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Europäische Sicherheitspolitik im Wandel

Anfang der Fünfziger Jahre hielt man die EU für eine reine Wirstchaftsgemeinschaft. Spätestens seit dem Massacker von Srebrenica 1995 ist man auch um eine gemeinsame Sicherheitspolitik bemüht. Unter der Leitung Javier Solanas soll die Verteidigungsagentur der EU das Vorhaben in Brüssel umsetzen - nicht ohne Kritik.

Von Michael Fischer | 23.03.2005
    Brüssel, EU-Viertel. Rue Cortenberg 150. In steter Folge halten dunkelfarbige Autos vor dem großen Bürogebäude. Männer in Uniformen und schwarzen Aktenkoffern steigen aus und verschwinden eilig in der Empfangslobby. Keine Tafel, kein Namenschild verrät, wohin die Leute gehen. Hier findet jedoch kein geheimes NATO-Treffen statt, auch kein Empfang der belgischen Armee, sondern in dem Gebäude hat die EU einen Teil ihrer militärischen Planungsstäbe untergebracht. Geleitet werden sie vom Hohen Kommissar der EU für Außenpolitik, Javier Solana.

    "Die Sicherheitsstrategie der EU bestätigt ihre Rolle als Weltmacht und den Willen, ihren Teil der Verantwortung für die internationale Sicherheit zu übernehmen. Das Sicherheitskonzept basiert auf einem einfachen Postulat. Keine Bedrohung ist heute rein militärisch. Keine Bedrohung kann heute also nur mit rein militärischen Mitteln bekämpft werden. Die Globalisierung mit ihrem Ungleichgewicht zwischen Reichtum und extremer Armut hat den Charakter der Bedrohung verändert. Organisierte Kriminalität, regionale Konflikte, Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen, ihre Benutzung durch Terroristen."

    Nach Jahrzehnten der weitgehenden Handlungsunfähigkeit der EU im Bereich der Sicherheits- und Außenpolitik herrscht nun Aufbruchstimmung in Brüssel. Einer der wichtigsten Hoffnungsträger der EU-Zusammenarbeit auf diesem Gebiet, die lange umstrittene Europäische Verteidigungsagentur, hat jetzt ihre Arbeit aufgenommen. Ihre Aufgaben beschreibt der stellvertretende Leiter, Hilmar Linnenkamp:

    "Diese Agentur soll die vier Elemente Verteidigungsfähigkeiten, Forschung und Technologie, Rüstungszusammenarbeit und Industrie und Marktdimensionen miteinander so in Beziehung setzen, dass am Ende die europäischen Mitgliedstaaten mehr für das von ihnen für Verteidigung ausgegebenes Geld erhalten als bisher. "

    Die Agentur hat Geschichte. Schon vor 53 Jahren sollte die Europäische Verteidigungsgemeinschaft, damals als Nukleus der EU gedacht, aus der Taufe gehoben werden, erinnert der Vorsitzende des letzten Herbst vom Europäischen Parlament eingerichtete Unterausschuss für Sicherheit und Verteidigung, Karl von Wogau, der im letzten Herbst vom europäischen Parlament eingerichtet wurde:

    "Also diese Anfänge aus den Jahren 52, 54 der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, die ja damals gescheitert ist in der französischen Nationalversammlung, das war völlig vorüber. Man sagte, die EU hat mit Wirtschaft zu tun, aber sie hat nichts mit Verteidigung zu tun. Ich glaube, dass das Massaker in Srebrenica gewesen ist, das den Umschwung gebracht hat. Weil wir waren wirklich alle beschämt über die Tatsache, dass man hier in Europa sieben tausend Menschen umgebracht hat, ohne dass die große EU dazu in der Lage war, etwas dagegen zu tun."

    Angesichts des Balkan-Desasters der EU propagierten der britische Premierminister Tony Blair und der französische Präsident Jacques Chirac auf ihrem Gipfel in St. Malo Ende 1998 die Idee gemeinsamer EU-Verteidigungsstrukturen.

    Allerdings sollten diese – aus britischer Sicht - nicht die Vorherrschaft der NATO unterminieren, aber – aus französischer Sicht – doch kleinere, unabhängige Interventionen ermöglichen. Auf Basis dieses Kompromisses wurde die Stelle des EU-Beauftragten für Außen- und Sicherheitspolitik eingerichtet und 1999 mit dem bisherigen NATO-Generalsekretär Javier Solana aus Spanien besetzt. Dieser koordinierte den Aufbau von EU-Planungsstäben für militärische und Sicherheitsfragen und die Zusammenstellung einer Eingreiftruppe, die 2003 erstmals in Mazedonien und dann im Kongo zum Einsatz kam.

