Donnerstag, 28. März 2024

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Europäische Berichterstattung
Angstfrei in den Brexit

Der Großteil der europäischen Medien verfolgt den Brexit mit Interesse und Gelassenheit. Laut einem Bericht des Reuters-Instituts für Journalismus-Studien befürchten sie kaum negative Folgen für das eigene Land. Allerdings werde zu wenig über die Auswirkungen auf die Menschen berichtet, sagte Alexandra Borchardt vom Reuters Institut im Dlf.

Alexandra Borchardt im Gespräch mit Isabelle Klein | 03.07.2018
    Nach der Brexit-Entscheidung: Ein Mann hällt die Zeitung London Evening Standard in der Hand. Zu sehen ist das Titelblatt. Darauf steht: "We're Out", wir sind draußen.
    Nach der Brexit-Entscheidung: Titelblatt des London Evening Standard. (dpa / picture alliance / Jean Nicholas Guillo)
    Wie berichten europäische Medien über den Brexit – und worin unterscheiden sie sich? Dieser Frage ist ein Forschungsteam des Reuters-Instituts für Journalismus-Studien nachgegangen.
    Untersucht wurde die Brexit-Berichterstattung von September 2017 bis März 2018 in Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, Polen, Schweden, Griechenland und Irland. Als Daten-Grundlage dienten in jedem Land zwei Zeitungen, ein politisches Magazin, eine Fernsehsendung und ein Online-Medium.
    In Deutschland waren das Frankfurter Allgemeine Zeitung, Süddeutsche Zeitung, Der Spiegel, Tagessschau und Bild Online.
    Die Berichterstattung über den Brexit sei in Deutschland besonders umfangreich, erklärt Alexandra Borchardt vom Reuters Institut für Journalismus-Studien. Vom Verhältnis her habe sie überrascht, dass viel berichtet, aber verhältnismäßig wenig kommentiert wird. "Das ist ein sehr traditioneller Journalismus", so Borchardt. Kommentare seien im einstelligen Prozentbereich. Das meiste seien Fakten.
    Die menschlichen Geschichten und die Leidenschaft fehlen
    "Es geht sehr viel darum: wer hat das gesagt, wer hat darauf geantwortet", ein "he said, she said-Journalismus", wie sie es nennt. Das werfe auch Schwachstellen auf: Wie die Leute vom Brexit betroffen werden, darum ginge es wenig. Die europäischen Medien sollten sich "mehr damit beschäftigen was der Brexit für die Menschen bedeutet", meint Borchardt. Das sei eine generelle Schwachstelle im Journalismus. Es gibt regelmäßige Berichterstattung, aber vieles davon sei einfach Chronistenpflicht und nicht von großer Leidenschaft geprägt. "Und da ist eben auch die Frage, außerhalb eines Fachpublikums, lesen das die Menschen wirklich?"
    Was die Menge angeht, sei die Berichterstattung erstaunlich konstant. Nur zum Ende hin merke man nun eine gewisse Ermüdung. Einzig in Irland werde über den Brexit noch mehr und deutlich sorgenvoller als in Deutschland berichtet. Darin unterscheiden sie sich deutlich von den Franzosen, wie Borchardt erklärt: "Frankreich zeichnet sich dadurch aus, dass das innenpolitische Interesse extrem gering ist." Für sie handle es sich dabei um eine rein britische Angelegenheit.
    EU-Bürgerrechte und Migration in Europa werden kaum thematisiert
    Größtenteils hätten sich die Länder aber wider Erwarten in ihrer Berichterstattung kaum unterschieden. Wirtschaft, Handel, Währung - der Austritt Großbritanniens werde in den europäischen Medien hauptsächlich unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten diskutiert. Die Rechte der Bürger sich frei zu bewegen, sich überall Arbeit zu suchen und auch das Thema Migration spielten hingegen nur eine untergeordnete Rolle. "Nur in zehn Prozent von allen Berichten kam dieses Thema überhaupt zur Sprache", erklärt Borchardt. Auch die Themen Sicherheit und Verteidigung spielten im Zusammenhang mit dem EU-Ausstieg, laut Studie, so gut wie gar keine Rolle.
    EU wird als einheitlicher Vertragspartner in Berichten dargestellt
    Berichtet werde überwiegend neutral. Wird das Thema kommentiert, dann allerdings meistens gegen den Brexit, so die Ergebnisse der Studie. Kritisiert werde auch die Rolle der britischen Regierung im Austrittsprozess. Die meisten Anti-Brexit-Stimmen gebe es in Griechenland, Spanien, Schweden und Irland. In Frankreich, Italien und Polen seien die Kommentare eher auch mal gemischt oder befürworteted.
    Am häufigsten zitiert werde die britische Premierministerin Theresa May, gefolgt von EU-Chefunterhändler Michel Barnier. EU-Regierungschefs wie Angela Merkel und Emmanuel Macron hingegen würden weder häufig zitiert noch erwähnt. Das deutet nach Meinung der Autoren darauf hin, dass die Strategie der Europäer aufgegangen ist und sie als einheitliche Verhandlungspartner wahrgenommen werden.