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Europäische Kulturhauptstadt Chemnitz
Undurchsichtiges Auswahlverfahren

Ehrlicher Wettbewerb oder Vetternwirtschaft – was steckt hinter den Vorwürfen rund um die Vergabe des Titels "Europäische Kulturhauptstadt"? Besteht tatsächlich eine zu enge Verbindung zwischen Beratern und Jury oder wird ein Skandal lediglich inszeniert? Formal ist wohl nichts zu beanstanden.

Von Tobias Krone und Agnes Bührig | 13.12.2020
"WANDELGANG" des niederländischen Künstlerkollektivs Observatorium ist eine Art Brücke über eine Straße. Das Werk ist Teil des Kunstprojekts "Gegenwarten/Presences" im öffentlichen Raum in Chemnitz und ist eine wichtige Etappe bei der Bewerbung als Kulturhauptstadt 2025.
"WANDELGANG" des niederländischen Künstlerkollektivs Observatorium ist Teil des Kunstprojekts "Gegenwarten/Presences" und wichtig für die Bewerbung als Kulturhauptstadt 2025 (imago images / Sylvio Dittrich)
"Die Auswahljury für eine europäische Kulturhauptstadt 2025 in Deutschland empfiehlt folgende Stadt als europäische Kulturhauptstadt: Chemnitz – herzlichen Glückwunsch!"
Die Verkündung der Juryvorsitzenden Julia Amann und der Jubel in Chemnitz – es ist wohl einer der wenigen denkwürdigen Momente des Kulturjahres. Eine Entscheidung für eine Außenseiterstadt im Osten und der frenetische Jubel eines engagierten Teams. Doch bei manchen Menschen in der Kulturpolitik wächst der Zweifel, ob bei der Entscheidung alles sauber abgelaufen ist. Der Nürnberger Bundestagsabgeordnete von der CSU Michael Frieser, Mitglied im Ausschuss für Kultur und Medien, sieht das Ansehen des Auswahlprozesses gefährdet.
"In einem Auswahlprozess, ist zu befürchten, dass wegen seiner Intransparenz… am Ende des Tages doch nur wieder ein gängiges Netzwerk, ein Wanderzirkus aus sich gegenseitig Aufträge Zuschustern besteht, und am Ende sogar Leute mit einer Entscheidung treffen, die davon selbst einen, auch finanziellen, Vorteil haben."
Hinweise auf Interessenskonflikte
Die Vorwürfe des Abgeordneten stützen sich auf einen Artikel der Süddeutschen Zeitung von vor gut einer Woche. Darin heißt es, die Umstände, unter denen der Titel vergeben worden sei, seien fragwürdig. Der Vorwurf: Zu große Nähe zwischen Berater*innen und Jurymitgliedern. Auf Anfrage verweist die EU-Kommission, der die Jury untersteht, darauf, alle Jury-Mitglieder hätten sich zu Compliance-Regeln bekannt. Interessenskonflikte gibt es damit offiziell keine.
Doch ein Punkt im geplanten Chemnitzer Kulturhauptstadtprogramm wirft Fragen auf: So soll eine Friedens-Fahrradtour ins tschechische Pilsen just in einem Kulturzentrum enden, das das Mitglied der Auswahljury Jiří Suchánek leitet. Auf Anfrage erklärt Suchánek, er habe mit der Planung der Fahrradtour nichts zu tun. Dass sie stattfinde habe schlicht das politische Ziel, den tschechischen 80. Befreiungstag mit einer versöhnenden Geste zu begleiten.
Unabhängig von ihrem Inhalt hat die Angelegenheit ein Geschmäckle – findet Michael Frieser.
"Dass es dort zu einem Projekt kommt, das ja auch nicht ganz billig wird, das ist etwas, was einen, wenn man Verantwortung für Steuergelder übernimmt, doch zumindest etwas verunsichert und den Prozess in einem fragwürdigen Licht erscheinen lässt."
In Chemnitz will man sich nicht dazu äußern – auch nicht, ob der Berater des Teams, der gut bekannt ist mit Jiří Suchánek, die Tour bewusst zum Kulturzentrum nach Pilsen geplant hat, um einen Vorteil zu erreichen. Bei der bayerischen Staatsregierung und in Nürnberg, das mit zu den Favoriten für die Kulturhauptstadt zählte, fordert man Aufklärung. Julia Lehner, die Kulturbürgermeisterin von der CSU: "Zusammenhänge sind aufgezeigt worden, beziehungsweise große Fragen stehen im Raum."
Zweifel bei Beachtung von Compliance-Regeln
Und auch andernorts wird inzwischen vorsichtige Kritik am Auswahlverfahren laut. Etwa in Hannover, das es ebenfalls in die Endrunde der Kulturhauptstadt-Auswahl geschafft hat. Die Sprecherin der Stadt Anja Menge.
"In der Berichterstattung der Süddeutschen Zeitung wurden schwere Vorwürfe erhoben. Es geht hier um den Ruf eines international renommierten Wettbewerbs und um viel Geld. Die Städte haben allein in der Bewerbungsphase Millionen Steuergelder investiert. Und der Nutzen für die Gewinnerstadt ist enorm. Gerade bei einem so bedeutenden Wettbewerb sind Transparenz und Nachvollziehbarkeit wichtig."