    Gefährdet wurde die Kooperation kurzzeitig durch den US-Krieg gegen den Irak, der Europa entzweite. Doch letztendlich erwiesen sich die Terrorattacken in New York, Washington, Istanbul und Madrid als Katalysatoren für die europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik, meint der Brüsseler Vertreter des Dachverbands der europäischen Raumfahrt- und Verteidigungsindustrien, Gert Runde:

    "Die neue Form der Bedrohung, die sehr viel brisanter transparent wurde durch 2001 und die Vorfälle in Madrid, hat auf der politischen Seite ganz eindeutig das Bewusstsein hervorgerufen, dass sehr viel mehr investiert werden muss, um die Sicherheit unseres Kontinents sicherzustellen. Es hat geführt zu einer Initiative der Europäischen Kommission, ein Sicherheitsforschungsprogramm auf die Beine zu stellen, das im Rahmen des nächsten Forschungsrahmenprogramms, das im Jahre 2007 beginnt, zum ersten Mal greifen soll."

    In der Vorbereitungsphase 2004 bis 2006 verfügt das Sicherheitsforschungsprogramm über insgesamt 65 Millionen €, ab 2007 soll es dann mit einer Milliarde pro Jahr ausgestattet sein – eine überraschende Entwicklung für Michael Brzoska vom Internationalen Konversionszentrum in Bonn:

    "Der Bereich der Sicherheitsforschung, der jetzt aufgelegt worden ist von der Kommission, und die Kommission hat bisher in diesem Bereich überhaupt keine Kompetenzen, ist nur denkbar, weil eben man das auch als Anti-Terrorismusmaßnahme verkaufen kann. "

    Bislang durfte die EU kein Geld für Rüstungsforschung ausgeben. Michael Brzoska.

    "Daraufhin hat die EU dann erst mal beschlossen, zunächst mit relativ wenig Geld und in Bereichen, die nicht so besonders rüstungsnah sind, das sind eher Bereiche, wo es um Sicherheitsfragen geht, mit einem Forschungsprogramm zu beginnen. Das hat natürlich zu tun im Moment mit der Anti-Terrorismus-Bekämpfung, das man sagt zum Beispiel den Bereich Flughafensicherheit, dass man Geräte, mit denen man Bomben entdecken kann, usw. entwickeln möchte. Da sind andere Bereiche, wo es um Polizeigeräte geht. Das ist Sicherheitsforschung, so wird es genannt, die aber auch von denselben Firmen betrieben wird, die auch in der Rüstungsproduktion tätig sind. Insofern hat es eine gewisse Schlüsselfunktion, dass jetzt solche Bereiche, die also nicht im engeren Sinn wirklich zivil sind, von der EU gefördert werden. Aber das Ziel ist ganz klar, irgendwann mal auch im Rüstungsbereich Gemeinschaftsprojekte zu finanzieren."

    Doch schon jetzt geht es im Gleichschritt voran: Vor etwas mehr als einem Jahr stellte Javier Solana seine Sicherheitsstrategie vor, zu der zum ersten Mal eine Bedrohungsanalyse gehört, auf die sich gesamte EU verständigt hat. Im September letzten Jahren veröffentlichte die EU-Kommission ein Grünbuch zur europaweit einheitlichen Beschaffung von Verteidigungsgütern. Im Dezember übernahm die EU die militärische Friedenssicherung in Bosnien-Herzegowina von der NATO. Die Mission Althea ist nach dem EU-Engagement in Mazedonien und im Kongo die erste wirklich beachtliche gemeinsame Operation der EU. Zudem sollen zwölf auf der ganzen Welt einsetzbare so genannte "battle groups" bis 2007 aufgestellt werden.

    Jetzt nahm die Europäische Verteidigungsagentur ihre Arbeit auf, um zum Wohle der Industrie die Rüstungsmärkte besser zu koordinieren und die Rüstungsforschung zu intensivieren. Damit will die EU angesichts knapper nationaler Verteidigungshaushalte und rückläufiger Aufträge aus dem Exportgeschäft die kriselnde europäische Rüstungsindustrie stärken, weiß Michael Brzoska.

