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Europa zwischen China und USA
"Wir müssen stärker an der Seite der USA stehen"

Europa sollte sich handels- und sicherheitspolitisch besser an die Seite der USA stellen, sagte der Politologe Christian Hacke im Dlf. Der Kontinent drohe sonst zwischen Amerika und China "eingesandwicht" zu werden.

Christian Hacke im Gespräch mit Philipp May | 08.06.2019
Der Politologe Christian Hacke
Der Politologe Christian Hacke (dpa / picture alliance / Stephan Persch)
Philipp May: Am Telefon ist jetzt der Politikwissenschaftler und USA-Experte Christian Hacke. Herr Hacke, schönen guten Tag!
Christian Hacke: Seien Sie gegrüßt, Herr May!
May: Ist das ein Sieg für Donald Trump?
Hacke: Auf den ersten Blick auf jeden Fall. Er wird damit innenpolitisch enorm punkten, gerade in den süd- und südwestlichen Staaten, also den Border States zu Mexiko. Er wird auch wirtschaftlich die eigene Wirtschaft natürlich dadurch auch beruhigen und in gewisser Weise stärken, und er wird sich als starker Mann damit auch zeigen, und gleichzeitig natürlich setzt er auch ein negatives Signal.
Regelbasierte und machtbasierte Weltwirtschaftsordnung
Das ist grundsätzlich, das dürfen wir nicht vergessen, denn wir haben ja bei ihm die Personifizierung einer Veränderung, die ganz gravierend ist, nämlich die internationale Handelspolitik basierte bisher auf etablierten Institutionen, wo auch die Probleme gelöst wurden wie bei der WTO, und jetzt geht er nationalistisch vor. Wir sehen einen zentralen Wandel von der regelbasierten Weltwirtschaftsordnung zur machtbasierten, und er nutzt diese Macht aus, und Amerika ist ja immer noch die führende Wirtschaftsmacht.
May: Es klang ja auch gerade in dem Beitrag an. Was passiert denn, wenn weiter ungebrochen Migranten in den USA anlanden? Kommen dann wieder Strafzolldrohungen Richtung Mexiko, das geht jetzt immer so weiter dann?
Hacke: Das muss man sehen, das muss man abwarten. Auf jeden Fall hat er ein Zeichen gesetzt, was nun auch Mexiko erkannt hat, und sie tun ja jetzt was. Das muss man erst abwarten, was passiert. Sie tun was, um diese Grenzen zu sichern, und wir sollten als Europäer und als Deutsche ein bisschen bescheiden sein. Wir haben ja eigene Migrationsprobleme von Nordafrika nach Europa. Die sind nicht völlig vergleichbar mit den Problemen in Lateinamerika und in Nordamerika, aber wir haben diese Probleme auch nicht sonderlich gut gelöst und sollten vorsichtig sein bei unseren Beurteilungen jetzt wie das Trump macht und wie es dort in der Region gemacht wird. Es ist nicht alles sehr beruhigend, aber er punktet innenpolitisch und wirtschaftspolitisch auch.
Neuer Grenzmythos "verändert amerikanische Psyche"
Lassen Sie mich ein zweites Grundsätzliches sagen im Wandel des amerikanischen Selbstverständnisses, was er personifiziert: Wir haben ja etwas gehabt über Jahrhunderte, das nannte man die New Frontier, die neue Grenze. Also dieser Frontier-Mythos, seit dem vergangenen Jahrhundert oder vorvergangenen, personifizierte Optimismus, und dieser Optimismus hat sich jetzt unter Trump verändert. Es entsteht ein protektionistischer Grenzmythos, also from the frontier to the border auf Neudeutsch gesagt, und diese neue Abschottungsphilosophie, dieser neue Grenz-Border-Mythos, also Grenze als Verteidigungslinie, das ist etwas Neues und verändert auch die amerikanische Psyche, ob zum Guten oder zum Schlechten, das müssen wir abwarten, aber ich möchte nur auf diese Veränderung hinweisen.
May: Das heißt, wir sollten das möglicherweise in Europa übernehmen, diesen Mythos, –
Hacke: Das habe ich nicht gesagt.
May: – und Strafzölle in Richtung Türkei zum Beispiel drohen?
Hacke: Nein, das habe ich damit nicht gesagt. Ich versuche nur zu beschreiben. Ich versuche nur zu beschreiben, und das Beschreiben und Analysieren ist erst mal das Wichtigste. Ich gebe hier keine Ratschläge.
Trump war die Reaktion auf naiven Optimismus
May: Okay, aber das heißt, das Recht des Stärkeren, das ist jetzt endgültig angekommen in der Außenpolitik, in der weltweiten Außenpolitik.
Hacke: Das ist bitter, aber vergessen Sie nicht, ich hätte beinah salopp gesagt: Sympathischer Präsident macht nicht gleich gute Politik – Stichwort Obama –, und unsympathischer muss nicht automatisch schlechte Politik machen – siehe Trump. Das ist alles komplizierter. Trump war die Reaktion auf naiven Optimismus, dass alle von der Globalisierung profitieren. Die Welt ist ein großes Dorf, die Geschichte kommt an ihr Ende, wir alle haben es jetzt schon schön und gut – das ist so nicht gewesen, und er hat mit diesen Träumen zum Teil aufgeräumt. Gerade weil die Amerikaner auch der Auffassung waren, oder viele Amerikaner, dass sie von der Globalisierung eben nicht profitieren, haben sie ihn gewählt. Also er ist Reaktion auf Probleme vor ihm, und gleichzeitig schafft er neue, das muss man klar sehen.
