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Europäer der ersten Stunde

Der Name Walter Scheel ist eng mit der Entspannungs- und neuen Ostpolitik der Bundesregierung nach 1969 verbunden. Er war Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Außenminister, Vizekanzler und Bundespräsident. Als einziger Politiker stand er zudem mit "Hoch auf den gelben Wagen" an der Spitze der deutschen Hitparade.

Von Otto Langels | 08.07.2009
    "Es ist schon ein eigen Ding, wenn man, in Solingen geboren, auf einmal mit Fug und Recht sagen kann: Ich bin ein Berliner."

    Erklärte Walter Scheel, als ihm gegen Ende seiner politischen Laufbahn die Ehrenbürgerschaft Berlins verliehen wurde.

    Geboren wurde Walter Scheel am 8. Juli 1919 als Sohn eines Stellmachers. Nach dem Abitur begann er eine Lehre zum Bankkaufmann und wurde dann in den Krieg geschickt, aus dem er als Oberleutnant der Luftwaffe heimkehrte.

    1946 trat Scheel in die Freie Demokratische Partei ein. Zwei Jahre später wurde er in den Stadtrat von Solingen gewählt, 1950 in den Landtag von Nordrhein-Westfalen und 1953 in den Deutschen Bundestag - der Beginn einer zielstrebigen und erfolgreichen politischen Karriere. Nicht zuletzt seinem Wirken verdankte es die FDP, dass sie jahrzehntelang als Koalitionspartner der CDU/CSU oder der SPD Regierungsverantwortung trug.

    In den 50er Jahren saß Walter Scheel nicht nur im Bonner, sondern zugleich auch im Europäischen Parlament. 1957 stimmte er als einziger FDP-Abgeordneter der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zu.

    "Ich bin also ein Europäer der ersten Stunde und einer, der von der Notwendigkeit der Einigung überzeugt ist."

    Walter Scheel gehörte innerhalb der FDP zu jenen Politikern, die gegen den nationalkonservativen Kurs aufbegehrten und eine liberale Linie vertraten. 1961 wurde er unter dem christdemokratischen Kanzler Konrad Adenauer Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit. In Zeiten der Opposition übernahm er 1968 den Vorsitz der FDP, leitete als geschickter Taktiker einen neuen außenpolitischen Kurs der Partei ein und bereitete ein Bündnis mit der SPD vor.

    Willy Brandt: "Wenn wir wollen, dass die Grenzen in Europa ihre die Menschen und die Völker trennende Funktion einbüßen, dann müssen wir zunächst einmal die bestehenden Grenzen zur Kenntnis nehmen, tatsächlich und politisch."

    Unter dem sozialdemokratischen Kanzler Willy Brandt war Walter Scheel Außenminister. Die erste sozial-liberale Koalition stellte eine Zäsur in der jungen bundesrepublikanischen Geschichte dar. In der Außenpolitik schlug die Regierung Brandt/Scheel durch die Ostverträge mit der Sowjetunion, Polen und der DDR neue Wege ein, die zu einem entspannteren Verhältnis zwischen beiden deutschen Staaten führten.

    Nicht zuletzt deshalb verlieh Dietrich Stobbe, der Regierende Bürgermeister von Berlin, Walter Scheel die Ehrenbürgerschaft der Stadt.

    "Sie haben in einer Zeit, die reif war für Veränderungen in der politischen Landschaft Deutschlands, klarsehend und entschlossen Chancen genutzt. Sie haben damit den Frieden in unserer Region sicherer gemacht."

    Als am 7. Mai 1974 Willy Brandt seinen Rücktritt erklärte, war Walter Scheel kurze Zeit geschäftsführender Bundeskanzler - bis zur Wahl des Bundespräsidenten:

    "In der Bundesversammlung am 15. Mai 1974 wurden im ersten Wahlgang insgesamt 1033 Stimmen abgegeben, davon für Herrn Walter Scheel 530 Stimmen."

    Walter Scheel pflegte als Nachfolger des "Bürgerpräsidenten" Gustav Heinemann einen neuen Stil. Ausländische Staatsgäste wurden mit großem militärischem Zeremoniell in der Villa Hammerschmidt begrüßt.

    Die repräsentative Amtsführung Walter Scheels spiegelte das gewachsene Selbstbewusstsein der Bonner Politik. Ein Vierteljahrhundert nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs war die Bundesrepublik zu einem respektierten Mitglied der Völkergemeinschaft geworden.

    Walter Scheel: "Wir haben unsere Lektion gelernt und damit unsere Pflicht gegenüber der Geschichte erfüllt. Hier liegt der tiefste Grund dafür, dass dieses Land heute wieder geachtet wird in der Welt."

    Walter Scheel, der joviale Rheinländer, der mit der Schallplattenaufnahme des Volkslieds "Hoch auf dem gelben Wagen" die Hitparade eroberte, war in der Bevölkerung beliebt. Die politischen Machtverhältnisse ließen allerdings eine zweite Amtszeit nicht zu. So schied er 1979 als 60Jähriger aus dem Amt, in einem Alter, in dem alle seine Vorgänger und Nachfolger sich erst anschickten, Bundespräsident zu werden.