Anders sieht das Ulrich Fuchs, ehemaliges Kulturhauptstadt-Jury-Mitglied. In einem Interview mit Deutschlandfunk Kultur vergangenes Wochenende (05.12.2020) beteuerte er: Die Jury halte sich an eine Compliance-Bestimmung, die etwa verhindere, dass sich Jurymitglieder während der Zeit ihres Amtes in Bewerbungen von Städten einmischten. "Die in der Süddeutschen Zeitung erwähnten Personen haben aus meiner Sicht, soweit ich es weiß, - und für mich selbst kann ich es hundertprozentig sagen – haben diese Regelungen sehr genau beachtet. So wie das auch Politiker tun, so wie das andere Experten tun – in der Regel."
Gut vernetzte Kulturmanager auf Städtetour
Formal ist es wohl nicht zu beanstanden: Jiří Suchánek war noch kein Jurymitglied, als er das Nürnberger Rathaus besuchte - doch der Besuch des Kulturmanagers ein halbes Jahr vor seiner Ernennung in die Jury wirft dort bis heute Fragen auf. Suchánek kam dort in Begleitung eines Kollegen, den er laut der Nürnberger Kulturbürgermeisterin als Experten für eine Kulturhauptstadtbewerbung vorschlug. "Dieser wiederum hatte natürlich das Anliegen, hier einen Vertrag, beziehungsweise ein Engagement zu bekommen. Herr Oberbürgermeister Maly, der damals noch im Amt war, und ich haben uns entschieden, wir wollten unseren eigenen Weg gehen. Wir hatten Stellen ausgeschrieben. Wir wollten eine Besetzung eines festen Bewerbungsbüros, auf Zeit selbstverständlich, und haben deshalb keinen Wert auf solch ein Angebot gelegt."
Just dieser Manager und Bekannte des Jurymitglieds Jiří Suchánek unterstützte dann das Team Chemnitz am Ende der Bewerbungsphase. Der Vorwurf, der in der Süddeutschen Zeitung laut wird: Eine kleine Gruppe gut vernetzter Kulturmanager*innen ziehe von Bewerberstadt zu Bewerberstadt – und mache aus den Wettbewerben ein Geschäft. Diesen Eindruck bekommt man auch, wenn man das so genannte Bid Book, also das Bewerbungsbuch Hannovers liest. Der Schriftsteller Juan S. Guse hatte es in Romanform verfasst. Im Prolog auf Seite Drei schildert er seine Erfahrungen.
"Und dann kommt so ein Berater von so einer Agentur auf dich zu und erklärt dir, dass bald die Abgabefrist für die Bewerbung zur Kulturhauptstadt 2025 sei. (..) Aber du müsstest dir keine Sorgen machen. Er habe nämlich bereits zahlreiche Bid Books für Städte geschrieben und wisse genau, was zu tun sei. Daraufhin zeigt er dir seine Arbeit der letzten Jahre: Dutzende Bewerbungen, alle originell und ansprechend gestaltet. (..) Und so ziemlich alle Städte, stellst du fest, liegen offenbar "im Herzen Europas". (..) Der Berater steht neben dir, nickt und zum Schluss nennt er dir einen Preis für seine Kunst."
Wettbewerb verloren, Skandal aufgebauscht
Der Kulturmanager Ulrich Fuchs, der ebenfalls immer wieder Bewerberstädte beraten hat, sieht in diesem professionalisierten Gewerbe nichts Ungewöhnliches. "Diese Leute haben sich natürlich – es ist in der Tat nur eine Handvoll – einen Namen gemacht und werden gerne auch aktiv von den Städten um die Erfahrung gefragt, die ihre Projekte erfolgreich gemacht haben oder wie man Hürden überwunden hat."
Auch die EU-Kommission verweist auf Anfrage darauf, es scheine, "dass alle Bewerberstädte in Deutschland solche externen Berater in Anspruch genommen haben". So haben sich auch die konkurrierenden Städte Nürnberg und Hannover in einem Vorprozess der Bewerbung, der Entwicklung einer Kulturstrategie, von einem selbständigen Kulturmanager beraten lassen, der auch den Mitbewerberinnen Kassel und Gera half. Ulrich Fuchs jedenfalls vermutet im Interview vor allem, die Süddeutsche Zeitung und ihr* Autor hätten bewusst einen Skandal lanciert. "Ein bisschen verhält sich Nürnberg eigentlich wie Donald Trump. Die Realität wird nicht zur Kenntnis genommen. Man hat einen Wettbewerb verloren."
Doch das Bild der schlechten Verliererin will Nürnberg nicht so stehen lassen. Man gönne Chemnitz sehr wohl den Titel, heißt es im Nürnberger Rathaus. Auch in Hannover sieht man das so. Zwar beklagt man sich über die harsche schriftliche Bewertung des Hannoveraner Konzepts durch die Jury. Aber will daraus keine politischen Konsequenzen ziehen. Anja Menge, Sprecherin der Stadt.
"Die Jury war gegenüber unserem Ansatz nicht aufgeschlossen. Das ist so in Ordnung und wir haben das zu respektieren."
[*] Wir haben eine zuvor falsche Ortsangabe korrigiert.