    "Wir haben auf der Seite der Rüstungsfirmen bereits in vielen Sektoren sehr viel Zusammenarbeit bis hin zu gegenseitiger Kapitalbeteiligung. Die Arbeit international auf europäischer Ebene aber stößt immer wieder auf Grenzen dadurch, dass die staatliche Seite immer noch national organisiert ist. Es gibt also keine gemeinsame Beschaffung - außer sie wird von den Nationalstaaten beschlossen - sondern die Beschaffung von Rüstungsgütern erfolgt weiterhin durch Beschaffungsämter in den einzelnen Ländern. Es ist auch so, dass die Unterstützung für die Rüstungsindustrie, die es ja in vielfältiger Form gibt, in Form von Unterstützung der Forschung und Entwicklung, in Form von Unterstützung des Exports, rein national organisiert ist. So dass die Rüstungsindustrie immer wieder darauf drängt, dass auch ihr Gegenpart, die staatliche Seite, sich stärker europäisch organisiert. "

    Auch das soll die Europäische Verteidigungsagentur in die Wege leiten. Die neue Behörde ist dem EU-Ministerrat unterstellt. Ihr politischer Chef ist Javier Solana. Über zwei Dutzend Mitarbeiter verfügt sie bereits, maximal 80 könnten es im Lauf des Jahres werden, die die Verteidigungsministerien auf Trab bringen sollen. Druckmittel haben sie dafür jedoch keines, gibt Hilmar Linnenkamp zu Bedenken:

    "Die European Defence Agency ist ein Instrument der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, das ist eine intergouvermentale Angelegenheit, dabei halten die Regierungen in ihrer Kollektivität das letzte Wort, und entscheiden müssen immer die Regierungen. Die Agentur selber kann nicht irgendein Rüstungsprogramm einleiten, ausführen und in die Truppe einführen, sondern die Agentur kann empfehlen, abraten, gute Gründe für andere Wege aufzeigen, die Qualität der Entscheidungsvorbereitung erhöhen, das ist die Macht, die Macht des Arguments. "

    Zwar wollen die europäischen Regierungen ihre Rüstungsplanung koordinieren und dann auch eine engere Zusammenarbeit ihrer Rüstungsbetriebe, um Doppelarbeit zu vermeiden, höhere Produktivität zu erreichen und niedrigere Preise zu ermöglichen. Doch dazu müssten sie ihre nationalen Sonderinteressen und Ängste vor Souveränitätsverlust überwinden. Hilmar Linnenkamp.

    "Die Spannung zwischen dem Wunsch oder der Vision europäischer Gemeinsamkeit und den Resten nationalen Denkens bleibt erhalten. Da würde man sich Illusionen machen, wenn man dächte, dass mit der Gründung der Agentur diese Spannung aufgehoben wäre. Die Agentur ist in der Tat ein Zeichen dafür, dass die europäischen Regierungen sehr viel enger zusammenarbeiten wollen, als sie das bisher getan haben. Die Möglichkeiten der Zusammenarbeit stoßen aber immer wieder an Grenzen der noch national formulierten Politiken. "

    "…oft ist es so, dass die Rüstungsindustrie, wenn es dann wirklich so international wird, dann wiederum auch kalte Füße bekommt, "

    erklärt Michael Brzoska,

    "viele Firmen haben sich natürlich darauf eingerichtet, dass sie enge Beziehungen haben mit ihren nationalen Beschaffungsbehörden und da gibt es durchaus noch Branchen, Bereiche, auch einzelne Firmen, die diesem allgemeinen Trend durchaus skeptisch gegenüber stehen. Dazu gehört etwa der Bereich der Heeresindustrie, der weiterhin sehr national orientiert ist, und dazu gehören auch viele von den eher kleineren Rüstungsfirmen, die Angst haben, dass sie in diesem europäischen Integrationsprozess untergehen."

    Die Waffenschmieden, so die Analyse, stehen unter dreifachem Druck: Einerseits wurden seit dem Ende des kalten Krieges die Militärbudgets stark gekürzt. Gleichzeitig gingen die Waffenexporte zurück. Dieser Trend wird sich fortsetzen, weil in den Ländern der Dritten Welt die Währungsreserven knapp werden. Hinzukommt, dass die Rüstungsindustrie in Europa – von einigen Firmenkomplexen ausgenommen - im Vergleich zu den USA und Russland wesentlich kleiner ist, was ihre Chancen im Konkurrenzkampf um die schwindenden Märkte beeinträchtigt.

