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Europa und die Golf-Krise
„Aufs falsche Pferd gesetzt“

Nach der gezielten Tötung des iranischen Generals Soleimani durch die USA suchen die EU-Staaten nach einer gemeinsamen Antwort auf die Eskalation am Golf. Bislang „verwaltet Europa hier seine Machtlosigkeit“, analysiert der Politikwissenschaftler Jan Techau vom German Marshall Fund.

Jan Techau im Gespräch mit Andreas Noll | 06.01.2020
Die Flaggen des Iran und der EU nebeneinander.
Die Flaggen des Iran und der EU (AFP / Emmanuel Dunand)
Andreas Noll: Seit 2014 sind französische Soldaten im Irak im Kampf gegen den IS aktiv. "Operation Chammal" haben sie ihren Einsatz gegen IS-Terroristen genannt. Man könnte das auf Deutsch mit "Operation irakischer Nordwind" übersetzen. Doch der Wind aus dem Norden, er bläst nicht mehr. Die Militäroperation mit mehreren hundert Soldaten und zahlreichen Kampfflugzeugen ist ausgesetzt, seit eine US-Drohne den iranischen General Suleimani gezielt getötet hat. Auch Bundeswehrsoldaten haben ihre Aktivitäten in der Anti-IS-Mission im Irak gestoppt. In Berlin fragt man sich, ob es für die Bundeswehr dort überhaupt weitergehen kann. Das irakische Parlament hat gestern nämlich mit großer Mehrheit den Abzug aller ausländischen Truppen aus dem Land gefordert. Parallel dazu hat Iran angekündigt, sein Atomprogramm unbegrenzt weiterzuführen. Viel Arbeit also für die Krisendiplomatie. So sieht es auch der deutsche Außenminister:
"Die Europäer haben nach beiden Seiten offene und funktionierende Gesprächskanäle, die zurzeit auch genutzt werden, und wir werden unseren Teil dazu beitragen, dass es im Irak keinen Stellvertreterkrieg anderer Länder gibt."
Noll: Außenminister Heiko Maas heute Morgen in Deutschlandfunk. In Berlin bin ich jetzt verbunden mit Jan Techau. Er leitet das Europaprogramm des German Marshall Fund, einer unabhängigen US-amerikanischen Stiftung. Herr Techau, mäßigend auf beide Seiten einwirken, sagt der deutsche Außenminister. Ist das die Reaktion, die Washington von seinen Verbündeten in Europa jetzt erwartet?
Jan Techau: Ich glaube, dass die Amerikaner von den Europäern insgesamt eigentlich gar nicht besonders viel erwarten. Sicher nicht, dass sie mäßigend auf Amerika einwirken. Aber überhaupt die Rolle Europas wird von Amerika in der Region, glaube ich, nicht sehr hoch bewertet. Das muss man ganz klar sehen. Was die Amerikaner erwarten, wenn sie etwas erwarten, dann ist es, dass Europa sich sehr viel stärker, wenn es auf die Region und auf Iran schaut, auf die Rolle des Iran und seine Stellvertreterkriege in der Region konzentriert, also auf diese destabilisierende Rolle des Irans in der Region. Das kommt den Amerikanern in der europäischen Sichtweise immer zu kurz, dass eben im Jemen, dass im Libanon, in Syrien, in Irak und auch im Gazastreifen Iran ganz knietief in den Konflikten steckt und dort destabilisiert. Die Europäer sprechen immer über das Atomabkommen, und Amerika hätte gerne eine strategischere Sicht der Europäer auf die Gesamtregion.
"Europas politischer Einfluss ist sehr, sehr gering"
Noll: In den vergangenen Monaten hatte man eher den Eindruck, dass die Europäer auf der arabischen Halbinsel ja vor allem Zuschauer waren. Worin könnte nun die wichtige Rolle bestehen, von der jetzt die EU-Außenminister, aber auch die Staats- und Regierungschefs sprechen?
