb der Union, vielleicht insbesondere zwischen CSU und CDU über die Frage, was eine solche Obergrenze als Signal für eine Wirkung hat. Die CSU vertritt die Auffassung, dass die Wirkung in die eigene Bevölkerung hinein eine positive ist, dass man den Menschen damit das Gefühl gibt, die Dinge beherrschbar zu halten. Ich glaube hingegen, vielleicht auch die Bundeskanzlerin, dass eine solche Obergrenze eher quasi ein Ansporn für einen Wettlauf nach Deutschland sein könnte, so nach dem Motto, wir müssen nach Deutschland kommen als Flüchtling, bevor Deutschland die Grenzen dicht macht, weil es eine Obergrenze gibt. Das hätte dann den gegenteiligen Effekt, den wir uns erhoffen.
    Dobovisek: Jetzt steht die Obergrenze allerdings schwarz auf weiß im Bayernplan und CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer sagt, eine Garantie sei eine Garantie. Wie wollen Sie unter diesen Vorzeichen, wenn es denn die Stimmen zulassen, nach September gemeinsam weiterregieren?
    Hardt: Es wird mit Sicherheit an dieser Frage mit Blick auf eine Regierungsbildung von CDU und CSU nicht scheitern. Ich glaube, dass die CSU ihren wesentlichen Beitrag dazu geleistet hat, dass wir das Thema Flüchtlingspolitik in Deutschland in den letzten Monaten doch so in den Griff bekommen haben, dass die Menschen auch bei mir im Wahlkreis und andernorts in Deutschland das Gefühl haben, dass das Thema doch ein Stück weit besser im Griff ist, als das vor zwei Jahren der Fall war.
    Dobovisek: Aber ist die Obergrenze im Bayernplan dann bloß Folklore?
    "Die Zahl der Flüchtlinge, die nach Europa kommen, ist begrenzbar"
    Hardt: Ich glaube, dass die bayerischen Wählerinnen und Wähler sehr genau wissen, wie der Dialog, wie der Streit über diese Frage in den letzten Monaten gelaufen ist, dass sie darauf vertrauen, dass die CSU eine starke Kraft sein wird, die bei diesem Thema Flüchtlinge und Flüchtlingsintegration ein besonderes Augenmerk darauf richtet. Ich glaube aber, dass wir insgesamt mit der Politik, die wir ja gemeinsam verantwortet haben in den letzten Monaten, sehr erfolgreich waren und dass wir gut beraten sind, das fortzusetzen.
    Dobovisek: Bei der Obergrenze geht es ja um die in Deutschland ankommenden Flüchtlinge. Verfolgen wir deren Weg ein paar Stationen zurück, dann landen wir bei vielen von ihnen in Italien, das allein in diesem Jahr über das Mittelmeer schon rund 90.000 Flüchtlinge aufgenommen hat. Jetzt haben die EU-Außenminister gestern Sophia, die EU-Rettungsmission vor der libyschen Küste ausgesetzt. Italien hat sie blockiert. Können Sie Roms Blockade nachvollziehen?
    Hardt: Sophia läuft natürlich weiter bis Ende Juli. So lange ist das Mandat erteilt. Der Deutsche Bundestag hat es im Übrigen bereits verlängert. Ich gehe davon aus, dass Frau Mogherini und die anderen es noch hinkriegen, dass wir in den nächsten Wochen auch eine Einigung erzielen. Aber es ist schon eine Erinnerung an das, was wir vor drei, vier Jahren erlebt haben. Da hat Italien immer wieder Richtung Europa, Richtung Europäische Union gesagt, helft uns, die Zahl der Flüchtlinge steigt an, und da haben alle anderen Europäer, ich glaube auch Deutschland, sich zu hartherzig gegenüber den italienischen Anfragen und Anforderungen gezeigt, weil in dem Dublin-III-Verfahren festgelegt ist, dass diejenigen Flüchtlinge dort Asyl beantragen sollen, wo sie zuerst ihren Fuß auf europäischen Boden setzen, und das ist bei den Bootsflüchtlingen Italien. Diese Regelung hat sich nicht bewährt und wenn die Europäische Union jetzt nicht tatsächlich auch Solidarität zeigt und einen vernünftigen Mechanismus findet, mit dem Italien leben kann, einmal, dass Italien finanziell geholfen bekommt, aber zum anderen auch vielleicht kontingentweise Flüchtlinge abgenommen bekommt, dann sind wir wieder da, wo wir vor drei Jahren waren, und das finde ich schade. Ich glaube, wir haben doch alle gelernt, dass die Zahl der Flüchtlinge, die nach Europa kommen, durchaus begrenzbar und beherrschbar ist, aber dass wir natürlich dann das Problem besonders gut in den Griff bekommen, wenn wir es gemeinsam machen und gerecht verteilen und nicht auf einzelne Länder, so wie das ja in Deutschland der Fall war, aber auch in Italien, die Hauptlast zukommen lassen.
    Dobovisek: Statt der Rettungsmission sollen jetzt Liefereinschränkungen für Schlauchboote und Außenbordmotoren nach Libyen gelten. Klingt irgendwie ziemlich hilflos für mich. Für Sie auch?