    Aus Sicht der Brüsseler Rüstungsstrategen ist auch bedrohlich, dass - obwohl die Nachfrage in der EU gesunken ist - der Anteil der aus den USA importierten Rüstungsgüter immer noch um ein zehnfaches höher ist als die Zahl der Exporte in die USA. Auf diese Weise gelingt es den USA, die Entscheidungen über die Waffensysteme, Strategien und militärischen Einsätze der Europäer zu bestimmen, warnt die Rüstungsexpertin der US-Wochenzeitung 'The Nation`, Diana Johnstone:

    "Seit dem zweiten Weltkrieg sind Militäraufträge ein sehr wichtiger Motor für die US-Wirtschaft. Deswegen spielen die Alliierten für die USA eine wichtige Rolle als Absatzmarkt für US-amerikanische Militärtechnologie und Waffen. Es gibt zwar auch Verkäufe in die andere Richtung. Aber die Handelsbilanz fällt immer stärker zugunsten US-amerikanischer Waffenverkäufe nach Europa aus. Ihre dominante Rolle innerhalb der Allianz erlaubt es der US-Regierung, die militärischen Strategien zu bestimmen. Damit bestimmt sie aber auch die zur Anwendung kommenden Waffengattungen und Technologien, die die Alliierten kaufen müssen. Dies wiederum garantiert die dominante Position der USA im Waffenhandel und als Militärmacht. "

    Die EU steckt also in einem Dilemma: Einerseits wird seit dem Ende des Kalten Krieges bei den Militärausgaben gespart. Andererseits will man eine eigenständige, von den USA unabhängige Außenpolitik betreiben, zu deren Umsetzung aber auch schlagfähige Truppen gehören. Da diese jedoch in vielen Bereichen wie Kommunikation und Informationsbeschaffung von US-Technologie abhängig sind, bleibt eine wirkliche Eigenständigkeit Makulatur, solange zumindest die strategisch wichtigen Rüstungsgüter nicht auch selbst produziert werden können, sagt Gert Runde:

    "So bleibt es die Tatsache, dass die europäische Seite investieren muss, und zwar mehr als in der Vergangenheit, vor allem in Bereiche, die technologisch sicherstellen, dass die Europäer eine autonome Sicherheits- und Verteidigungspolitik aufbauen können. Das ist der Bereich der Technologien, die die Souveränität Europas untermauern. Zum Beispiel, alles das, was die Aufklärungsfähigkeit europäischer Verbände verbessern könnte."

    Die EU wird in Sachen Rüstungsproduktion nie mit den USA gleichziehen können, argumentieren dagegen Rüstungsgegner inner- und außerhalb des Europäischen Parlaments. Sie sollte sich also vielmehr auf das konzentrieren, was sie auch historisch gesehen am besten kann: nämliche friedliche Wege zur Konfliktvermeidung zu entwickeln. Dieser Bereich führe in Brüssel jedoch weiterhin ein Schattendasein.

    "Die Kritiker haben recht, wenn sie das nicht als Argument gegen die Verteidigungsagentur verwenden, sondern als Argument, dass die Verteidigungsagentur ergänzt werden muss durch eine ähnliche Agentur, was die zivilen Einsätze betrifft, aber vor allem auch entsprechende Personalressourcen, "

    stimmt das österreichische Mitglied im Unterausschuss für Sicherheit und Verteidigung, Hannes Svoboda, zu,

    "denn wir brauchen mehr Polizei. Da gibt es bestimmte Überlegungen à la Gendarmerie, wie sie in Frankreich existiert, und die Garda Zivile, die auch in Italien existiert, auf der europäischen Ebene herzustellen, also ein Mittelding zwischen Polizei und Militär. Aber wir brauchen auch rein zivile Einsatzkräfte. Denn unser Ziel ist ja nicht Krieg zu führen, unser Ziel ist, Kriege zu verhindern und Konflikte zu lösen und im Katastrophenfall schnell einsatzfähig zu sein. Und diese Komponente fehlt, das ist leider richtig. "

    In Artikel 41 der schon beschlossenen, aber noch nicht ratifizierten EU-Verfassung wird postuliert, dass die EU sowohl zivile als auch militärische Mittel der Operation aufstellen soll.