Techau: Zunächst einmal geht es tatsächlich um das, was die Amerikaner da erwarten, was ich eben formulierte. Europa muss im Grunde eine Rolle finden, wie es in der Region einen Gesamtstabilitätsansatz findet. Wie kann es die wenigen Instrumente, die es hat, von seinen diplomatischen Fähigkeiten, das hat der Außenminister gerade gesagt, über seine Marktkraft bis hin zu den geringen militärischen Fähigkeiten einbringen, um in der Region nicht nur punktuell zu wirken, sondern insgesamt zu wirken, und das ist für die Europäer die große Herausforderung. Sie sind ein ganz, ganz großer Geldgeber in der Entwicklungszusammenarbeit. Sie haben auch Marktkräfte durch ihren großen Binnenmarkt, der in der Region nicht ganz irrelevant ist, aber sie schaffen es nicht, das Ganze in geopolitischen Einfluss in der Region umzusetzen und die Akteure dort sozusagen zu einer anderen Politik zu bewegen. Solange Europa diesen Muskel nicht hat und nicht in der Lage ist, seinen Einfluss auch tatsächlich dort geltend zu machen, wird sein diplomatischer, sein politischer Einfluss ganz einfach sehr, sehr gering bleiben, und solange das so ist, wird man zusehen müssen, wie andere Akteure in dieser Region, ob es die Amerikaner sind oder die Iraner, im Grunde in dieser Region so schalten und walten. Das ist deswegen ja so besonders misslich, weil Europa so unmittelbar betroffen ist von den Dingen, die dort passieren. Hier verwaltet Europa im Grunde seine Machtlosigkeit. Wie es da rausbrechen kann wird die große Frage sein in der gesamten Außenpolitik Europas in den nächsten Jahren.
"Das Atomabkommen ist tot"
Noll: Stichwort Machtlosigkeit: das iranische Atomprogramm. Der deutsche Außenminister hat heute früh hier im Deutschlandfunk eine gemeinsame Reaktion der Europäer angekündigt. Haben die Europäer überhaupt noch Möglichkeiten, das Atomabkommen, das der EU ja lange so wichtig war, zu retten?
Techau: Nein, das haben die Europäer aus meiner Sicht nicht. Sie hatten das schon nicht zu dem Zeitpunkt, als die Vereinigten Staaten, also Präsident Trump entschieden hatte, dort auszusteigen. Jetzt, wo sich die Iraner auch an dieses Abkommen nicht mehr gebunden fühlen, ist das Abkommen tot, also noch toter als es ohnehin vorher schon war. Die große Frage ist, ob die Nuklearfrage überhaupt die entscheidende in der Region ist oder ob die Europäer hier nicht eigentlich immer im Grunde auf das falsche Pferd gesetzt haben und aufgrund ihrer Machtlosigkeit sozusagen diesen diplomatischen Vorstoß in den Mittelpunkt ihrer Aktivitäten gestellt haben und vergessen haben, dass ja in der Region ein ganz knallharter Krieg um Hegemonialkraft, also um iranische Dominanz in der Region herrscht, auch um eine Einkreisungsstrategie um Israel herum und auch um eine konfessionelle Spaltung zwischen Schiiten und Sunniten und dass die eigentlichen Antriebskräfte für diesen nicht enden wollenden Konflikt vor Ort sind, und die Europäer mit ihrer verständlichen Fokussierung auf das Nuklearabkommen sehen immer so ein bisschen aus, als würden sie bei einer so großen Gemengelage sich immer nur den Teil rausgucken, bei dem sie tatsächlich ein bisschen was beitragen können.
Noll: Noch ganz kurz zu der Frage, gehen Sie davon aus, dass Europa in dieser Krise dauerhaft mit einer Stimme sprechen wird?
Techau: Also im Moment sind die Europäer relativ geschlossen, aber geschlossen eben in der Ablehnung, in der Ablehnung dieser amerikanischen Maßnahme. Das ist ja immer etwas leichter als geschlossen zu sein in einer konstruktiven Politik, die auf etwas hinzuarbeitet, also einen eigenen Plan hat, eine eigene Ordnungsvorstellung hat. Solange von den Europäern sozusagen nur die Ablehnung gefordert wird, können sie vermutlich relativ einheitlich sprechen. Sobald es darum geht, tatsächlich in der Region aktiv zu werden und selbst auch dort eigene Interessen einzubringen und im Sinne eines allgemeinen sozusagen Wohls vor Ort tätig zu werden, wird diese europäische Position wahrscheinlich relativ schnell zerbröckeln.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.