    "Libyen selbst ist ein Sonderproblem"
    Hardt: Das ist zumindest mal mehr als gar nichts. Ich glaube allerdings auch, da gebe ich Ihnen recht, dass das nicht die Maßnahme sein wird, die das Problem wirklich löst. Ich glaube, dass wir überhaupt, was Libyen angeht und was Afrika angeht, eine langfristige erfolgreiche Strategie brauchen, die dafür sorgt, dass die Menschen in diesen Ländern - viele von denen, die in Libyen in die Boote steigen, sind ja nicht Libyer, sondern Menschen, die von weiter südlich in Afrika kommen -, dass wir Strategien brauchen, den Menschen das Gefühl zu geben, dass sie eine gute Zukunft im Land haben. Und da, glaube ich, ist das, was die Kanzlerin auf dem G20-Gipfel angestoßen hat, der Compact für Afrika, dass wir Partnerschaften mit Ländern Afrikas eingehen, so wie Deutschland zum Beispiel mit Mali, dass wir dafür sorgen, dass dort mit wirklich massiver wirtschaftlicher und finanzieller Hilfe unterstützt wird, sodass die Menschen dort das Gefühl haben, ihren Kindern wird es eines Tages im eigenen Land besser gehen als ihnen selbst. Diese Strategie ist die große Herausforderung der nächsten Jahre und wir werden meines Erachtens viel guten Willen, aber auch eine ordentliche Portion Geld aufbringen müssen, um dort eine nachhaltige Lösung zu finden. Libyen selbst ist ein Sonderproblem, von dem wir gehofft haben, dass wir es zum jetzigen Zeitpunkt schon besser gelöst hätten. Wir können aber im Augenblick nicht sagen, dass wir in Libyen Situationen in den Flüchtlingslagern haben, die wir so akzeptieren können. Auch da müssen wir dafür sorgen, dass die Regierung der nationalen Einheit in die Lage versetzt wird, die Flüchtlinge ordnungsgemäß zu behandeln, damit die Menschen nicht den Schleppern zum Opfer fallen und in diese wackeligen Boote steigen für tausende von Dollar, um dann auf diesen sehr gefährlichen Seeweg nach Europa zu gehen.
    Dobovisek: Die Forderung bleibt, mit relativ viel Geld die Fluchtursachen zu bekämpfen - sicherlich eine Aufgabe der nächsten Jahre, wie Sie sagen. Gucken wir uns die Situation jetzt noch einmal an. Jetzt wird die Rettungsmission, die offizielle, möglicherweise auf Eis gelegt. Es gibt aber auch noch viele private Organisationen im Mittelmeer, die wieder in die Kritik geraten, sie würden ihre Transponder illegal abstellen und in libysche Gewässer vordringen. So berichtet es der italienische Innenminister. Welche Rolle spielen aus Ihrer Sicht Sea-Watch, Ärzte ohne Grenzen und die anderen im Mittelmeer?
    "Ich gehe davon aus, dass Sophia fortgesetzt wird"
    Hardt: Angesichts des Elends der Menschen im Mittelmeer kann ich jeden gut verstehen, der sagt, man muss doch etwas tun und man muss vielleicht auch mehr tun als das, was die offiziellen Organisationen, UN oder Europäische Union tut. Ich glaube allerdings, dass wir mit der Operation, die wir im zurzeit durchführen, Sophia, wo ein deutscher Tender dran beteiligt ist - Sie haben die Zahl genannt; 21.000 in Seenot befindliche Flüchtlinge sind bereits von deutschen Schiffen geborgen worden -, dass das der bessere und der zuverlässigere Weg ist,…
    Dobovisek: Der aber nun mal infrage steht. Deshalb noch mal die Frage: Welche Bedeutung haben die privaten Nichtregierungsorganisationen?
    Hardt: Jetzt warten wir mal ab, was Ende Juli tatsächlich passiert. Ich gehe davon aus, dass Sophia fortgesetzt wird. Ich gehe davon aus, dass dies für die Menschen, die schiffbrüchig sind in diesem Seegebiet, auch die beste und zuverlässigste Hilfe sein wird. Immerhin sind diese Schiffe ja ausgestattet mit medizinischen Möglichkeiten und mit entsprechenden Kapazitäten, um auch große Zahlen von Menschen aufzunehmen. Ich glaube, dass wir darauf vertrauen sollten, dass wir das auf eine offizielle und geregelte Weise hinkriegen, wenngleich ich glaube, dass jeder, der sagt, ich muss etwas tun, und sich an die internationalen Regeln des Seerechts hält, auch mit hoher moralischer Autorität selbst etwas unternehmen kann. Das will ich überhaupt nicht kritisieren. Ich glaube nur, dass Sophia fortgesetzt werden muss.
    Dobovisek: Also Menschen gemeinsam retten, ob privat oder mit der Marine?
    Hardt: Ich glaube, dass in der Praxis vor Ort die Zusammenarbeit vielleicht auch relativ gut funktioniert, ohne dass wir da groß drüber reden.
    Dobovisek: Jürgen Hardt, außenpolitischer Sprecher der Unions-Fraktion im Bundestag. Ich danke Ihnen für das Interview.
    Hardt: Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.