    Das passiert auch: Für Einsätze etwa nach Bürgerkriegen oder Naturkatastrophen stellen die EU-Staaten inzwischen rund 13.000 Leute bereit, darunter Polizisten, Richter, Staatsanwälte und Zivilschutzkräfte. Zudem beschloss der Ministerrat neben der Europäischen Verteidigungsagentur die Einrichtung einer militärisch-zivilen Planungseinheit.

    Außerdem wurden hochrangige Forscher beauftragt, eine Studie über Europas Sicherheitsfähigkeit zu erstellen. Darin kommen Experten wie Ulrich Albrecht aus Berlin oder Mary Kaldor aus England zum Schluss, dass Europa eine "Menschliche Sicherheitsstrategie" braucht, die nicht den Schutz von Nationalstaaten sondern von Menschen in, vor allem aber außerhalb Europas zum Ziel haben sollte.

    Der Kollaps von Staaten ist in weiten Teilen der Welt ein ernstes und häufig auftretendes Problem geworden. Der Zustand von Rechtlosigkeit führt fast zwangsweise zu Gewalt, Raub und bewaffneten Konflikten. Diese Entwicklung ist nicht nur auf die betroffenen Regionen vor allem in Afrika und Asien begrenzt. Vielmehr wird die unsichere Situation auch nach Europa exportiert – durch Migration, Menschen-, Drogen und Waffenhandel sowie terroristische Anschläge. Dagegen helfen traditionelle Militär-Aktionen nicht oder nur bedingt- wie die Kriege im Irak und Afghanistan, aber auch die Friedensmissionen im Balkan oder Afrika zeigen. Die Antwort auf die neue Bedrohung kann nur sein: Die EU muss den Sicherheitsbedürfnissen der von großer Unsicherheit bedrohten Leuten stärkere Bedeutung beimessen als der Aufrechterhaltung von Staaten.

    Es bestehe ein großes Ungleichgewicht zwischen der Entwicklung ziviler und militärischer Kriseneinsatzkräfte. Das zeige sich auch an den dafür bereitgestellten Mitteln. Während Europa für die zivile Konfliktvermeidung etwa 150 Millionen € pro Jahr ausgibt, liegt der Militäretat bei 160 Milliarden €, den die Verteidigungsagentur jetzt sinnvoller ausgeben helfen soll.

    "Das interessante ist ja: Die Agentur präpariert die Union für Missionen außerhalb der Grenzen der EU. Das kann, wie es in der Verfassung heißt, der zivilen Konfliktbearbeitung, also der Verhütung von Bürgerkriegen dienen. Es können aber auch alle möglichen anderen machtpolitischen Interessen der EU damit verwirklicht werden. "

    Wo und in welcher Weise zivile oder militärische EU-Kräfte zum Einsatz kommen, bestimmen dabei nur die EU-Regierungen. Eine Kontrolle durch das Europäische Parlament kann nicht stattfinden, so Karl von Wogau, weil,

    "das Parlament in diesem Bereich bisher keine Zuständigkeit und keine Macht hat. Es gibt ja vieles, was sich da in der letzten Zeit entwickelt hat: Diese Beschlüsse von Helsinki, dass man eine Krisen-Interventionstruppe schafft, dann die Einsätze von europäischen Soldaten in Mazedonien, Kongo und jetzt in Bosnien-Herzegowina, die Tatsache, dass Solana eine Sicherheitsstrategie entwickelt hat, die dann von den Staats- und Regierungschefs angenommen wurde, das sind Dinge, die sehr oft hinter verschlossenen Türen stattfinden und wir müssen dazu beitragen, dass hier eine große öffentliche Debatte über das Thema Europäische Sicherheit entsteht. "

    Weltweit gab es letztes Jahr 42 bewaffnete Konflikte, die meisten in Afrika und Asien. Damit bestätigt sich der Trend seit 1945, dass über 90 Prozent aller Kriege in Entwicklungsländern geführt werden. Allen Konfliktlösungsversuchen zum Trotz, so berichtet die Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung der Uni Hamburg, ist die Zahl der kriegerischen Auseinandersetzungen unverändert hoch. Am deutlichsten zeige sich das Unvermögen der internationalen Gemeinschaft, Frieden zu stiften, beim Völkermord in der sudanesischen Krisenregion Darfur. Die EU möchte das ändern mit einem Strauß von Maßnahmen, zu denen die Europäische Rüstungsagentur gehört.