May: Das heißt, er steuert politisch, wenn auch seine Steuerung, na ja, gewöhnungsbedürftig ist? Ist das ein Plädoyer für mehr politische Steuerung?
Hacke: Also, Herr May, es wäre ja schön, wenn wir klar wüssten, wo die Amerikaner unter Trump hinsteuern. In Wirklichkeit ist diese Administration tief gespalten, wenn wir über das Handelspolitische hinausgehen. Wenn wir das handelspolitisch sehen, mit Blick auf China wäre das auch ein Bereich, wo eigentlich die Zustimmung der USA groß ist und zum Teil auch die europäische Zustimmung zu seinen harschen Maßnahmen durchaus größer sein könnte.
"Tiefe Zersplitterung" in der US-Regierung
Aber wenn Sie jetzt ins andere Feld gehen der Sicherheitspolitik – Stichwort Iran, Stichwort Venezuela, Beziehung zu Russland, Nordkorea –, da sind ja jetzt die Hardliner am Reden. Bolton, der Sicherheitsberater, der Außenminister Pompeo, das sieht ja nun nicht aus, als ob das die originäre Handschrift von Trump wäre, der ja eher protektionistisch handelt und der sich eigentlich eher mit Russland ursprünglich aussöhnen wollte. Hier haben Sie tiefe Zersplitterung innerhalb der Administration, was es noch schwieriger macht zu beurteilen, was wird in der Zukunft passieren.
May: Was heißt das für Deutschland beziehungsweise die EU?
Hacke: Ja, das ist natürlich die Schlüsselfrage, und wenn ich sie Ihnen beantworten könnte, würde ich viel Geld verdienen. Also, ich glaube erst mal, die Hauptgefahr besteht darin, dass wir nicht klar sehen, was handelspolitisch und gesamtpolitisch aus unserer Rolle möglich ist. Handelspolitisch, glaube ich, die EU könnte durchaus ein internationaler Akteur sein, wenn er noch geschlossen auftritt. Zusammen auch mit Japan sind wir handelspolitisch stark.
Wenn wir das Politische nehmen, Sicherheitspolitische, fallen wir völlig auseinander. Europa, da würde ich sagen, das ist organisierte Trostlosigkeit mit Blick auf gemeinsames Handeln in Außen- und Sicherheitspolitik. Wir drohen in eine Situation zu kommen, dass wir eingesandwicht werden – das ist nicht besonders schön ausgedrückt: Auf der einen Seite des Sandwiches drücken die Amerikaner auf uns, handelspolitisch, Streit NATO-Frage, ähnliches mehr, und auf der anderen Seite ist natürlich China die neue starke Macht, mit der wir uns arrangieren müssen.
Und wie immer wissen wir nicht genau wohin, und Deutschland will es wie immer allen recht machen, und damit machen wir es keinem recht.
"Die Amerikaner haben die Macht"
May: Wem sollten wir es denn recht machen, Trump oder China?
Hacke: Also ich glaube, handelspolitisch müssten wir sehr viel stärker an der Seite von Donald Trump und den USA stehen. Das, was jetzt gegenüber China passiert, hat ja eine lange Vorgeschichte. Das unfaire Verhalten der Handelspraktiken von China ist ja schon lange in den Zeiten vor Trump losgegangen, und er ist der erste, der jetzt darauf energisch reagiert hat. Das war notwendig. Inwieweit das alles richtig ist, ist eine andere Frage.
May: Nur wie leicht ist es, an der Seite von jemandem zu stehen, der einen selbst mit Handelssanktionen ständig bedroht?
Hacke: Das ist natürlich eine schwierige Sache. Wenn wir in verschiedenen Fragen uns aufgeschlossener gegenüber den USA verhalten würden, würde das anders aussehen. Die Amerikaner haben – und das ist die Realität – die Macht, sie haben die Übermacht im Bündnis, und dieser neue Nationalismus, America first, wird brutal ausgespielt. Also können wir nur klug reagieren, das heißt, wir sollten uns da anpassen, wo es in unserem eigenen Interesse ist, an der Seite der USA zu stehen, also sicherheitspolitisch, und hier auch handelspolitisch, auch in der Iran-Frage, da sind diese Vorschläge von einer kleinen unabhängigen Agentur, die den Handel mit Iran regeln sollte aus der EU, da geht ja keiner hin von den großen Wirtschaftsunternehmen, das ist alles Pipifax.
"Stärker an der Seite der USA stehen"
Wir müssen hier stärker an der Seite der USA stehen, hätten dann auch sicherheitspolitisch – Stichwort NATO-Beiträge – mehr zeigen können, dass er recht gehabt hat. Dann gewinnen wir auch mehr Sympathien, und gerade wir Deutschen sind heute zum Hauptfeind der USA, also aus der Sicht von Donald Trump, mutiert, und da haben wir mit selbst Schuld. Also ein bisschen Bescheidenheit, bisschen mehr Selbstkritik bei uns wäre nötig, anstatt immer nur auf die charakteristischen Defizite des Präsidenten zu achten, die ich genauso sehe. Aber das darf uns nicht blind machen für die grundsätzlichen politischen Veränderungen, die er einleitet aus amerikanischer Sicht als Reformer, vielleicht auch als Revolutionär, und da muss man sich schon warm anziehen, wenn man sich gegen ihn stellen will.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.